Rezension zu Psychose (PDF-E-Book)
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Rezension von Andreas G. Franke
Joachim Küchenhoff: Psychose
Thema und Zielsetzung
Im Rahmen der Reihe »Analyse der Psyche und Psychotherapie« hat der
Autor Erkenntnisse über die »Psychose« aus psychoanalytischer
Perspektive ins Zentrum gestellt. Er vermittelt in seinem
übersichtlichen Buch Basiswissen über historische und aktuelle
Konzepte der verschiedenen Formen von Psychosen und ihrer
Entstehung.
Autor
Prof. Dr. med. Joachim Küchenhoff studierte Medizin und Philosophie
in Würzburg, Heidelberg und Glasgow. Seine Facharztausbildung zum
Facharzt für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin
absolvierte er in Weinsberg und Heidelberg, wo er 1992
habilitierte. Er ist Psychoanalytiker, war von 1994 bis 2007
Leitender Arzt der Abteilung Psychotherapie der Universitären
Psychiatrischen Kliniken (UPK) Basel und ist seit 2007 Chefarzt der
Psychiatrischen Klinik Liestal. Er veröffentlichte eine Vielzahl
von wissenschaftlichen Aufsätzen, Buchbeiträgen und
Monographien.
Entstehungshintergrund
Das Buch ist im Rahmen der Reihe »Analyse der Psyche und
Psychotherapie« im Psychosozial-Verlag erschienen.
Aufbau und Inhalt
Die übersichtliche Einleitung beginnt Joachim Küchenhoff mit einem
kurzen Abriss einer Fallgeschichte, um dann auf die psychotische
Erkrankung Friedrich Hölderlins zu sprechen zu kommen. Hier merkt
Küchenhoff exemplarisch und gesellschaftskritisch an, dass diese
stigmatisierende psychiatrische Diagnose zu einer Infragestellung
des Werks, ja der gesamten Person Hölderlins selbst, geführt habe
und sein Werk sowie sein Tun dadurch mitunter herabgewürdigt werde,
was nicht nur auf Hölderlin zutreffe. Es handle sich bei einer
Psychose allerdings durchaus um eine »tief greifende Veränderung
des Denkens, Wahrnehmens, Empfindens und Handelns«, um einen »Riss
im Wirklichkeitssinn« mit oftmals fehlender Krankheitseinsicht und
(oftmals) fehlender Behandlungsmotivation. Dennoch sei es von
höchster Relevanz, den Inhalt des Gesagten solcher Patienten ernst
zu nehmen.
Im ersten Kapitel über »Psychiatrie, Psychopathologie und
Psychodynamik« stellt Küchenhoff die Einordnung psychotischer
Störungen in den Diagnosemanualen DSM-IV und ICD-10 vor. Hier
betont er zunächst die historische Sinnhaftigkeit des
Psychobegriffs in Abgrenzung zur Neurose (Freud: »Die Neurose
verleugnet die Realität nicht, sie will nur nichts von ihr wissen;
die Psychose verleugnet sie und sucht sie zu ersetzen.«) und setzt
die Diagnose in Zusammenhang mit dem Symptom beschreibenden
AMDP-System (Arbeitsgemeinschaft für Methodik und Dokumentation in
der Psychiatrie). Er stellt im Anschluss die psychotischen
Störungen nach ICD-10 im Einzelnen kurz dar, weist auf den
ausschließlich deskriptiven Charakter der Diagnosemanuale hin, der
keinerlei therapeutische Handlungsempfehlung in sich berge und
kommt konsequent auf die »Verstehende Psychopathologie und die
Person des psychotischen Erkrankten« zu sprechen. Hier stellt der
Autor kurz die wichtigsten Konzepte der Psychopathologie aus
psychodynamischer Perspektive vor (z.B. Daseinsanalyse,
Anthropologie, Phänomenologie und Gestaltpsychologie).
Im folgenden Kapitel klärt der Autor ausführlich über
»Psychoanalytische Psychotheorien« auf und beginnt sogleich mit
Sigmund Freud. Zunächst schildert der Autor die Entwicklung eines
»Wahn[s] als Projektion von Triebwünschen«. Im Anschluss zeichnet
Küchenhoff den »Wahn als Weltenaufgang« nach, sobald die Libido von
externen Objekten abgezogen wurde und sich fortan auf psychotisch
(fantasierte) Objekte bezieht. Küchenhoff betont, dass der Wahn
einen (Wieder-)Ordnungsversuch darstellt. Darüber hinaus bezieht
sich die Libido zunehmend auf das Ich, da sich eine
Beziehungsanknüpfung an externe Objekte als frustran herausstellt.
Des Weiteren widmet sich der Autor ausführlich der (zerfahrenen)
Sprache von psychotischen Patienten. Nach Hanna Segal verlören
Patienten das metaphorische Verständnis bzw. den Symbolcharakter
der Sprache. Insgesamt wird »Der psychotische Umgang mit der
Realität« von Küchenhoff als kreativ angesehen. Es wird mit
Rückgriff auf Viktor Tausk betont: »Psychogenese und Biogenese sind
kein Gegensatz«. Insbesondere verlören die Patienten die
Ich-Authentizität der Propriozeption. Unter Rückgriff auf Melanie
Klein weist Joachim Küchenhoff darauf hin, dass psychotisches
Denken eine lebenslang aktivierbare Bereitschaft in einem jeden
sei. Im Folgenden wird damit verdeutlicht, dass psychotisches
Erleben einen Persönlichkeitsanteil ausmache (Melanie Klein,
Wilfried R. Bion).
Im Verlauf stellt der Autor dar, dass Jacques Lacan die
Möglichkeiten der psychotherapeutischen Zugänglichkeit
psychotischer Patienten als schlecht beurteilt; dies werde v.a.
durch die mangelnde (reale) Beziehungsfähigkeit der Patienten zur
Außenwelt determiniert. Im Anschluss stellt Joachim Küchenhoff das
erste ausführliche Fallbeispiel dar.
Im nächsten Kapitel widmet sich Küchenhoff den »Bedingungen des
psychotischen Erlebens« und demonstriert eindrücklich das
psychodynamische Faktorenmodell und stellt das Aufbauprinzip mit
anschließenden Erläuterungen dar, bestehend aus »Subjektives
Erleben«, »objektivierbare psychische Fähigkeiten« und »Qualitäten
des Beziehungsangebots«. Dabei illustriert er die Aspekte des
Modells teilweise mit Fallbeispielen aus der Praxis. Schließlich
schlussfolgert Joachim Küchenhoff aus dem Modell die Notwendigkeit
eines multidimensionalen Verständnisses, das eines
multiprofessionellen Teams in der Therapie bedürfe, da psychotische
Störungen vielgestaltig und komplex seien. Der Autor deklariert
psychotische Störungen in erster Linie als Beziehungsstörungen und
deduziert, dass daher v.a. die Beziehung in der Psychotherapie der
zentrale Ausgangspunkt sei. Bearbeitet würden insbesondere
Übertragungsmuster, die mit den Selbst-Objekt-Grenzen des Patienten
verbunden seien. Der Autor verschließt sich aber keineswegs der
Notwendigkeit einer antipsychotischen Pharmakotherapie und merkt
an, dass Letztere den »Rückgewinn der integrativen Funktion«
erleichtern würde, merkt aber auch an, dass der Einsatz von
Psychopharmaka psychotherapeutisch vorbereitet, bearbeitet und
begleitet werden müsse. Nach diesen ersten therapeutischen Ansätzen
widmet er das letzte Kapitel vollumfänglich der
»Psychotherapeutischen Arbeit mit psychotischen Patienten«. Hier
betont der Autor, dass »der Verlust der Fähigkeit zur psychischen
Integration von Erfahrungen und die Desintegration der
Persönlichkeitsstruktur« äußerst bedrohlich seien und bereits bei
präpsychotischen Symptomen eine Therapie unabdingbar initiiert sei.
Im Anschluss illustriert er ausführlich Ausschnitte einer
psychoanalytischen Therapie (Fallgeschichte) und demonstriert dabei
die im Verlauf des Buches beschrieben Aspekte (v.a. das
psychodynamische Faktorenmodell). Im Anschluss daran weist
Küchenhoff auf die negierenden Eigenschaften und Negativsymptomatik
post-akuter psychotischer Stadien hin, die auch und gerade im
Rahmen der Schizophrenia simplex oder Hebephrenie vorkommen würden.
Hier greift er zu einem literarischen Beispiel, der Erzählung des
»Bartleby, der Schreiber. Eine Geschichte aus der Wall Street« von
Herman Melville.
In der Schlussbemerkung resumiert Joachim Küchenhoff die im Verlauf
des Buches erarbeiteten Aspekte kurz und prägnant.
Zielgruppe
Die gesamte Reihe »Analyse der Psyche und Psychotherapie« richtet
sich sowohl an Studierende aber vor allem an ausgebildete
Psychotherapeuten aller Schulen und solche, die sich in der
Ausbildung befinden.
Diskussion und Fazit
Joachim Küchenhoff weiß kenntnisreich über die Psychose und ihre
Ätiologie aus psychoanalytischer Perspektive zu berichten. Dabei
widerspricht er der biologischen Psychiatrie nicht und bemüht sich
um ein multidimensionales Modell. Zur Illustration greift er auf
Fallbeispiele aus der psychoanalytischen Praxis und der Literatur
zurück, an denen er die Anwendung der gewonnenen Erkenntnisse
gekonnt zu demonstrieren weiß.
Rezensent
Dr. med. et Dr. disc. pol. Andreas G. Franke
M.A., Arzt und Sozialwissenschaftler. Beschäftigt an den
Universitären Psychiatrischen Kliniken (UPK) Basel
(Switzerland)
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