Rezension zu Trauma im Film
Jahrbuch für Literatur & Psychoanalyse. Freiburger literaturpsychologische Gespräche, Bd. 31
Rezension von Asokan Nirmalarajah
Rezension von Asokan Nirmalarajah zu:
Sabine Wollnik / Brigitte Ziob (Hg.): Trauma
im Film. Psychoanalytische Erkundungen
Yvonne Frenzel Ganz / Markus Fäh (Hg.):
Cinépassion. Eine psychoanalytische
Filmrevue
Die Psychoanalyse, das belegt nicht zuletzt ihre Prominenz
in zeitgenössischen Objektivationen westlicher Populärkultur, zählt
zu den berühmtesten und meistverwendeten Lektüreschlüsseln unserer
Zeit. Als das scheinbar unverzichtbare Instrumentarium jeder
Figurencharakterisierung ist sie allerdings nicht mehr nur den
Geisteswissenschaften vorbehalten, sondern nimmt auch in
populärkulturellen Texten immer häufiger eine handlungstragende wie
bedeutungsgenerierende Funktion ein. In den USA spricht manch ein
Kulturkritiker bereits von einer Übersättigung der westlichen
Kultur durch psychoanalytische Denkmodelle. Der Rückgriff auf
psychotherapeutische Erzählmuster und psychoanalytische
Erklärungsmodelle in Literatur, Film und Fernsehen gestaltet sich
dabei freilich oft ebenso wenig differenziert wie
alltagspsychologische Deutungsversuche. Doch als eine Theorie, die
die Ursachen für zeitgenössische Konfliktfelder im Vergangenen, im
Verdrängten und in allen möglichen Traumata sucht und mit einigem
Stolz findet, genießt die Psychoanalyse weiterhin große
Beliebtheit. Dies zeigt sich vor allem darin, wie häufig neben der
etablierten Gattung des psychologischen Romans nun auch Filme und
Fernsehserien nicht mehr nur psychologischen Fragestellungen
nachgehen, sondern gleich psychotherapeutische Situationen in ihre
Handlung einarbeiten. Die Psychoanalyse ist so zu einem
omnipräsenten kulturellen Referenzgegenstand geworden, der mit der
praktizierten Psychoanalyse jedoch nur noch wenig gemein hat.
Die Beiträge zu den zwei vorliegenden Sammelbänden aus dem Gießener
Psychosozial-Verlag künden insofern von der geschulten
Wiederaneignung der Psychoanalyse durch zwei Verbände
hauptberuflicher Psychoanalytiker und Psychotherapeuten. Doch die
»psychoanalytischen Erkundungen« bzw. die »psychoanalytische
Filmrevue«, von denen die Untertitel der Bände sprechen, gestalten
sich selten avancierter als die amateurpsychologischen
Besprechungen der Filme im Feuilleton. Wie bei den vorangegangenen,
von mir im letzten Band des »Jahrbuchs für Literatur und
Psychoanalyse« vorgestellten Büchern aus der Reihe der
»Psychoanalytische[n] Filminterpretationen« des
Psychosozial-Verlags handelt es sich hier erneut um bunte
Zusammenstellungen von persönlich gefärbten, wissenschaftlich eher
wenig ergiebigen Essays, in denen sich die Autoren mit ihren
ausgewählten Lieblingsfilmen auseinandersetzen dürfen.
Der erste Sammelband »Trauma im Film«, herausgegeben von den
Psychoanalytikerinnen Sabine Wollnik und Brigitte Ziob, ist wie
bereits Wollniks »Zwischenwelten« von 2008 aus einer
Gemeinschaftsaktion der Psychoanalytischen Arbeitsgemeinschaft
Köln-Düsseldorf e.V. mit dem Kölner Lichtspielhaus »Off-Broadway«
hervorgegangen, aus den populären »filmpsychologischen
Betrachtungen«, in denen Psychoanalytiker an jedem zweiten
Sonntagnachmittag im Monat ausgewählte Filme vorstellen und
interessierte Kinobesucher im Anschluss zur Diskussion laden.
Anstelle von Diskussionsprotokollen, in denen die vielen
verschiedenen Stimmen der Zuschauer zum Film hätten zu Wort kommen
können, werden den Lesern hier überarbeitete Versionen der Vorträge
vorgelegt, die diesmal Spielfilme in den Blick nehmen, die
verschiedene Traumata verhandeln. Die Filmauswahl beschränkt sich
zeitlich mehr auf Produktionen der 1990er und 2000er Jahre, ist
aber sehr international orientiert und findet nur für eine einzige
große Hollywood-Produktion Platz: Steven Spielbergs CATCH ME IF YOU
CAN (2002). Alle besprochenen Filme des Bandes handeln von Figuren,
die unterschiedliche traumatische Erfahrungen machen und einen
langwierigen Verarbeitungsprozess durchlaufen. Ausgewählt wurden
somit Filme, die, wie Wollnik und Ziob in ihrer Einleitung (S.
9-19) wiederholt erklären, keinen traumatisierenden Effekt auf den
Zuschauer haben, sondern den Umgang mit diversen Traumata schildern
(vgl. S. 14, 16-17). Die psychoanalytisch geschulten Beitragenden
sind dabei vor allem an der dramaturgischen und ästhetischen
Darstellung von Traumatisierungen aller Art in Filmen und an der
quasi-therapeutischen Funktion solcher Filme für den einzelnen
Zuschauer und dem dadurch möglichen Erkenntnisgewinn für die
Gesellschaft interessiert (vgl. S. 11).
Wie in ihrem früheren Band geht es Wollnik, die ebenso wie die
Kollegin Ziob vier eigene Aufsätze zu diesem Band beisteuert,
darum, die »[g]ute[n] Filme« herauszustellen, »die sich, ob bewusst
oder unbewusst, immer mit Themen [befassen], die einen genauen
Blick auf Zeitströmungen, aktuelle Ängste, die Struktur von
Beziehungen, Veränderungen der Lebensbedingungen und der damit
verbundenen Lebensgewohnheiten ermöglichen« (S. 9). Und als ein
wichtiges Filmthema der letzten Jahre betrachten die
Herausgeberinnen das Trauma, die psychische und/oder physische
Extremerfahrung des ›Realen‹, an deren symbolischer Bewältigung
sich sowohl Regisseure als auch Psychoanalytiker verstärkt
versuchen würden, da man gerade in den letzten zwei Jahrzehnten mit
einer überwältigenden Zahl schwer zu verarbeitender Traumata
konfrontiert worden sei (S. 9-10). Es ist sicherlich kein falscher
Ansatz, den Film als einen kulturellen Verhandlungsraum ernst zu
nehmen, in dem verschiedenartige Auseinandersetzungen mit
einschneidenden politischen, ökonomischen und ökologischen
Ereignissen stattfinden. Nur gestaltet sich die Erarbeitung dieser
Diskurse weder sachlich noch differenziert, sondern allzu
persönlich.
Auf eine Einleitung, die die Geschichte des psychoanalytischen
Traumabegriffs knapp umreißt (S. 11-14), folgen 20
Filmbesprechungen, die ungleichmäßig unterteilt sind nach fünf
verschiedenen Traumata. Die Palette reicht dabei von
Beziehungstraumata durch Verlust (eines elterlichen Liebesobjektes
in Michel Gondrys »The Science of Sleep« [2006], kultureller
Identität in Fatih Akins »Auf der anderen Seite« [2007] oder der
Jugend in Andreas Dresens »Wolke 9» [2008]) oder auf Grundvon
sexueller Gewalt in Ang Lees »Brokeback Mountain«(2005) bis hin zu
physischenTraumata durch Störungen der körperlichen Integrität in
Alejandro González Iñárritus »Amores Perros« (2003) und »21 Gramm«
(2003). Auch der Traumatisierung durch politische oder kriegerische
Gewalt wird mit Aufsätzen zu Roberto Benignis »La Vita é Bella«
(1997) und Hany-Abu Assads »Paradise Now« (2005) hier sehr viel
Platz eingeräumt. In ihrer Struktur und Qualität sind die Beiträge
relativ austauschbar: Auf eine knappe Einleitung, in der
Entstehungs- und Rezeptionskontexte angeschnitten und mit einer
kurzen Biographie der Regisseur als ›Autor‹ des Films geehrt wird,
folgt eine kommentierende Inhaltswiedergabe mit reichlich
psychoanalytischem Fachvokabular. Dabei handelt es sich nicht um
Lektüren, die gegen den Strich argumentieren, sondern um solche,
die die vermeintlichen ›Aussagen‹ der Filme ausbuchstabieren. Durch
den oft fehlenden Bezug auf die Sekundärliteratur entstehen so zwar
respektvolle Essays, die den Filmen jedoch nur bekannte
Erkenntnisse entlocken.
Auch die Beiträge zu dem zweiten vorliegenden Sammelband
»Cinépassion«, herausgegeben von den in Zürich tätigen
Psychoanalytikern Yvonne Frenzel Ganz und Markus Fäh, sind weniger
an einer Diskussion der Forschungslage zu ihren Filmen interessiert
als an deren unmittelbarer Wirkung auf den jeweiligen Verfasser. Es
handelt sich bei den Aufsätzen also durchweg um werkimmanente
Filmanalysen, in denen die Filmgeschichte relativ unreflektiert
bleibt und die Aussagen der Filmemacher oft als prominente
Argumentationsstützen genutzt werden. Als aussagekräftige Quellen
werden in beiden Bänden daneben nicht selten wissenschaftlich nicht
annehmbare Wikipedia-Artikel herangezogen. Die Filmauswahl von
»Cinépassion« steht im Unterschied zu »Trauma im
Film« nicht unter einem übergreifenden Thema, sondern
versammelt eine Auswahl von Kommentaren aus den ersten drei
Veranstaltungsjahren der Programmreihe »Cinépassion«, in der
Analytiker in Zusammenarbeit mit der Züricher Kinokette »Arthouse
Commercio Movie AG« kurz Filme ankündigen, dann vorführen und
anschließend einen viertelstündigen psychoanalytischen Kommentar
dazu vortragen, der die Zuschauer zur Diskussion anregen soll.
Die nach der Chronologie des Programms geordneten Beiträge sollen,
so die Herausgeber in ihrem Vorwort (S. 9-11), »die Arbeitsweise
der heutigen Psychoanalyse in ihrer ganzen Vielfalt« reflektieren
und bewegen sich hierfür »auf breitem und heterogenem theoretischen
Terrain« (S. 11). Die Vielfalt der psychoanalytischen Ansätze
korrespondiert dabei mit der bunt gemischten Filmauswahl, die von
Genrefilmen (Ridley Scotts ALIEN [1979]) über Mainstreamfilme
(David Finchers FIGHT CLUB ([1999]) und New Hollywood-Werken (recht
gelungen: Johannes Binottos »Schnitttechnik des psychischen
Apparats« zu Francis Ford Coppolas THE CONVERSATION [1974], [S.
21-28]) bis hin zum internationalen Arthouse-Kino, unter anderem
aus Russland (Andrej Tarkovskijs STALKER [1979]), Japan (Akira
Kurosawas RASHOMON [1950]) und Frankreich (Louis Malles DAMAGE
[1992]), reicht. Abgerundet wird der Sammelband mit einer
umfassenden Filmografie, die nicht nur die Daten, sondern auch eine
komplette Inhaltsangabe aller besprochenen Produktionen aufführt
(S. 203-222). Die Argumentationsstruktur der Beiträge ist immer
dieselbe: Eine kurze Einführung mit Hintergrundinfos und
Regisseur-Biografie und einem langen Kommentar mit
interpretatorischen Ausführungen, die immer nur dann überzeugen,
wenn nicht von der Intention des Regisseurs (oder wie in Bianca
Gueyes Beitrag »Der Storch von Manhattan« zu Roman Polanskis
ROSEMARY’S BABY [1968] von dessen persönlichen Schicksalsschlägen
als Inspiration für sein künstlerisches Schaffen [S. 49-58, hier S.
56 f.]) die Rede ist, sondern die Beschreibung der filmischen
Mittel und ihrer Wirkung im Vordergrund steht. Den Mittelpunkt der
Analyse bilden in der Regel der jeweilige Protagonist des Films und
seine psychologische Entwicklung im Handlungsverlauf. Auch hier
prägen wie bei dem anderen vorliegenden Band der »persönliche
Hintergrund und die theoretischen Präferenzen der Kommentatorinnen
und Kommentatoren« die Aufsätze, wobei man sich dann doch die Frage
gefallen lassen muss, worin der Zweck der »unverwechselbare[n]
Handschrift ihrer jeweiligen Verfasserin bzw. ihres jeweiligen
Verfassers« (S. 10 f.) bestehen soll, wenn man als in erster Linie
wissenschaftlich orientierter Leser nicht unbedingt an
psychoanalytisch akzentuierten Rezensionen von Filmen interessiert
ist, die man in dieser Form auch im Feuilleton oder sogar im
Internet finden kann.