Rezension zu Thomas Manns Geisterbaron
Lübecker Nachrichten, 25. Mai 2012
Rezension von Jürgen Feldhoff
Der Meister der spiritistischen Sitzungen
Biografie über Albert von Schrenck-Notzing.
Lübeck – Albert von Schrenck-Notzing (1862-1929) war einer der
Pioniere der Tiefenpsychologie und der Hypnosetherapie. Und er war
– zumindest von seinen mittleren Jahren an – ein praktizierender
Okkultist, der viele Menschen in seinen Bann zog, darunter auch
Thomas Mann. Über diesen Arzt, Seelenforscher und Hypnotiseur hat
der Literaturwissenschaftler Manfred Dierks eine Biografie
geschrieben, die er jetzt im Buddenbrookhaus vorstellte.
Besonders lesenswert sind Biografien, wenn sie über das Subjekt
der Beschreibung hinaus ein Porträt der Epoche zeichnen. Das ist
Manfred Dierks mit seinem Buch über »Thomas Manns Geisterbaron«
gelungen. Mit nur scheinbar leichter Hand ist dieses Buch
geschrieben. Der Parlando-Ton täuscht aber nicht darüber hinweg,
dass neben den zahlreichen anekdotischen Abschnitten ein überaus
ernstes Thema zur Sprache kommt: die Wissenschaft von der
menschlichen Psyche in Zeiten der tiefsten politisch-ökonomischen
Depression Deutschlands. Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg war
gerade München, wo Albert von Schrenck-Notzing lebte, ein
Schmelztiegel der geistigen Strömungen der Zeit. Lebensphilosophen
wie Ludwig Klages, reanimierte alte Römer wie Alfred Schuler, der
Anthroposoph Rudolf Steiner, der junge Adolf Hitler: Alle diese
Denker und Täter hatte eine enge Beziehung zur Esoterik. Da kam
Schrenck-Notzing mit seinen wissenschaftlich verbrämten okkulten
Experimenten gerade richtig. Zuzuschreiben ist ihm allerdings neben
all den Fragwürdigkeiten eine große Beförderung der
Hypnosetherapie, wenngleich er sie seltsam einsetzte. Schrenck
»heilte« durch Hypnose Homosexuelle von ihrer »Krankheit«. Auch das
mag Thomas Mann an diesem Freiherrn interessiert haben.