Rezension zu Ein Leben im Zeichen der Psychoanalyse

gruppenanalyse Vol 21 Heft2/2011

Rezension von Angela Schmidt-Bernhardt

Ein Leben im Zeichen der Psychoanalyse. Von Josef Shaked.

Es ist ein in jeder Hinsicht gewichtiges Buch, das Josef Shaked unter dem treffenden Titel »Ein Leben im Zeichen der Psychoanalyse« geschrieben hat. In dem vorliegenden Buch verknüpft Shaked auf fast vierhundert Seiten autobiographische Erinnerungen mit dem Nachzeichnen der Entwicklung von Psychoanalyse und Gruppenanalyse. Diese Verknüpfung beider Aspekte wird bereits im Aufbau deutlich. Die ersten fünf Kapitel sind vorrangig dem persönlichen Werdegang gewidmet: Er beginnt 1951 mit dem ersten Studium der Biochemie in den USA, es folgen das Medizinstudium in Wien ab 1955, dann die Lehrjahre in der Psychoanalyse und die ersten beruflichen Erfahrungen. Shaked zeichnet seinen Weg und Werdegang nach bis hin zur Gründung der Internationalen Arbeitsgemeinschaft für Gruppenanalyse in Altaussee.

In den folgenden Kapiteln legt Shaked den Fokus auf die Entwicklungslinien der Psychoanalyse im 20. Jahrhundert (von der Triebtheorie über die Ich-Psychologie, die Kleiniansche und Neokleiniansche Richtung, die Objektbeziehungstheorie bis zur Selbstpsychologie), skizziert die Tendenzen in der gegenwärtigen Psychoanalyse, widmet sich der Gruppenanalyse in Theorie und Praxis und beschäftigt sich mit der analytischen Großgruppe.

Shaked differenziert zwischen der Entwicklung der Psychoanalyse in Krieg- und Nachkriegszeit in England und den USA einerseits und in Deutschland und Österreich andererseits. Die langen Auswirkungen von Vertreibung und Flucht der namhaften Psychoanalytiker aus Deutschland und Österreich werden in seinen Ausführungen sichtbar und spürbar.

Bei aller Begeisterung für die Psychoanalyse scheut sich der Autor nicht, auch die gesellschaftliche Entthronisierung der Psychoanalyse, die von der Königin jeglicher Psychotherapie zu einer Therapieform unter vielen anderen wurde, im historischen Kontext darzulegen und sich damit kritisch und selbstkritisch auseinanderzusetzen. Und so ist es nur folgerichtig, dass er auch dem »Freud-Bashing« gegen Ende des 20. Jahrhunderts ein eigenes Kapitel widmet. Am Horizont zeichnen sich im 21. Jahrhundert neue Entwicklungen ab, die Shaked unter der Überschrift: »Psychoanalyse und Neurowissenschaften: ›Ein Paradigma für den internationalen Dialog‹« andeutet.

In einem eigenen Kapitel erläutert Shaked ausführlich Entstehung und Entwicklung der Gruppenanalyse mit dem autobiographisch verständlichen Schwerpunkt auf der Internationalen Arbeitsgemeinschaft für Gruppenanalyse in Altaussee. Doch hätte sich die Autorin dieser Zeilen wenigstens eine Erwähnung des Heidelberger Instituts für Gruppenanalyse gewünscht.

Das Buch unterscheidet sich erfrischend von zahlreichen Memoiren, in denen alles einzig um die Person des »Sich Erinnernden« kreist. Hier hingegen steht im Zentrum des Interesses eindeutig die Auseinandersetzung mit der Entwicklung der Psychoanalyse und der Gruppenanalyse in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Besonders angenehm zu lesen sind die Erinnerungen überdies durch die unprätentiöse Art, mit der Shaked seinen persönlichen Weg und Zugang zu Psychoanalyse und Gruppenanalyse skizziert. So beschreibt er beispielsweise höchst anschaulich, wie er Anfang der 1970er Jahre aus der Not heraus, in seiner Arbeitsstelle der großen therapeutischen Nachfrage nicht nachkommen zu können, die ersten Gruppen zusammenstellte und sie leitete, ohne sich besonders für die Arbeit mit Gruppen qualifiziert zu haben. Selbstkritisch erläutert er rückblickend, wie er die analytische Gruppe als solche erst einige Jahre später 1975 und 1976 im Kontakt mit den Londoner Gruppenanalytikern und in der intensiven theoretischen Beschäftigung entdeckte.

Ebenso unprätentiös stellt er die Gründung der Internationalen Arbeitsgemeinschaft für Gruppenanalyse in Altaussee 1976 dar oder auch seinen Zugang zur Arbeit mit Großgruppen. Es zieht sich wie ein roter Faden durch die Erinnerungen: Ausgangspunkt sind Wunsch und Überzeugung des jungen Shaked, Psychoanalytiker werden zu wollen. Von diesem Ausgangspunkt aus sind es persönliche Begegnungen, vielfältige persönliche und berufliche praktische Erfahrungen und Möglichkeiten, die seine Entwicklung zum renommierten Psychoanalytiker, Gruppenanalytiker und Großgruppenleiter leiten. Immer geht der theoretischen Begründung die reflektierte Praxis voraus.

Fesselnd zu lesen sind insbesondere auch Shakeds Ausführungen zur Großgruppe. Seine Grundüberzeugung, dass analytische Großgruppen immer zugleich der Analyse der intrapsychischen Welt und der Reflexion von historisch und politisch gewachsenen Rahmenbedingungen dienen, wird lebendig sichtbar. An zahlreichen Beispielen aus seiner Arbeit als Großgruppenleiter verdeutlicht er die Zielsetzung der Großgruppenarbeit, sich gleichermaßen und zugleich dem Erleben und dem Studium der intrapsychischen Welt und den historischen und politischen gesellschaftlichen Zusammenhängen zu widmen. Seine besondere Leidenschaft, die Dialektik von Individuum und Gesellschaft in der Großgruppe zu durchdringen, wird in diesem Kapitel spürbar. Dazu gehört auch seine Überzeugung, dass das ambivalente Verhältnis zwischen der Großgruppe und ihrem Leiter als dem Vertreter der gesellschaftlichen Normen für den analytischen Prozess in der Großgruppe eine besondere Rolle spielt.

Zukunftsweisend entwickelt Shaked gegen Ende seiner Ausführungen die Möglichkeiten, die insbesondere die interkulturelle Großgruppe bietet, in der die Verwobenheit von politischen und psychischen Prozessen besonders deutlich wird. Kollektive traumatische Erlebnisse als Folge von gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen ethnischen Gruppen können – so Shaked – mithilfe von analytischen Großgruppen aufgearbeitet werden. Die Besonderheit der interkulturellen Großgruppe liegt darin, dass sie jedem Einzelnen Einblick in fremde Denk- und Erlebensweisen gewährt, zugleich aber auch jeden Einzelnen mit der Fremdheit in sich selbst konfrontiert.

In diesem Sinne kann der »Weltbürger«, und als ein solcher bezeichnet sich der Autor selbst, zu der Vision gelangen, dass »analytische Großgruppen nicht nur als visionäres Experimentierfeld für verbesserte Verständigungsformen zwischen unterschiedlichen Ethnien und Kulturen [zu] verstehen [sind], sondern auch als bescheidener Ansatz eines Friedensprojekts« (S. 388).

Es ist ein großes Buch – ein lesenswertes Buch – von einem Autor, der viel zur Entwicklung der Analyse, insbesondere der Gruppenanalyse und der Arbeit mit Großgruppen, beigetragen hat; es ist umso sympathischer, weil dieser Autor, der über ein enormes Wissen und über enorme Fähigkeiten verfügt, doch gleichzeitig auch die Erkenntnis der eigenen Begrenztheit immer wieder thematisiert.

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