Rezension zu Das Väter-Handbuch
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Rezension von Dr. Dipl.-Psych. Lothar Unzner
Heinz Walter, Andreas Eickhorst (Hrsg.): Das Väter-Handbuch
Herausgeber
Prof. Dr. Heinz Walter, Diplompsychologe und Psychoanalytiker, war
bis 2007 an der Universität Konstanz tätig. Dr. Andreas Eickhorst,
Diplompsychologe, ist Koordinator des Präventionsprojektes »Keiner
fällt durchs Netz« an der Universität Heidelberg.
Die Autorinnen und Autoren der einzelnen Beiträge kommen aus
Forschung, Lehre und Praxis, mit Ausbildungen in unterschiedlichen
Fachrichtungen.
Thema
Das Thema »Vater« hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen,
in den Medien, der sozialwissenschaftlichen Forschung und der
Familienpolitik. Das Handbuch will ein solides Nachschlagewerk für
alle sein, die sich mit Väter-, Familien-, Gender- und
Gleichstellungsfragen auseinandersetzen.
Aufbau und Inhalt
Das Buch umfasst zwei Inputs, 35 Kapitel, die zu 6 Teilen
zusammengefasst sind, und einen Rück- /Ausblick.
Im ersten Input veranschaulicht Markus Hofer am literarischen
Beispiel des Parzifal die wichtige Aufgabe der Väter, Jungen an die
Männlichkeit heranzuführen. Aber, Väter sind nicht besser als
Mütter, so der zweite Input (Horst Petri). Der Stolz der neuen
Väter für die demonstrativ geliebten Kinder trägt oftmals Anzeichen
von Machtgefühl, das ihnen in anderen Gesellschaftsbereichen
entzogen worden ist.
Teil 1: Evolution, Geschichte, Kultur (5 Beiträge):
– Als erstes diskutiert Athanasios Chasiotis unter
evolutionsbiologischen Gesichtspunkten die motivationale
Ausstattung für die Übernahme einer väterlichen Rolle und erläutert
die relevanten Mechanismen der natürlichen und sexuellen
Selektion.
– Es folgt ein geschichtlicher Beitrag, in dem die Veränderung des
Vaterbilds ab dem 18. Jahrhundert bis in die Neuzeit beleuchtet
wird (Dieter Thomä).
– Den kulturellen Einfluss von Kontextbedingungen auf väterliche
Ziele, Vorstellungen und Verhalten thematisieren Bettina Lamm und
Heidi Keller. Sie besprechen öko-kulturelle Modelle und
kontrastieren als Extreme traditionelle Dorfgemeinschaften mit dem
Fokus auf psychologischer Bezogenheit und das westliche urbane
Modell mit dem Fokus psychologische Autonomie.
– Sehr persönlich ist der Beitrag von Eva Jaeggi, die die
Veränderung der Vaterrollen über die Generationen hinweg aus der
Geschichte der eigenen Familie (vom Urgroßvater bis zum Vater des
Enkels) beschreibt.
– Der letzte Beitrag in diesem Teil nähert sich dem Thema Vater
literarisch. Helmwart Hierdeis bat Schriftsteller, Psychologen und
Pädagogen, fiktive Antworten auf Franz Kafkas Brief an den Vater,
zu verfassen, und gibt in diesem Beitrag eine Analyse.
Teil 2: Politik, Gesetzgebung, Bildung (6 Beiträge):
– Die ersten drei Beiträge stellen den Stand der Väterpolitik in
den deutschsprachigen Ländern Deutschland (Johannes Huber und
Eberhard Schäfer), Österreich (Mariam Tazi-Preve) und der Schweiz
(Andreas Borter) dar. Der schweizer Beitrag wird aus Sicht des
Dachverbandes der Schweizer Männer- und Väterorganisationen
geschrieben.
– Roland Proksch greift ein heftig diskutiertes Thema auf und
plädiert für das gemeinsame Sorgerecht auch bei nichtehelicher
Vaterschaft, für die gleichberechtigte Einbeziehung des
nichtehelichen Vaters in die Erziehung.
– Michael Matzner greift die Debatte um die »Feminisierung« der
Vorschul- und Schulerziehung auf. Er sieht männliche Lehrkräfte als
wichtige Bezugspersonen und arbeitet deren Bedeutung für die
schulische und persönliche Entwicklung von Jungen heraus.
– Abschließend beschäftigt sich Helmwart Hierdeis wiederum mit dem
Brief Kafkas an den Vater als autobiografisches Thema. Er
analysiert die durch den Vergleich mit diesem Brief ausgelösten
Väter-Erinnerungen einer Gruppe von Studierenden.
Teil 3: Vaterschaft und Vatersein über die Lebensspanne (8
Beiträge):
– In der ausführlichen Analyse von Gesprächsprotokollen einer
Vätergruppe, deren Partnerinnen an einer postnatalen Depression
erkrankt waren, zeigt Fernanda Pedrina individuell unterschiedliche
Verläufe der Vaterschaftsentwicklung in den ersten beiden
Lebensjahren des Kindes auf.
– Lisa Schwinn und Britta Frey beschreiben das Lausanner
Trilogspiel in seiner Anwendung in der Eltern-Säuglings-Beratung
bei frühkindlichen Regulationsstörungen in der Heidelberger
Eltern-Säuglings-Sprechstunde und stellen es als Bindeglied
zwischen Forschung und Beratung dar.
– Jungen sind sozialisatorisch und neuronal schlechter als Mädchen
für die Anpassung an die derzeitigen gesellschaftlichen
Anforderungen gerüstet, so Eva Rass in ihrem Beitrag. Sie
beleuchtet die Vater-Sohn-Beziehung in den ersten Lebensjahren aus
entwicklungspsychologischer Sicht.
– Für die Diskussion um »Neue Väterlichkeit« legt die Arbeitsgruppe
um Urs Fuhrer die Ergebnisse einer Fragebogenstudie zu subjektiven
Vaterschaftskonzepten vor (Franziska Fuhrman u. a). Sie befragten
Eltern von Kindern im Grundschulalter und identifizieren vier
Vätertypen sowie als wichtige Einflussfaktoren das subjektive
Erleben der Vaterschaft und die subjektiven mütterlichen
Mutterschaftskonzepte.
– Der nächste Beitrag führt das Thema weiter. Die Arbeitsgruppe um
Brigitte Rollett befragte Väter zu verschiedenen Zeitpunkten von
der Schwangerschaft bis zum 15. Lebensjahr des Kindes (Harald
Werneck u.a.). Die längsschnittlich beobachten Veränderungen der
Vätertypen werden diskutiert.
– Anschließend beschäftigen sich Christina Erdmann und Arist von
Schlippe mit einem Nischenthema (Unternehmer als Väter und die
Nachfolgebereitschaft der Söhne) aus systemischer Perspektive.
– Ulrike Borts und Bruno Hildenbrand berichten an Hand von
Fallbeispielen aus der Therapie von jungen Männern über die Rolle
des Vaters, besonders im Ablöseprozess des Sohnes.
– Abschließend beschreibt François Höpflinger die neue Rolle der
Großväter und berichtet über eine Befragung von heranwachsenden
Enkelkindern.
Teil 4: Herausforderung Väterforschung (5 Beiträge):
Die Beiträge dieses Teils haben überwiegend den männlichen
Kinderwunsch zum Thema:
– Die Arbeitsgruppe um Andrea Maihofer (Diana Baumgarten u.a.)
berichtet über den Zusammenhang mit Familiengründungsprozessen und
veranschaulicht dies mit vier Fallbeispielen.
– Christiane Rille-Pfeiffer verwendete Interaktionsinterviews von
Paaren für die Untersuchungen über den Zusammenhang mit männlichen
Fertilitätsentscheidungen.
– Die Arbeitsgruppe um Urs Fuhrer (Holger von der Lippe u.a.)
untersuchte Kinderwunsch und Übergang zur Erstvaterschaft mit einem
methodenintegrativen Ansatz.
– René Levy u.a. analysieren Verlaufstypen bzgl. Erwerbsrate und
Aufteilung der Familienarbeit über den Lebenslauf hinweg für Männer
und Frauen.
– In einer Fallrekonstruktion analysiert Stefanie Kiefer die
Kinderlosigkeit eines 79-jährigen Mannes.
Teil 5: Einladungen an Väter (6 Beiträge):
– In zwei sehr persönlichen und engagierten Beiträgen werben
Christian Aegerter und Ivi Knill für das Engagement der Väter von
Beginn an, sie fordern auf, sich einzubringen, aber auch
Lebenskraft klug und selbstbestimmt einzusetzen.
– In Interviewform zieht Christoph Popp ein Fazit des Engagements
für Väterarbeit.
– Wie Väter in vorhandene pädagogische Angebote einbezogen werden
können, so in den pädagogischen Alltag des Kindergartens (Achim
Weise) oder in Programme der Familienbildung bei
Vater-Kind-Aktivitäten (Ansgar Röhrbein), zeigen die beiden
Beiträge. Empathie und Verständnis für die Väter ist eine wichtige
Voraussetzung.
– Angebote für Männer werden oft nur spärlich angenommen. Tobias
Bücklein, ein »Väteraktivist«, kommt zu dem Schluss, dass Kabarett
und Comedy gute Einstiegmöglichkeiten eröffnen.
Teil 6: Räume für Väter (5 Beiträge):
– Ein Beispiel eines Raumes für Väter ist das Väterzentrum. Wie ein
solches attraktiv gestaltet werden kann (schon angefangen bei der
Namensgebung), zeigt das Beispiel des »Papaladen« in Berlin
Prenzlauer Berg (Eberhard Schäfer und Marc Schulte).
– Das Beispiel eines Aktionsforums im Rhein-Main-Gebiet zeigt die
Entwicklung und Umsetzung von Initiativen und Projekten (Harald
Seehausen).
– Impulse für die Väterarbeit versucht auch als großer
Wohlfahrtsverband das Deutsche Rote Kreuz zu geben. Volker Mosemann
und Robert Richter erarbeiteten eine Handreichung.
– Bernhard Bresinski diskutiert Regelungen der Elternzeit für Väter
im europäischen Vergleich, die die Vereinbarkeit von aktiver
Elternschaft und Beruf ermöglichen sollen, und geht dabei vor allem
auf das Vorbild Schweden ein.
– Hindernisse in den Köpfen verhindern die Vereinbarkeit von Beruf
und aktiver Vaterschaft. Hans-Georg Nelles zeigt Potenziale und
Chancen einer väterbewussten Unternehmens- und Personalpolitik.
Rückblick und Ausblick
Abschließend geht Heinz Walter nochmals auf die Herausforderungen
und Probleme der »neuen« Vaterschaft ein, zeigt die Heterogenität
z.B. am Modell der Sinus-Studie Milieus und prangert die
neoliberale Kälte in der heutigen Wirtschaft an, die den Interessen
von Mutter und Vater und der Betreuung eines Kindes an einem
gemeinsamen Ort diametral entgegen stehen.
Diskussion
»Auch heute noch sind 50 Prozent der Eltern … Väter« (Bücklein S.
588). Diese kabarettistische Aussage macht sehr deutlich, dass bei
Eltern erstmal an die Mutter gedacht wird, väterliche Belange
vergessen oder vernachlässigt werden. Dies wollen »neue« Väter
verändern.
Ich empfehle, die beiden Inputbeiträge nicht zu überspringen. Sie
regen zum Nachdenken an und bereiten das Spannungsfeld der Thematik
gut vor. Als Mann und Vater fühlt man sich erst geschmeichelt, aber
dann auch etwas provokativ herausgefordert.
Es ist den Herausgebern gelungen, Autorinnen und Autoren aus vielen
unterschiedlichen Gebieten in diesem Band zusammenzuführen. So
konnten vielfältige Facetten aufgegriffen werden, von rechtlichen
und gesellschaftspolitischen Aspekten, Forschung bis zu konkreten
Projekten. Alle Kapitel sind interessant.
Auch der Praktiker in der Elternberatung erfährt, dass die
Einbeziehung des Vaters, der väterlichen Einstellungen in der
Beratungspraxis noch nicht befriedigend gelöst ist. Auch einzelne
kleine Anregungen können entnommen werden, so z.B. den Unterschied
in der Begrüßung der Eltern eines Kindes bei einem
Beratungsgespräch zwischen »Schön, Herr X, dass Sie mitkommen« und
»Schön, Herr X, dass Sie da sind«.
Zu bemängeln ist lediglich die Qualität der Buchbindung; Seiten
lösen sich beim Blättern stellenweise ab.
Fazit
Das Buch greift sehr viele Facetten der Väterlichkeit auf, gibt als
Handbuch einen weiten Überblick und spricht auch Probleme klar an.
Es ist allen, die an dem Thema »(neuer) Vater« interessiert sind,
als Elternteil, Forschender oder Praktiker, sehr zu empfehlen.
Hoffentlich hält die Buchbindung den intensiven Gebrauch eines
Handbuches aus.
Rezensent
Dr. Dipl.-Psych. Lothar Unzner
Leiter der Interdisziplinären Frühförderstellen im Landkreis Erding
im Einrichtungsverbund Betreuungszentrum Steinhöring
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