Rezension zu David Bowie - Station to Station

Psychologie heute, 39. Jahrgang, Heft 2, Februar 2012

Rezension von Dr. Wolfgang Schmidbauer

Wolfgang Schmidbauer

Ist David Bowie Borderliner?

Andreas Jacke versucht die Songtexte und Verwandlungen des Sängers mithilfe der Psychoanalyse verständlich zu machen – doch seine Diagnose passt nicht recht.

Der 1947 geborene Sänger und Schauspieler David Bowie gilt als einer der einflussreichsten Popkünstler der jüngeren Musikgeschichte. Weltweit hat er über 140 Millionen Tonträger verkauft. Manche sagen ihm nach, er sei ein Chamäleon, so viele Gestalten hat er verkörpert, so oft hat er seinen Musikstil gewandelt, von eigenwilligen Kompositionen bis zu populären, eingängigen Songs.

Wie fast jeder berühmte Musiker der Popszene, der die Sex- und Drogenwellen der sechziger und siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts miterlebte, hat auch Bowie mit Drogen experimentiert, magerte ab, nahm wieder zu, hatte seine Depressionen, in denen er fürchtete, seine Kreativität zu verlieren, und erhob sich wieder wie ein Phönix aus der Asche. Seine Bisexualität und seine Rollenspiele sind berühmt. Aber Bowie hat auch eine bürgerliche Seite: Er ist zum zweiten Mal verheiratet, hat zwei Kinder aus diesen Ehen und lebt jetzt ohne Promiskuität und Drogen in New York. Er kann auch hervorragend mit Geld umgehen und gilt als einer der wohlhabendsten Künstler überhaupt.

Andreas Jacke, ein Filmwissenschaftler und studierter Philosoph, versucht in seinem Buch David Bowie – Station to Station. Borderline–Motive eines Popstars die Songs und Verwandlungen des Künstlers mit den Mitteln der Psychoanalyse verständlicher zu machen. Jacke ist kein Kliniker, das ist eine der Stärken und zugleich auch eine Schwäche seines Buches. Denn auf einen Mann, der so viel Stabilität, Krisenbewältigung und Fähigkeit zur Selbstreflexion bewiesen hat wie Bowie, passt die Borderlinediagnose schlecht. Die zentralen klinischen Kriterien einer solchen Störung erfüllt Bowie nicht; er konnte immer gut mit Menschen umgehen und hatte lange, stabile Freundschaften.

Jacke windet sich wie ein Aal durch diese Widersprüche, beharrt dann aber doch darauf, dass etwa Bowies Äußerung, er erlebe die Rolle des Ziggy Stardust wie einen Zwang und könne manchmal nicht mehr zwischen sich und seiner Schöpfung unterscheiden, Zeichen einer Identitätsstörung sei. Er stellt fest, »dass Bowies Persönlichkeit und sein künstlerischer Ausdruck mit Motiven durchsetzt sind, die auf der Grenze zur Psychose liegen und sich wohl als Borderlineerkrankung begreifen lassen«, Jackes Identitätsbegriff ist an einer einmaligen, stabilen Formation orientiert. Inzwischen sprechen Sozialforscher aber von einer »Patchworkidentität« als Charakteristikum der Postmoderne. Wir alle tendieren mehr und mehr dazu unsere Identität aus einzelnen Flicken zusammenzubasteln.

Wenn bei einem Menschen eine Neurose diagnostiziert wird, heißt das nicht dass er Komplexe hat, die dem Gesunden fehlen. Es gelingt ihm nur nicht, diese auszugleichen. Ein Künstler kann gar nicht Künstler sein, wenn er alles Abgründige in sich vermeidet. In diesem Sinn sind die meisten Künstler Grenzgänger, sie siedeln zwischen Scheinwelt und Realität.

Bereits Goethe meinte, dass er sich jedes Verbrechens fähig fühle; Hermann Hesse schuf im Steppenwolf eine psychotische Welt. Hier nur das Verbrechen oder die Psychose zu sehen bereichert die künstlerische Aussage nicht und macht sie uns nicht besser verständlich. Im Gegenteil: Solche Formen der Pathografie belegen nur, dass die Betrachter sich eines Rätsels bemächtigen wollen, indem sie es trivialisieren. Wie ein Gerichtsvollzieher, der Gegenstände mit seinem Pfandsiegel markiert, zogen schon im 19. Jahrhundert die Psychiater aus, um mit ihren Diagnosen Künstler zu vereinnahmen.

Vor diesem primitiven Vorgehen bewahrt Jacke, dass er nicht nur Melanie Kleins Begriffe fleißig anwendet, sondern auch alle erreichbaren biografischen Werke über David Bowie gelesen hat und so über weite Strecken eine psychologisch vertiefte Biografie schreibt. Der Autor gräbt sich liebevoll und genau durch Bowies Lieder und Selbsterklärungen. Wer genug Englisch beherrscht, um die Originalzitate zu verstehen, kann an dem Buch seine Freude haben – und den pathografischen Teil ignorieren.

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