Rezension zu Ein Junge namens Sue
Wir Frauen. 39. Jahrgang. Frühjahr 1/2012
Rezension von Gabriele Bischoff
In Berlin lebt zurzeit ein elfjähriges Kind, dessen Geschlecht zum
Kampffeld der Eltern geworden ist. Das Kind ist transsexuell, ein
Mädchen mit den Geschlechtsmerkmalen eines Jungen. Die Mutter
akzeptiert und unterstützt das Kind, das schon immer wusste, dass
es ein Mädchen ist. Nun ist das Kind in der Pubertät, möchte mit
Östrogenen behandelt werden und der Vater will mit Hilfe des
Jugendamtes das Kind in die geschlossene Psychiatrie einweisen
lassen. Der Vater täte gut daran, die Studie von Alexandra Köbele
zu lesen. Im Jahre 2006 hat sie fünf Interviews mit Transsexuellen
über deren Lebensgeschichten geführt.
Herausgekommen ist ein herausforderndes Buch über die
Identitätsfindung dieser fünf, die sich nicht den gängigen
Geschlechterkategorien zugehörig fühlen. Die Psychologin
hinterfragt beständig ihre Motivation, will die Interviewten nicht
zerpflücken oder gar »psychoanalysieren«. Die Nahaufnahme ist
gelungen. Das Buch sei all jenen ans Herz gelegt, die verstehen
wollen, warum Menschen sich mit ihrem körperlichen Geschlecht nicht
anfreunden können. Und als Pflichtlektüre für diejenigen, die
solche schwerwiegenden Entscheidungen treffen müssen, wie die
Mitarbeiter_innen vom Jugendamt in Berlin.