Rezension zu Okkulte Ästhetik

Luzifer-Amor. Zeitschrift zur Geschichte der Psychoanalyse. Heft 48. 24. Jg. 2011

Rezension von Andreas Mayer

Als Thomas Mann 1924 in der »Neuen Rundschau« von seinem Besuch einer Séance bei Albert von Schrenck-Notzing berichtete, hatten die Experimente des Barons mit verschiedenen Medien bereits eine fragwürdige Berühmtheit erlangt. Die am Vorabend des Ersten Weltkriegs publizierte Studie über die Materialisationsphänomene des Mediums Eva C. hatten in München zu Kontroversen und Skandalen geführt. Obwohl Mann, der sich selbst als »positiven Skeptiker« in Sachen Okkultismus und damit als wohlwollenden teilnehmenden Beobachter bezeichnete, die von ihm miterlebten Vorgänge in Schrenck-Notzings Haus zuwider waren, ließ er die Frage nach ihrem Realitätsstatus offen: Indem er sie auf den Begriff der »Gaukelei« brachte, wollte er der »Alternative von Betrug und Wirklichkeit« entkommen. Was dem Schriftsteller experimentalwissenschaftlich unentschieden bleiben musste, fand er jedoch aus ethischen und ästhetischen Gründen verwerflich.

Im Hinblick auf eine erschöpfende Erklärung der okkulten Phänomene sind nachgeborene Historiker nicht unbedingt besser platziert als die Beobachter, die sich einst neugierig in Schrenck-Notzings Salon drängten. Ein gewisses skeptisches Wohlwollen ist jedoch für eine detaillierte Beschäftigung mit Leben und Werk des Barons zweifellos vonnöten. Angesichts der Fülle dieses Werks erstaunt es nicht, dass trotz diverser Ausstellungen und Bücher, die sich in den letzten Jahren mit der kulturhistorischen Bedeutung parapsychologischen Experimentierens befasst haben, bisher niemand eine eigene Monographie zu Schrenck-Notzing verfasst hat.

Die von Timon Kuff vorgelegte Dissertation beansprucht, die bereits den Zeitgenossen kurios erscheinende Phänomenologie der Parapsychologie kulturhistorisch zu erhellen, und stellt insbesondere die (schon von Th. Mann implizit gestellte) Frage, ob von einer genuin »okkulten Ästhetik« gesprochen werden kann. Das Buch zerfällt im Wesentlichen in zwei Teile, die durch den Bruch in Schrenck-Notzings Karriere biographisch vorgegeben sind: Der erste Teil (Kap. 1) behandelt die Periode, in der der junge Mediziner sich der Bewegung der Suggestionstherapie anschloss, wie sie in den 1880er Jahren von Ambroise Liébeault und Hippolyte Bernheim in Nancy und außerhalb Frankreichs vor allem von dem Schweizer Psychiater Auguste Forel ausging. Nach einem weitgehend biographisch gehaltenen Übergangskapitel (Kap. 2) widmet sich der zweite, weitaus umfangreichere Teil (Kap. 3-6) der Erforschung okkulter Phänomene, der sich Schrenck-Notzing nach der Jahrhundertwende hauptsächlich verschrieb und mit der sein Name bis heute verbunden ist.

Die Arbeit Kuffs ist reich illustriert und bietet, mit vielen Exkursen, eine durchaus informative Lektüre. Dass sie dennoch weitgehend enttäuscht, liegt hauptsächlich an der parteiischen Vor-Einstellung des Autors zu seinem Gegenstand. Zwar wird vor allem im 2. Kapitel eine kulturhistorische Kontextualisierung Schrenck-Notzings versucht, doch verhindert die in den übrigen, der Hypnose und den Materialisationsphänomenen gewidmeten Kapiteln vorherrschende Tendenz zur Entlarvung eine nüchterne Einschätzung der Phänomene. Anstatt genauere Analysen des Text- und Bildmaterials vorzulegen, neigt Kuff immer wieder zu überspitzten kritischen Formulierungen und einem schablonenhaften Psychologismus. In den Hypnose-Experimenten mit der »Traumtänzerin« Madeleine Guipet erkennt der Autor zum Beispiel nicht mehr als eine Vermischung der »Projektionen utopisch-idealistischer Motive mit einer wissenschaftlich-positivistischen Herangehensweise, wobei die wissenschaftliche Methodik zweckgerichtet als Erfüllungswerkzeug benötigt wurde« (S.220).

Der Einsatz der Fotografie wird ebenso undifferenziert oft auf eine Form der »medialen Zurichtung« (S. 221) reduziert, eine Funktion, die auch früheren Gebrauchsweisen (etwa bei Duchenne de Boulogne) pauschal zugeschrieben wird, ohne dass das komplizierte Verhältnis von künstlerischen und wissenschaftlichen Praktiken genauer aufgezeigt wird (vgl. S. 267 ff.). Die nahezu 130 Abbildungen begleiten den Text überwiegend illustrativ und werden selten argumentativ verwoben oder analytisch diskutiert. Im Hinblick auf historische Quellenarbeit und die Aufklärung von Detailfragen, etwa die Wechselbezüge Schrenck-Notzings zur Psychoanalyse (S. 186, 252) oder die Medien, mit denen er arbeitete, erfährt man leider nicht viel. Auch bevorzugt Kuff einseitig die Arbeit des Barons mit Frauen und rückt damit die ebenso spektakulären Auftritte männlicher Medien (wie etwa des Österreichers Willi Schneider, dessen Fähigkeiten Th. Mann verblüfften) ganz aus dem Blickfeld. Dieses Ausblenden ist wohl auch dem Umstand geschuldet, dass er Schrenck-Notzings Verhältnis zu den Medien als Ausdruck einer »fetischistischen« Leidenschaft versteht, in der erotische »Wunschfiguren« des Experimentators zum Ausdruck kommen. Die Geschichte der Materialisationsphänomene ist für Kuff »zu einem nicht geringen Teil auch die der Zwangsneurose von Schrenck-Notzing. [...] Die Materialisationsphänomene sind ein compositum mixtum aus psychopathologischem Kasperletheater für Erwachsene und kaschierter sexueller Passion« (S. 487). Man mag sich fragen, warum der Autor so viele Seiten benötigt, um zu diesem Fazit zu kommen.

Andreas Mayer (Berlin)

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