Rezension zu Knastmauke (PDF-E-Book)

Zeitschrift des Forschungsverbundes SED-Staat. Ausgabe Nr.30/2011

Rezension von Steffen Alisch

Ausschnitt aus einer Sammelrezension:

In ihrer materialreichen Studie »Knastmauke« beschreibt die Soziologin Sibylle Plogstedt, die selbst wegen ihrer Unterstützung einer Vorläufergruppe der Charta 77 in tschechoslowakischen Gefängnissen saß, politische Haft in der DDR und deren Folgen. Die Arbeit beruht in ihrem quantitativen Teil auf der Auswertung von 802 sechsseitigen Fragebogen mit 45 Fragen vor allem zur materiellen Lebenssituation der ehemaligen politischen Gefangenen. Diese hatten die im »Stacheldraht« veröffentlichten und durch die Stiftung für ehemalige politische Häftlinge verschickten Fragebögen ausgefüllt und damit ihre Berufs-, Erwerbs-, Renten- und Entschädigungsbiographie offengelegt. Für den qualitativen Teil wurden 23 Interviews mit früheren Häftlingen und drei weitere mit Angehörigen ehemaliger Inhaftierter geführt, hinzu kamen Gespräche mit einer langjährigen Gedenkstättenleiterin, einer Traumatherapeutin und der Geschäftsführerin der Häftlingshilfestiftung. Die authentischen Erfahrungsberichte der Häftlinge zeigen eindrucksvoll, für welches breite Spektrum von »Verbrechen« in der DDR politische Haftstrafen ausgesprochen wurden. Der hohe Preis, den viele Betroffene auch nach Haftende und in der Regel noch bis heute für ihr damaliges Engagement zahlen müssen, klingt hier bereits an. Noch deutlicher wird dieser aber bei der Betrachtung der Ergebnisse der quantitativen Befragung: Abgesehen von der Fülle körperlicher Probleme (vor allem Bluthochdruck, Herz- und Rückenprobleme, Nierenleiden) und psychischer Schwierigkeiten (unter anderem Albträume, Ängste, Unruhe, Kontaktprobleme bis hin zu Selbstmordgedanken) ist die soziale Lage der meisten Befragten sehr unbefriedigend. Zwar verlief die politische Rehabilitierung in der Bundesrepublik für viele zufriedenstellend, allerdings hatten die Häftlinge in der Regel große Probleme bei der Anerkennung der gesundheitlichen Haftfolgeschäden. Die befragten Expertinnen verweisen eindringlich darauf, daß viele Gutachter nicht auf dem aktuellen Stand der Traumaforschung sind, die heute davon ausgeht, daß manche Betroffene Symptome der posttraumatischen Belastungsstörung erst Jahrzehnte nach der Haft entwickeln. Das Gefühl, mit ihrer Leidensgeschichte noch immer nicht gesellschaftlich anerkannt zu sein, belaste viele frühere Häftlinge weiterhin.

Das Buch enthält eine Fülle interessanter Statistiken und biographischer Angaben, wirkt allerdings an vielen Stellen sehr unübersichtlich, darüber hinaus hat sich eine Reihe methodischer und sachlicher Fehler eingeschlichen. So ist etwa die Angabe einer Rücklaufquote bei Veröffentlichung des Fragebogens in einer Häftlingszeitschrift eher irreführend; die beiden als Beispiele für die Haftzeit 1945-1949 Genannten leisteten tatsächlich erst ab 1950 Zwangsarbeit im Gulag. Auch der ständige Verweis auf Wikipedia Artikel läßt an der Seriosität der Arbeit etwas zweifeln.

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