Rezension zu Die Selbstverbesserung des Menschen
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Rezension von Prof. Dr. Erich Kasten
Thema
Würde man mich fragen, was ich für die beste Erfindung der
Menschheit halte, würde ich spontan das Fahrrad nennen. Gefragt
nach der schlimmsten Erfindung fällt mir (neben Zigaretten und der
Atombombe natürlich) vor allem der Spiegel ein. Seit der Erfindung
dieser hinterrücks silberbeschichteten Glasscheibe leidet der
Mensch die meiste Zeit seines Lebens unter seinem Aussehen und es
gibt psychopathologische Störungen, die nur dadurch hervorgerufen
werden, dass wir heute in jedem Badezimmer mindestens einen davon
haben, der uns zeigt, was wir an uns nicht mögen. Wenig ist in der
Beurteilung der Außenschicht unseres Körpers dabei so gnadenlos wie
das eigene Auge. Zum Glück hat man dagegen nun das »Enhancement«
erfunden, dem sich die Autoren dieses Bandes gewidmet haben.
Das Cover des Buches ziert äußerst passend das Gemälde »Der
Jungbrunnen« von Lukas Cranach d. Ä.; auf der einen Seite werden
die Gebrechlichen und Alten herangekarrt, auf der anderen Seite
steigen sie jung und gesund wieder aus dem Bassin. Als das Gemälde
1546 entstand war das noch ein unerfüllbarer Wunschtraum, heute
vermag die moderne Medizin ihn immer weiter in die Realität
umzusetzen.
Herausgeberkreis, Autorinnen und Autoren
Der Band wurde von den beiden Medizinpsychologen Ada Borkenhagen
und Elmar Brähler herausgegeben, er umfasst Beiträge von mehreren
renommierten Autoren. Neben anderen später genannten Autorinnen und
Autoren sollen hier noch aufgezählt werden: Johann S. Ach,
Alexander Hemprich, Thomas Hierl, Matthias Kettner, Beate
Lüttenberg, Niels Christian Pausch, Andreas Singler und Christian
Wirtz.
Aufbau und ausgewählte Inhalte
Der Band umfasst 222 Textseiten, jedes Kapitel schließt mit einem
Literaturverzeichnis ab. 12 Graphiken, überwiegend Kurven und
Balkendiagramme und 5 Tabellen verdeutlichen wissenschaftliche
Zusammenhänge. Auf vier s/w-Fotos werden die Ergebnisse einer
plastischen Chirurgie dargestellt. Ein Stichwortverzeichnis fehlt
leider, dafür gibt es eine Kurzbeschreibung der Autoren.
In den zwölf Kapiteln dieses Buchs wird aufgelistet, was im
»Zeitalter des Machbaren« alles machbar ist. Und was heute machbar
ist, erscheint bei näherem Hinsehen erstaunlich, wenn nicht
unglaublich.
Schönheitschirurgie ist inzwischen nichts Neues mehr. Neu, so
schreiben Ada Borkenhagen und Elmar Brähler in ihrem Kapitel, ist
zum einen das Alter, in dem mit solchen Operationen begonnen wird
(…schon Heranwachsende wünschen sich eine Brustvergrößerung zum 18.
Geburtstag), zum anderen gibt es einen Trend zum zeitlos
skulpturalen Gesicht, das weder Mimik noch Eigenarten zeigt. »War
das körperliche Erscheinungsbild bisher Schicksal«, so schreiben
die Autoren, »so scheint die Befreiung von diesem Schicksal mittels
Schönheitsmedizin in den Zwang kontinuierlicher Verbesserung
umzuschlagen.« Im Jahr 2005 wurde die erste Transplantation eines
ganzen Gesichts durchgeführt, so kann man hier nachlesen,
inzwischen gibt es immer mehr solcher Fälle. Die Frage ist, ob und
wie gut man sich wirklich mit einem Gesicht anfreunden kann, das
dem eigenen nicht einmal ähnelt? Bin ich wirklich »ich« ohne mein
eigenes Gesicht?
Nicht fehlen darf natürlich auch in diesem Buch eine Analyse des
Trends zum schmerzhaften Körperschmuck wie Piercing und
Tätowierung, wie auch zu den seichteren Formen wie z.B. der
Entfernung von Körperhaaren. Insbesondere unter jüngeren Menschen
rasieren sich nach Daten, die Dirk Hofmeister, Lena Spangenberg und
Co-Autoren nennen, rund 90% der Frauen und 60% der Männer auch in
der Genitalregion.
Die Selbstverbesserung des Menschen ist aber nicht auf Tätowierung
und Nasenbegradigung beschränkt. Der spannend zu lesende Beitrag
von Uta Bittner geht noch einen Schritt weiter und beschäftigt sich
mit der Inkorporierung von Technik in das menschliche Gehirn.
Hirnschrittmacher und Tiefenhirnstimulation bilden wahrscheinlich
nur den Anfang einer High-Tech, die über computergesteuerte
Mikrochips vermutlich irgendwann die ganze Struktur dessen ändern
können, was wir bislang als unser unabänderliches Selbst angesehen
haben. Sie zitiert hier unter anderem ein Patienten-Beispiel aus
einer Arbeit von Dubiel (2008), in dem es heißt: »Eine kleine
Veränderung der Spannungsstärke sowie ein einfaches Umpolen der
Sonden in meinem Kopf verbesserte innerhalb einer Sekunde den
Zustand der massiven Depression, unter der ich ein Jahr gelitten
hatte. So faszinierend wie erschreckend war vor allem, dass die
Depression von mir abfiel, so als sei ein eisernes Band um meine
Seele gesprungen (…) Freunde, die ich anrief, meinten ich sei
frisch verliebt. So fröhlich muss ich geklungen haben.« Die Frage
drängt sich dem Leser auf: Lassen sich Kriminelle durch
Implantierung eines Mikrochips zu braven, hilfreichen
Durchschnittsbürgern verwandeln? Könnte man aus einem faulen, alten
Sack irgendwann im Science-Fiction-Bereich per ferngesteuerter
Erhöhung von Ampere, Volt und Ohm einen fleißstrotzenden Workoholic
machen?
Hautnah am Zahn der Zeit auch der Aufsatz von Rolf Haubl über
psychopharmakologisches Enhancement. Er zitiert die Daten eines
aktuellen Gesundheitsreports, wonach immerhin 5% der Befragten
Psychopharmaka einnehmen, um das leisten zu können, was ihnen auf
der Arbeitsstelle abverlangt wird. Und ganze 20% haben bereits
erwogen dies zu tun. Offenbar werden Psychopharmaka also längst
nicht mehr nur bei psychisch Erkrankten eingesetzt, sondern es gibt
einen Trend des überlasteten, gestressten Bundesbürgers solche
Medikamente einzunehmen, nur um irgendwie bis zur Rente durchhalten
zu können. Gerd Glaeske führt hierzu Zahlen an, wonach der
Verbrauch von Psychostimulanzien in den letzten zwei Jahrzehnten
auf das 200-fache (!) angewachsen ist. Und dabei macht diese
Medikamentengruppe nur 3,5% der geschluckten Psychopharmaka aus.
Lea Seeber und Dimitri Repantis nennen in ihrem Beitrag zum
Beispiel Zahlen, wonach rund 7% amerikanischer College-Studenten
bereits Erfahrungen mit Psychostimulanzien haben, um ihre
Prüfungsleistungen zu steigern.
Noch extremer vielleicht das Kapitel von Ada Borkenhagen und
Heribert Kentenich über »Designerbabies«: Präimplantations- und
Pränataldiagnostik erlauben es schon jetzt im Rahmen der
In-vitro-Fertilisation ansatzweise, Kinder mit genetischen
Risiko-Krankheiten auszuschließen. Die Frage ist, in welchem Ausmaß
diese Technik zukünftig genutzt werden kann, um sich – wie aus
einem Baukasten – ein Wunschkind zusammenzustellen. Immerhin, so
schreibt Silvia Janke, gibt es schon einen
»Fortpflanzungstourismus« und einen regen Handel menschlicher
Eizellen aus dem Ausland, wobei die Qualitäten der Mütter wie bei
einer Waschmittelwerbung hoch angepriesen werden, um den
Interessenten zum Kauf zu überreden.
Fazit
Die vorgestellten Beiträge sind nur einige Beispiele aus dem
hochinteressanten und zukunftsweisenden Buch. Hervorzuheben ist,
dass die Aufsätze nicht nur beschreiben was heute machbar ist, sie
lassen auch einen Blick in die Zukunft zu. Wer mit seinem Aussehen
nicht zufrieden ist, sollte daher darauf vertrauen, was im Rahmen
der Selbstverbesserung des Menschen noch alles möglich werden wird.
Oder er sollte schleunigst den verdammten Spiegel aus seinem
Badezimmer entfernen.
Rezensent
Prof. Dr. Erich Kasten
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