Rezension zu Die analytische Antwort

Curare. Zeitschrift für Medizinethnologie. Vol. 35 (2012) 1+2

Rezension von Benno Zöllner

»die kunst ist alles. Sie beschäftigt sich mit gott, der sexualität, dem tod.
Aber ein künstler soll nicht von diesen dingen sprechen. er sollte sie darstellen.«
Igor Mitoray

Aus dem Sprachlosen ins Sichtbare oder Hörbare zu gelangen – da haben Kunst und Analyse viel gemeinsam: Bevor etwas Begriff wird, bevor man eine Gegenübertragung tragen kann, vor dem Begriff ist die Intuition. Die Autorin Andrea Gysling erzählt anhand des Gegenübertragungsbegriffs, wie es zum geänderten Behandeln des Patienten in der scheinbar so abstinent begonnenen Psychoanalyse kam.

Als Nicht-Theoretiker setze ich auf das, was die Gegenübertragung auch kennt: Begeisterung und Leidenschaft. Ich kann mit Schwung von dem Buch »Die analytische Antwort« berichten. Die Gegenübertragung als Bildantwort kenne ich gut. Ein Gewahrwerden, wohin mich ein Bild treibt. Auch wenn es kein lebendiges Gegenüber ist, so ist doch die innere Not, nicht vorm Patienten/Bild ausweichen zu können und ein Empfänger zu sein, beiden ähnlich. Um den Kunstbegriff wird ebenso gerungen wie um den Gegenübertragungsbegriff, beider Ziel ist eine theoretische Zusammenfassung längst praktizierten empathischen Verhaltens. Wie ich ins Bild hineingerissen werden kann, so hat mich dieses Buch in seine Ordnung genommen. Es empfiehlt sich durch seinen intellektuellen Schwung von selbst. Wer inhaltliche Empfehlungen haben will, kann diese im Internet leicht bekommen.

Als Messtechniker dokumentiert Andrea Gysling Unwägbarkeiten und Grenzziehungen beim Erkunden des Systems Analytiker-Patient. Man kann sich wie auf ein Podest, auf einen Theorieansatz setzen. Wie der Begriff der Gegenübertragung immer mehr therapeutischen Raum gewinnt, Grenzwert, Sollbruchstelle, Schwingungsarbeit, Handlungslinie, das wäre die Sprache des Seeleningenieurs. All das vermag die Autorin in überhaupt nicht lebloser Fachsprache aufzuzeigen.

Ich freue mich, den persönlichen Zusammenhang der Theoriegeschichte der Psychoanalyse über diesen Begriff zu erfahren. Wissenschaft auch als Privatlogik in den Grenzen einer Persönlichkeit zu lesen ist tröstlich. Als Leser können sie spüren, welche der Schulen zu Ihnen passt. Die Anmerkungen der Autorin zu jedem der analytischen Vordenker schaffen merksatzartig Ordnung ohne Dogma.

Als Maler suhle ich mich im Primärprozess und borge mir die systematische Arbeit von anderen. Dieses Buch ist eine sehr gute Quelle zum Abschöpfen, wie es einmal hieß. Aber dies Mal um mich zu vergewissern, dass ich nicht alleine bin in künstlerischer und wissenschaftlicher Selbsttäuschung und Korrektur.

Sehr sympathisch wurde mir die Autorin, als ich ihre Zeichnungen fand.
Der Wechsel vom Sprach- ins Tuschbild mit seinen vorgegebenen Formaten muss parallel zum Buch gesehen werden. Das Festwerden und Haltgebende ihrer Tuschzeichnungen ist mir näher/lustvoller als die vermeintliche Präzision der Sprache. Die Autorin kann aber beides. Das Buch der Andrea Gysling zeichnet klar und ohne Wortakrobatik ein lebendiges Bild von Standpunkten und Diskussionen über den Gegenübertragungsbegriff vom Beginn der analytischen Therapie bis heute.

Ich mag den unautoritären Stil der Verfasserin, den ich gern in mein Denken lasse. Die so unumgängliche Subjektivität in Kunst und Psychoanalyse wird hier deutlich zum Wirkfaktor herausgearbeitet. Die Autorin selber ist die beste Illustration, dass in analytischer Wissenschaft und künstlerischem Ausdruck das Bekenntnis zum Subjektiven dazugehört. Was für den empfindsamen theoriegeschulten Therapeuten Gegenübertragung heißt, stellt sich auch aufs Kunstwerk ein. Beide, der Analytiker und der Künstler, wollen in unharmonischer Welt mit ihrer Kunst etwas heiler machen.

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