Rezension zu Das Geheimnis unserer Großmütter
WeiberDiwan. Die feministische Rezensionszeitschrift. 2/2011 Winter 2011/2012
Rezension von Barbara Wimmer
»Die Russen kommen«
Alle wussten »etwas«, aber man sprach nicht drüber. Diesen Eindruck
bekam ich schon als Kind vermittelt, wenn es darum ging, dass es
für Frauen »gefährlich« war, als »die Russen« einmarschierten. Die
ZeitzeugInnen, die ich kenne, ergehen sich nach wie vor nur in
Andeutungen. In diesem von Tabus geprägten Feld beschäftigt sich
die Psychologin Svenja Eichhorn in der auf ihrer Diplomarbeit
basierenden Studie mit Traumata infolge von
Kriegsvergewaltigungen.
Vergewaltigungen waren und sind weit verbreitet in Kriegen; die
Motive reichen vom Einsatz als Kriegsstrategie bis hin zur
Einschüchterung der Bevölkerung und dem Zurschaustellen von Macht.
Die Folgen für die Betroffenen sind neben physischen Verletzungen,
traumatische Belastungsstörungen, die zum Beispiel im Fall der
Frauen, die 1945 vergewaltigt wurden und diese Erlebnisse
jahrzehntelang verdrängt haben, auch heute noch (wieder) ausbrechen
können.
Eichhorn führte narrative Interviews mit 27 Frauen; mit klinischen
Fragebögen wurde getestet, ob und in welchem Ausmaß eine
posttraumatische Belastungsstörung vorlag. Ausgewertet wurde mit
einer Kombination von qualitativen und quantitativen Methoden. Die
Ergebnisse zeigen, dass Frauen, die von sexualisierter Kriegsgewalt
betroffen waren, nicht nur öfter traumatisiert sind als die
Gesamtbevölkerung, sondern auch als Personen, die anderen Formen
von kriegerischer Gewalt ausgesetzt waren. Die Übergriffe
beeinträchtigen noch heute viele Lebensbereiche der Frauen, vor
allem ihre Sexualität.
Trotz mancher methodischer Einschränkungen (z.B. kleine Stichprobe)
handelt es sich hier um eine interessante Studie in einem noch
wenig systematisch erforschten Bereich. Eine Ausweitung und
Fortführung dieser Arbeit wäre wünschenswert.