Rezension zu Trauma

Psychologie Heute. Heft 5/2012. 39. Jahrgang

Rezension von Alexander Kluy

Trauma revisited
Vier Bücher beleuchten ein wieder aktuelles Urthema der Psychoanalyse

Die Psychoanalyse »begann als Theorie der sexuellen Traumatisierung von Kindern und ihren Langzeitfolgen«. Derart bestimmend setzt Mathias Hirschs Monografie Trauma ein. Und ebenso bestimmend fährt er fort: »In treuer Gefolgschaft ließen die Vertreter des Mainstreams der Psychoanalyse jahrzehntelang Freuds Dogma vom Primat des ödipalen Triebkonflikts gelten«, so der Facharzt für Psychiatrie und Lehrbeauftragte an der Universität Hamburg. Erst heute könne aufgrund der Entwicklungen in den letzten zwanzig Jahren eine Umkehr bemerkt werden.

Für Hirsch spiegelt das Schicksal der Traumakonzepte die Geschichte der Psychoanalyse wider: »Sie begann als Theorie der Hysterie.« Und dies wurde damals »als Folge innerfamiliärer Traumatisierung betrachtet«.

Hirsch zufolge verblasste angesichts einer dominanten Triebtheorie die Bedeutung des Traumas, das dann in der Ich-Psychologie reduziert wurde auf ein »rein psychoökonomisch konzipiertes Aufbrechen eines Reizschutzes«.

Seit etwa Mitte der 1970er Jahre ist »Trauma« in Psychoanalyse, Psychotherapie und in der Psychiatrie wie auch in der praktischen Sozialarbeit zu einem fast inflationär gebrauchten medialen Schlagwort geworden und infolgedessen etwas verschliffen. An seiner Definition hat das nichts verändert: Es handelt sich um ein massives Einwirken auf die Psyche des Einzelnen mit destruktiven Folgen. Traumatisches bedeutet nichts anderes als »die Zerschlagung des Reizschutzes des Ichs, das die Gewalterfahrung nicht integrieren kann«. Um seelisch zu überleben, greift das Individuum zum einen auf Dissoziation, also die Abspaltung vom Ich, zurück, zum anderen auf Internalisierung, das Einfrieren von Affekten.

Hirschs Taschenbuch ist eine gute Einführung, die sich mit kleineren Abstrichen als Einstieg in dieses Themenfeld eignet. Es bildet den Auftakt der neu lancierten Reihe »Analyse der Psyche und Psychotherapie«. Die Umfangsbeschränkung gehört zum Konzept, führt in diesem Fall jedoch sprachlich an einigen Stellen zu einer zu starken Zuspitzung.

Deutlich betont Hirsch den wohl zentralen Aspekt bei Traumatisierten: ihre Sprachlosigkeit, das Unvermögen, mittels eines logisch strukturierten Wortschatzes unlogisch Einschneidendes und Verstörendes adäquat auszudrücken. »Fehlen Bilder, fehlt die symbolisierende Sprache, dann muss eben der Therapeut aktiv diese Lücke füllen«, schreibt Hirsch. Eine solche Aktivierung steht seit 35 Jahren im Zentrum der therapeutischen Arbeit Peter A. Levines. Der 1942 geborene medizinische Biophysiker und Psychologe, der unter anderem auch die NASA beriet, entwickelte die Methode des somatic experiencing, eine körperbasierte Aufarbeitung traumatischer Erfahrungen und Erlebnisse. »Ein Trauma«, meint Levine, »ist im Nervensystem gebunden. Es ist somit eine biologisch unvollständige Antwort des Körpers auf eine als lebensbedrohlich erfahrene Situation. Das Nervensystem hat dadurch seine volle Flexibilität verloren. Wir müssen ihm deshalb helfen, wieder zu seiner ganzen Spannbreite und Kraft zurückzufinden.«

Was Levine mit Sprache ohne Worte vorlegt, ist anlässlich der Veröffentlichung der englischen Ausgabe im Jahr 2010 bereits als sein Opus magnum bezeichnet worden. Nicht ganz zu Unrecht: Das Buch ist eingängig, allgemein zugänglich und durchgehend verständlich gehalten. Levine kartiert die Verheerungen infolge eines Traumas und schildert Ansätze für erfolgreiche Therapien, die zu erneuertem Erleben einer eigenen, als entfremdet empfundenen Körperlichkeit führen können. Streiten kann man dagegen über seinen finalen Schritt, hin zu einer von asiatischer Mystik und Meditation geprägten Spiritualität, die er als »Energie« bezeichnet.

Der Sammelband für die Behandlung komplexer (post)traumatischer Belastungsstörungen ist buchstäblich wie preislich gewichtig. Im Untertitel tritt er unangemessen bescheiden als »evidenzbasierte Anleitung« auf. Vor allem für Kliniker sind die 19 Beiträge über jüngste intellektuelle wie therapeutische Ansätze der komplexen posttraumatischen Belastungsstörung sehr lohnend. Herausgegeben haben ihn die in Washington, D. C. praktizierende Psychotherapeutin Christine Courtois und der an der University of Connecticut lehrende Psychiater Julian Ford, der zudem zwei an seine Hochschule angeschlossene Kliniken zur Behandlung von Traumapatienten leitet. Dabei muss der Leser allerdings einen oft schwerfälligen akademischen Duktus in Kaufnehmen – inklusive labyrinthischer Satzkonstruktionen und einer reichen Fülle an Literaturverweisen, die infolge der Zitierweise mitten im Fließtext die Lektüre gelegentlich stark ins Stocken bringen.

Opfer von familiärer Gewalt, Missbrauch oder auch Naturkatastrophen können – zumindest in Europa – häufig mit einem soliden therapeutischen Unterstützungsprogramm rechnen. Demgegenüber werden traumatisierte Flüchtlinge und politisch Verfolgte häufig vernachlässigt. Dass diese auch in unserer Gesellschaft nicht selten respektlos oder entwertend behandelt werden, zeigt Klaus Ottomeyer, Professor für Sozialpsychologie in Klagenfurt, anhand eindringlicher Fallstudien. In seinem instruktiven Band schildert er das Schicksal schwer traumatisierter Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge und Verfolgter, die Opfer politischer oder staatlicher Gewalt wurden.

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