Rezension zu Der Tod und das Mädchen
Musikerziehung. Jahrgang 65. Heft 1.
Rezension von Gerta Steinringer
Der Tod und das Mädchen. Musikwissenschaft und Psychoanalyse im
Gespräch. Hrsg.v.Sebastian Leikert, Psychosozial-Verlag Gießen
2011, 178 S.
Der Dialog zwischen Musikwissenschaft und Psychoanalyse hat sich in
den letzten Jahren sichtlich erweitert und vertieft. Basieren die
ersten fünf Aufsätze auf jenen Vorträgen, welche beim 1. Symposion
in Karlsruhe (Bericht im Jg. 63 Jänner/Februar/März 2010 der
Zeitschrift Musikerziehung) gehalten wurden, finden diese in vier
weiteren Beiträgen eine wertvolle Ergänzung zu diesem Thema.
Die historischen und psychoanalytischen Aspekte in »Musik als
ästhetische Thanatologie«(S. Leikert mit Blick auf Caruso) als
grundlegende Gedanken stehen neben konkreten Beispielen aus der
Vokalmusik. So geht Antje Niebuhr mit »...denn das Geheimnis der
Liebe ist größer als das Geheimnis des Todes« dem Mythos Salomes in
Richard Straußens gleichnamiger Oper auf den Grund, erläutert die
verschiedenen Ebenen dieser faszinierenden traumatisierten
Hauptfigur und den Zusammenhang zu den anderen Personen. Salomes
seelische Situation, Transformationen der Adoleszenz und Jochanaan
als idealisierte Orientierung werden transparent gemacht, die
Hinweise auf die spezifische Straußsche Tonsprache zeugen vom
tiefen Verständnis seiner genialen Musik.
Hochinteressant ebenfalls der Vergleich zweier Schubert-Lieder im
Beitrag von Thomas Seedorf, in dem der Tod als Schuberts zentrales
Thema zeit seines Lebens aus der Sicht des Mädchens textlich und
musikalisch der des Jünglings gegenübergestellt wird.
Anja Guck-Nigrelli verarbeitet psychoanalytische Überlegungen zur
Dialektik der Musik in Verdis Oper »La Traviata« unter dem Titel
»Das Mädchen und der Tod«. Sie baut eine kurze
Entwicklungsgeschichte der Stimme und deren Bedeutung ein und weist
mit abgedruckten Notenbeispielen und schlüssigen Erklärungen auf
die Dialektik von Liebe und Tod in der Musik Verdis hin. In den
Schlussfolgerungen schreibt die Autorin als ein wichtiges Ergebnis
ihrer Untersuchung (S.80): »So spannt sich die Dialektik der Musik
nicht nur zwischen Liebe und Tod auf der Bühne auf, sondern auch
zwischen dem bewussten Endpunkt des Todes und dem unbewussten
Endpunkt des primären Verlusts der frühen Dyade ... Der Gesang als
Re-Präsentant dieser frühen Liebe und dieses Risses wird so zu
einem Dritten, das die Dialektik vermittelt.«
Bernd Oberhoff untersucht in »Siegmunds Tod« die geheimnisvollen
psychischen Transmissionen und pathogenen Strukturen in R. Wagners
Oper »Die Walküre«. Beginnend mit der Ouvertüre werden mittels
Text- und Musikzitaten die komplizierten verwickelten
Handlungsabläufe auf ihre Tiefenstrukturen hin gedeutet und es
schließt sich der Kreis in der Erkenntnis, dass sich Wagners
Walküre als eine Oper geheimer psychischer Transmissionen aufgrund
von fehlenden Selbstgrenzen zwischen Wotan und seinen Kindern
erweist. (S.115) »Siegmund muss sterben, weil pathologische
Strukturen in der Person des Vaters die nachfolgende Generation
dafür vereinnahmt haben, ihr Leben in den Dienst der psychischen
Entlastung des Vaters zu stellen.«
Hannes König betitelt seinen Aufsatz mit »Wenn Mephisto an die
Haustür klopft« und setzt sich mit dem Unheimlichen in der Musik
auseinander. Einzelne Abschnitte sprechen Musik und die psychische
Harmonie, den Vorgang der Symbolisierung, die psychischen Instanzen
der Musik, Konfliktmaterial auf verschiedenen Ebenen und
schließlich »das Unheimliche« selbst an. Mit zwei graphischen
Abbildungen werden sowohl »potentieller Raum« als auch »Raum des
Ausdrucks« anschaulich gemacht und weiters zwei Arten des
Unheimlichen unterschieden. Das Geheimnis für das Unheimliche in
der Musik liege in deren fester Struktur, welche wiederum
»komplett« oder »subtil« hintergangen werden kann. Es geht
einerseits um das Vertrauen auf die Stabilität von Ordnungen,
andererseits um Relativierung von Grenzen – m.a.W. um »Heimliches«
versus »Un-Heimliches«.
Die abschließende Arbeit von Ulrich Deutschmann widmet sich dem
Thema »Kulturzerstörung, traumatische Desintegration und die
identitätsstiftende Bedeutung unbewusster Handlungsdialoge in
Jazzimprovisation und Psychoanalyse.« Das Gemeinsame bei Jazz und
Psychoanalyse liegt sowohl im frei Assoziativen (das Komponieren im
Hier und Jetzt ähnelt der Grundregel der psychoanalytischen
Behandlung) als auch in der Suche nach kommunikativen Wurzeln. Die
Studie entrollt das Phänomen, dass bei aller Verschiedenheit an
Methoden und Entwicklungswegen von Jazz und Psychoanalyse doch
beide sehr ähnliche emanzipatorische Ziele verfolgen.