Rezension zu Revolution der Seele

Psycho-News-Letter Nr. 89

Rezension von Michael B. Buchholz

Dass der soziale Zusammenhang, die selbstreferentielle Gruppenbildung, in langen Phasen der Geschichte der Psychoanalyse manchmal wichtiger war als die Wahrnehmung der akademischen, der politischen, der klinischen Umwelt erfährt man aus einem Buch, das fabelhaft zu lesen und höchst gründlich recherchiert ist. Von einem Psychoanalytiker geschrieben!

George Makari, Professor am Cornells Department of Psychiatry und in der internationalen Psychoanalyse ein wohlbekannter Name, hat seinem Buch den Titel »Revolution der Seele« gegeben. Das ist auf die Sache der Psychoanalyse bezogen, die sich seit Freuds berühmtem Motto der Traumdeutung gerne als umstürzlerisch sah, es ist aber auch auf das eigene Vorhaben bezogen, denn Makari räumt schonungslos mit Mythen und Mythenmachern auf. Er hatte ein zehnjähriges Forschungsstipendium der IPA, konnte reisen, Quellen neu sichten und hat nun ein Werk verfasst, das im Stande wäre, auch manches unserer gewohnten Sichtweisen umzukehren. Es ist sowohl im Psychosozial-Verlag als auch bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft (Darmstadt) zu beziehen (für deren Mitglieder etwas günstiger) und dort ins Programm aufgenommen zu sein, ist Auszeichnung!

In seinem Epilog am Ende zeigt er noch einmal, wie es eine Art Verschwörung derer gab, die »selbstrechtfertigende Gerüchte über Sigmund Freud verbreitet« sehen wollten. »Sie sollten die Legende eines einzelgängerischen Genies hervorbringen, der die Psychoanalyse in ›splendid isolation‹ erschuf, ohne die Hilfe seiner Zeitgenossen und unter den Angriffen von Pedanten und rebellischen Anhängern, die häufig an schweren Geisteskrankheiten litten.« (S. 566) Tatsächlich, das war ja einer der nicht seltenen Anwürfe, dass Leute mit abweichenden Auffassungen auf der Likert-Skala mit 1 (»nicht genug analysiert«) über 3 (»braucht mehr Lehranalyse, wer war noch mal sein Lehranalytiker?«) bis zu 5 (»der ist verrückt, leidet an einer paranoid schizophrenen Psychose« etc.) abgefertigt, abgeurteilt wurden. Es bildeten sich so Gruppen, die sich so sehr schwer taten, überhaupt noch miteinander zu sprechen. Im London der 40er Jahre sollen die Vertreter der mit britischem understatement so bezeichneten »controversial discussions« sich vorgeworfen haben, die Methoden eines Dr. Goebbels zu benutzen – psychiatrische Diagnosen und Ärgeres als Kampfmittel. Makari bedauert den schweren Schaden, der dadurch entstanden ist, v.a. weil es bis heute keine einheitliche und verbindliche Definition dessen gibt, was Psychoanalyse ausmacht – und was nicht.

Makari teilt sein Programm mit, wenn er im Prolog schreibt, dass Freud in seinem Buch eine wichtige Rolle spielen werde. »Es ist jedoch weniger die Geschichte eines einzelnen Mannes als die Geschichte einer Reihe hitziger intellektueller Auseinandersetzungen.« (S. 13) Wir haben uns nicht nur mit Freud und der ersten Generation von Freudianern in der Geschichte der Psychoanalyse zu beschäftigen, sondern diese hat eine Vorgeschichte, und wir haben eine Gegenwart und Zukunft. »Wenn wir unser Augenmerk weniger auf Freud richten, erkennen wir jedoch, wie sich eine neue Geschichte abzeichnet. Die Entstehung der Psychoanalyse lässt sich in drei eng miteinander verwobene, aufeinanderfolgende Phasen unterteilen. Als Erstes entwarf Sigmund Freud auf der Grundlage seiner Beschäftigung mit drei bereits bestehenden Denkgemeinschaften eine wissenschaftlich haltbare Theorie der Psyche und ein Modell einer psychischen Therapie.« (S. 13) Diese bereits bestehenden Denkgemeinschaften – ein Ausdruck, der an die Wissenschaftstheorie von Ludvik Fleck erinnert, der von »Denkkollektiven« und »Denkstilen« bei der Entstehung von wissenschaftlichen Tatsachen lange vor T.S. Kuhn sprach und der erst Ausschwitz überleben musste, bevor seine Arbeiten in Deutschland zögerlich etwas fällige Beachtung finden konnten – waren die französische Psychiatrie, die Wiener Medizin mit ihrer naturalistischen Antithese zur romantischen Medizin sowie die Schweizer Neurologie und Neuropathologie. Der detaillierten Darstellung von Freuds gewaltiger integrativer Leistung dieser und einiger anderer Strömungen ist der erste Teil des Buches gewidmet.

»Die zweite Phase begann in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts, als sich eine größer werdende Gruppe Freudianer formierte und damit begann, ihre Ideen in Europa und Amerika zu verbreiten. Nach nur einem Jahrzehnt durchzogen Risse diese Gemeinschaft und sie zerbrach unter den Vorwürfen, autoritär und unwissenschaftlich geworden zu sein.« (S. 13)

Dem ist der zweite Teil gewidmet. Der dritte Teil wird von Makari so zusammengefasst: »Die dritte und letzte Phase dieser Entwicklungsgeschichte war die Folge dieser Spaltungen. Nach dem Ersten Weltkrieg bildete sich eine neu gegründete Gemeinschaft heraus, die weniger freudianisch und eher allgemein psychoanalytisch war. In dem Versuch, ihr Forschungsgebiet zu stabilisieren und mit der ständig bohrenden Frage danach, wie sich die dunkelsten Winkel der Seelenwelt einer anderen Person erkennen lassen, besser umzugehen, stellte dies pluralistische Gemeinschaft in den 1920er und 1930 Jahren verschiedene Grenzen und zentrale Verpflichtungen auf.« (S. 13) Ein so umfangreiches Buch kann mit all seinen Details nicht vorgestellt werden, ich greife einige der von Makari immer wieder klar gesehenen Punkte heraus. Immer wieder nämlich gerät die von Freud geschaffene Integration der genannten Denkschulen unter argumentativen Beschuss von anderer Seite und das zwingt Freud, immer klarer zu (versuchen zu) definieren, was die Psychoanalyse sei und auch, was das Wissenschaftliche an ihr sei. So recht will ihm das freilich nicht gelingen.

Einerseits wird die Psychoanalyse über die Loyalität zu Freud definiert, andererseits über die Wissenschaft. Indem beide Rahmungen gleichzeitig gelten, entfaltet sich erheblicher intellektueller Sprengstoff. Als es etwa um 1910 um die Gründung der IPV ging, wollte sich der Wille zu einer Bewegung, der Wunsch Anhänger zu finden als stärker erweisen als das wissenschaftliche Motiv: »Aber die Idee, eine Bewegung aufzubauen, die größer war als Freud, stand im Widerspruch zu einem anderen Gebot: Der Begründer des Fachgebiets empfand es als entscheidend, seine Anhänger zu kontrollieren. Freud schrieb an Bleuler, er sehe zwei unmittelbare Gefahren: erstens die, dass einige der Anhänger unklug auf persönliche Angriffe reagieren würden, und dann, dass andere der allgemeine Öffentlichkeit einige ihrer Konstrukte als Psychoanalyse präsentieren würden, was diesen Begriff in Verruf bringen könnte ... Eine Zentrale war erforderlich, um Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben und darüber zu entscheiden, was Psychoanalyse war und was nicht. Doch wie sollte die Gruppe eine Psychoanalyse entwickeln, die sich nicht auf Freud konzentrierte, während ihre Zentrale Ideen im Zaum hielt, die von denen Freuds abwichen.« (S. 299)

Die sich anbahnenden Auseinandersetzung mit C.G. Jung, die schweren Verstöße von C.G. Jung gegen Sabrina Spielrein, der Versuch, ihn dennoch als »Oberhaupt« zu inthronisieren und der schnelle Einsatz, um ihn wieder vom IPA-Vorsitz zu entfernen – das alles ist in groben Zügen bekannt. Aber wie sollte man entscheiden, ob Freuds Thesen von der infantilen Sexualität wissenschaftlich korrekt waren, als Jung behauptete, sie seien absurd? Dabei hatte das alles schon vorher angefangen. »Die ersten Freudianer hatten Konflikte und die verzwicktesten Theoriefragen vermieden, indem sie die unklare Hypothese übernahmen, dass das sexuelle Unbewusste existierte. Vor dem Nürnberger Kongress schien Freud mit dieser provisorischen, pragmatischen Einstellung selbst zufrieden zu sein. ›Das Unbewußte ist metapsychisch, wir setzen es einfach real!‹, erklärte er 1910 auf einem typisch lauten Treffen der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung« (S. 351). Das ist schon bemerkenswert, mit welcher Chuzpe da Etwas »real gesetzt« wird! Ob es existiert oder ob es nur eine zentrale Denkannahme ist, macht einen gewaltigen Unterschied. Wenn diese Frage nicht geklärt würde, wäre das ein Schuss ins Herz und deshalb forderte Binswanger damals schon mit Nachdruck, also vor mehr als hundert Jahren! Diese Frage, ob das sexuelle Unbewusste existiere (!), müsse zu klären sein! Binswangers Position war, dass man als echter Naturforscher wie ja auch oft genug sonst in den Naturwissenschaften auf die Existenz von Etwas schließt aus Beobachtungen von Anderem. Die antiken Philosophen etwa haben so schon die Atomistik begründet oder die Lehre von den Elementen, ohne ausgebildete Physiker zu sein. Makari schreibt: »Die Kritiker hatten nicht ganz Unrecht. Die Freudianer verlangten das Bekenntnis zum psychosexuellen Unbewussten und machten dies zu ihrer Gretchenfrage. Sie glaubte, ihre Entdeckung auf diese Weise absichern zu müssen, weil die Sexualität eine derartige Abscheu auslöse. Das Problem war: Dieses Postulat war keine Tatsache! Vieles sprach für die unbewusste Psychosexualität als logische Schlussfolgerung und als Theorie, doch im Gegensatz zu politischen oder religiösen Überzeugungen hatten wissenschaftliche Theorien ohne Beweise nicht die Macht, Akzeptanz zu erzwingen. ... Nach 1910 verengte sich das freudianische Projekt, und die Libidotheorie kristallisierte sich zu einem Treueschwur heraus. Ergebnisse, die dieser Theorie widersprachen, wie die Arbeit der Züricher zu den Psychosen, waren nicht akzeptabel.« (S. 352) Man sieht, wie relevant die intellektuelle Auseinandersetzung ist und immer schon so erachtet wurde! Ohne sie hat die Psychoanalyse als ernst zu nehmende Lehre keine Chance auf Akzeptanz. Die Libidotheorie in ihren Einzelheiten ist ein Postulat! Das bedeutet, man kann nicht von einer gesicherten Existenz der infantilen Sexualität ausgehen – das wurde damals schon in aller Schärfe gesehen. Ähnliche Überlegungen durchziehen die Kontroversen, die Makari im ganzen Buch präzise vergegenwärtigt: Kann man sagen, dass es den Ödipuskomplex im Sinne einer Existenzbehauptung »gibt«? Oder ist er ein Postulat? Ist die Übertragung eine »Tatsache« oder nicht vielmehr ein Konzept zur Erklärung von Tatsachen (des Rapports, der therapeutischen Beziehung usw.). Die Neigung, Konzepte zu Tatsachen zu machen und diese zu glauben bzw. zu beglaubigen, habe dazu geführt, dass die Freudianer »sich scheinbar auf dem besten Wege [befanden], eine eng verbundene Sekte zu werden, die von ihrem Glauben an ihren Anführer und an eine jenseits der menschlichen Erkenntnis liegende Einheit vereint wurde – nicht Gott, sondern ein anderes Ding-an-sich: das sexuelle Unbewusste« (S. 353).

Die Entwicklungen wurden noch komplizierter, auch durch die bekannten persönlichen Verwicklungen. Jung begeht briefliche Fehlleistungen, die von Freuds Deutungsklugheit nicht ausgelassen werden konnten – ob sie menschlich klug war, lassen wir dahin gestellt; in der brieflich geführten Fern-Analyse von Bleuler durch Freud war es oft nicht so! Auch Ferenczi (S. 324) begeht Fehlleistungen und beide haben damit zu tun, dass ihre Fehlleistungen Illoyalität erkennen lassen. Ertappt, reagiert der eine wütend, der andere zerknirscht. Der Mythos, dass das Unbewusste naturalistische Basis des Menschen sei und deshalb bei jedem gleich sein müsse, ist noch Gesetz in dieser Brüderhorde und wenn einer andere Auffassungen illoyal erkennen lässt, kann das ja nur auf Abweichung beruhen. So jedenfalls die gemeinsam geteilte Überzeugung, die selbst nicht in Frage gestellt wird.

Ärger noch wird es, wenn Freud dann selbst Neuerungen, die von anderen kommen, übernimmt und auch noch in einem Brief an Ferenczi bekennt, »er habe ›einen entschieden gefälligen Intellekt und neige sehr zum Plagiat‹« (S. 324). Das muss die arme Sabrina Spielrein erdulden, deren Konzept vom Todestrieb sich Freud aneignet und noch ärger, wenn die »Protokolle« der Mittwochgesellschaft zeigen, dass Wilhelm Stekel bereits vor 1910 von »Eros« und »Thanatos« gesprochen hatte. Und Otto Rank ist schwer verstört, als er bemerkt, dass Freud zu Ranks »Trauma der Geburt« vernichtend Stellung nimmt und es offensichtlich doch nur sehr flüchtig gelesen hat. Die Auseinandersetzung um den Todestrieb nimmt dann rasante Formen an, denn mit dessen Aufstellung – ohne die Vor-Denker auch nur zu erwähnen – bekennt sich Freud in einem Brief an Groddeck als »Ketzer«. Jetzt weicht er von sich selbst ab (S. 378) und alle, die seinen Lehren bisher unbeirrt anhängen wollten, geraten in eine Krise. Die Einheit der Theorie ist der Geist, der loyale Anhänger zusammenhält und ihre »Identität« (was auch immer das sei) ausmacht.

Freuds »Abweichung« von sich selbst kann dann selbst wieder im Rückblick zu einem feierlichen Ereignis, zu einem mutigen Schritt verklärt werden, aber es ist doch eine ernste Sache. »Einst war das Wort Psychoanalyse das Synonym von freudianisch gewesen. Nach 1920 bot Psychoanalyse mit der breiter angelegten Bedeutung und dem sachlicheren Charakter neue Anziehungspunkte, besonders, weil es so kompliziert geworden war, Freudianer zu sein. Welchem Freud schloss sich ein Freudianer an? Wie konnte man ein Freudianer sein, wenn es voneinander abweichende Freuds gab?« (S. 382) Die Schwierigkeiten waren keineswegs in den Personen liegend begriffen; von heute aus kann man sich vorsichtige Distanz leisten, indem man die beständige Argumentation ad hominem als Anfangsschwierigkeit einer neuen Auffassung ansieht. Der Beschuss des Gegners, des Vertreters anderer Auffassungen durch die Behauptung, er sei nicht genügend analysiert (Likert-Skala 1) war von Freud selbst in die Debatten eingeführt worden. Ernest Jones musste, als er Anna angriff und behauptete, er könne im Detail beweisen, dass ihre von Melanie Klein abweichenden Auffassungen von ihrer Neurose abstammten, brieflich zurecht gewiesen werden (S. 503 f.), das ging für Freud dann doch zu weit. Die Zeitgenossen wussten das und manche besannen sich. Das Verfassen von »Jenseits des Lustprinzips« hätte »Dynamit ans Haus« der bisherigen Psychoanalyse gelegt, wie Eitingon zu Melanie Klein einmal sagte – aber welchem Freud sollte man folgen, wenn dieser frühere Auffassungen, die mit seinen aktuellen nicht mehr übereinstimmten, nicht widerrief? Es gab um 1930 »eine Reihe fesselnder Freuds, die nicht miteinander vereinbar waren. Somit war es sinnlos geworden, an seine Autorität zu appellieren« (S. 503). So mussten auch Anna und Melanie nach anderen Wegen suchen, ihre Konflikte zu klären. Die Verwechslung von Theorie oder Postulaten mit dem, was sich beobachten ließ, war ein zentrales und sich als unlösbar erweisendes Problem. Ich gebe ein zusammenfassendes Zitat der Auseinandersetzung wieder, Makari positioniert sich klar: »Melanie Klein hatte von der Woge des Interesses an Kinderstudien profitiert, aber mit dem Entwurf der Objektbeziehungstheorie hatte sie ihre empirische Legitimation als Beobachterin von Kindern verspielt, indem sie mit Überzeugungen Behauptungen aufstellte, die – auf wissenschaftlicher Ebene – höchst fragwürdig waren.« (S. 513) Diese Bemerkung bezieht sich darauf, dass Melanie in einer Falldarstellung tatsächlich meinte zu wissen, was in der Seele eines 4-monatigen Kindes vor sich gehe. Das grundlegende Problem, wie man überhaupt vom Innenleben eines Anderen Kunde erhalten könne, wurde von ihr souverän ignoriert, indem sie solche Behauptungen aufstellte – und außerhalb Londons auf großes Misstrauen stieß. »Die Brillanz vieler von Kleins Innovationen und Beobachtungen lief Gefahr, ignoriert zu werden oder verloren zu gehen, weil Klein nicht in der Lage war, ihre Behauptungen zu zügeln, die weit über die Beobachtungen hinausgingen, welche diesen Behauptungen erst Leben eingehaucht hätten.« (S. 513). Man sieht, wie schwierig das Problem war. Denn wer nicht zwischen Beobachtung und Interpretation seiner Beobachtungen unterscheiden kann, der läuft in der Behandlungspraxis eine sehr ernste Gefahr: dass seine Deutungen grundsätzlich durch nichts und gar nichts von seinen Projektionen unterschieden werden könnten! Seine Deutungen können wahr sein, zutreffend einen richtigen Punkt treffen, aber nie können sie den intellektualisierenden Widerstand überwinden, der sich hinter leichtem Unglauben oder Worten wie »Beeindruckend, Herr Doktor! Erzählen Sie mir mehr über mich!« versteckt. Patienten haben solchen Deutungen gegenüber immer die entscheidende Möglichkeit, jede Deutung vollständig zu disqualifizieren – und unsere behandlungstechnischen Schriften sind im Übrigen eine Galerie von Beispielen dafür! Denn dort wird dann immer empfohlen, den Widerstand ebenfalls zu – deuten! Aber welche Beobachtungen werden mit welchen Motivierungen zusammen gestellt? Wenn ein Patient spöttisch hüstelt, oder 5 Sätze auf einmal beginnt, oder zwischen jedem halben Satz Pausen einschiebt – das ist die Beobachtung. Und wie deuten wir sie? Welche Motive bieten wir an so, dass das nicht unsere Projektionen sein können? Das damals schon klar gesehene Problem reicht sehr weit, bis in den Alltag unserer heutigen Praxis hinein und es ist ungelöst.

Ich kehre zum Abschluss dieser Vorstellung des beeindruckenden Buches von Makari zu seinem Vorwort und damit in unsere Gegenwart zurück: »Derzeit herrscht Unruhe im Fach. Seine Zukunft gilt als unsicher. Einige glauben, die Psychoanalyse sei eine hoffnungslose Pseudowissenschaft. Andere wollen sie retten, indem sie ihre wissenschaftlichen Ansprüche stützen. Wieder andere glauben nur dann an eine Rettung, wenn die Psychoanalytiker erkennen, das ihr Bestreben nicht naturwissenschaftlich ist, sondern ihre Arbeit den Geisteswissenschaften ähnelt; und dennoch – trotz dieses Durcheinanders, trotz ihrer extravaganten Schwächen bleibt die Psychoanalyse die detaillierteste allgemeingültige Darstellung des Seelenlebens, die wir haben.« (S. 14) Dem kann man nur zustimmen. Klar ist jetzt bereits: durch Berufung auf Autorität, durch Verpflichtung zur Loyalität lassen sich so eminent wichtige Probleme nicht mehr lösen, diese Lektion muss aus der Geschichte der Psychoanalyse gelernt werden. Probleme der Theorie und der Theorie der Behandlungstechnik lassen sich auch nicht durch Emotionalisierung lösen, sie müssen argumentativ entwickelt und detailliert beschrieben und unter Bezug auf Beobachtungen, wie flüchtig auch immer diese sein mögen, stabilisiert werden. Aus der Geschichte lernen heißt hier, genau diese Lektion anzunehmen – und das ist ungemein schwer.


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