Rezension zu Ein Junge namens Sue
L-Mag. Das Magazin für Lesben. Mai/Juni 2012
Rezension von Jana Tosch
Selbst gemachtes Leben
Alexandra Köbele hat Transsexuelle über ihre Lebenswirklichkeiten
befragt
»Wie bist du zu der Person geworden, die du jetzt bist?« – Mit
dieser Eingangsfrage konfrontiert Psychologin, Familientherapeutin
und Theaterpädagogin Alexandra Köbele zwei Transfrauen und drei
Transmänner, mit denen sie biografisch-narrative Interviews geführt
hat. Ihre Studie zum Transsexualismus kreist unter anderem um
Themen wie Körperlichkeiten, sexuelle Orientierung und
Vorstellungen von Geschlecht.
Der 42-jährige Jan betrachtet sich zum Beispiel als "normaler"
Mann, dessen Transsein nur ein vorübergehender Zustand gewesen ist.
Anders der 37-jährige Anton, der mit Freundin und Kind
zusammenlebt: Er versteht sich auch nach der Transition als
Transmann. Außerdem bezeichnet er sich lieber als »homo« statt als
»hetero«, weil er sich wie zuvor mit der Lesbenszene
identifiziert.
Köbele liefert kein weiteres theoretisches Erklärungsmodell zum
Transsexualismus. Vielmehr zeigt sie, wie die Lebenswirklichkeiten
der von ihr befragten Transsexuellen beim Erzählen ihrer Biografien
überhaupt erst entstehen. Zwar gestaltet sich die Lektüre aufgrund
langer Zitatpassagen stellenweise zäh, dafür gelingt es Köbele, die
Lebens- und Gedankenwelten der Interviewten komplex zu erfassen.
Erfolgreich wirkt sie auch einer Psychologisierung und
Pathologisierung entgegen, wie sie in Theorien über den
Transsexualismus noch häufig anzutreffen sind.