Rezension zu Psychoanalyse tut gut (PDF-E-Book)
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Rezension von Andrea Groh
Kommen Sie auf die Couch! »Psychoanalyse tut gut« von Dunja
Voos
Dieses kleine Buch hat es in sich: Es ist eine Einführung in die
Psychoanalyse, ein Augenöffner, Neugierigmacher und, wie der
Untertitel schon sagt, ein »Ratgeber für Hilfesuchende«. Es kam für
mich wie gerufen, da ich zum Thema Psychoanalyse über das übliche
Halb- bzw. Garnichtwissen verfüge, bisschen Freud hier, etwas
Über-Ich dort, Vorurteile hin, Vermutungen her. Das wollte ich
endlich ändern. Ende Dezember hatte ich Charlotte Roches
»Schoßgebete« gelesen, also vor »Psychoanalyse tut gut«. Das passte
schon mal perfekt, merkte ich, denn Roches Heldin geht zur
Psychoanalyse und vieles, was Roche schildert, tauchte in Dunja
Voos’ Buch wieder auf, es gab so manche Aha-Momente.
Man könnte sagen, Charlotte Roche bricht mit ihrem zweiten Roman
die Lanze für die Psychoanalyse, und Dunja Voos tut dies ebenfalls,
natürlich auf eine gänzlich andere Art. Ganz praktisch und mit
Worten, die für Laien nicht nur verständlich sind, sondern sich
auch gut lesen lassen, zeigt sie die Psychoanalyse als eine
Therapieform, die nicht in unsere schnelle Zeit zu passen scheint,
für viele aber doch genau die richtige sein kann.
Das Buch hat rund 170 Seiten und ist in zwei Teile untergliedert:
»Die psychoanalytische Therapie« und »Häufige Diagnosen«. Dafür
gibt es schon mal einen Pluspunkt: kein theoretischer Ballast, kein
Versuch, erst die Geschichte der Psychoanalyse runterzubeten und
die Tradition, die Moderne, kurz, alle Theorie zu erklären.
Sondern: rein in die Praxis, zu den Fragen, die Herr Müller mit der
Depression und Frau Kunz mit der Zwangsstörung stellen würden – was
ist Psychoanalyse, für wen kommt sie infrage, was passiert dabei
usw.
Zuerst einmal bringt Dunja Voos Klarheit in die verwirrende Welt
der Psychoberufe: Der Neurologe behandelt krankhafte Veränderungen
der Nerven und des Gehirns, er ist die richtige Anlaufstelle zum
Beispiel für Schlaganfallpatienten. Der Psychiater sieht als
Ursache seelischen Leids primär Stoffwechselstörungen und setzt
früh Medikamente ein, das kann beispielsweise für Patienten mit
Halluzinationen oder schweren Alkoholproblemen passen. Die
Verhaltenstherapie ist zumeist zeitlich begrenzt, das heißt, sie
läuft über einen kürzeren Zeitraum, der Therapeut kümmert sich
hierbei um Symptome – während der Psychoanalytiker mittels
Gesprächen den Ursachen auf den Grund gehen möchte, was länger
dauert, viele Wochen, manchmal Jahre.
Und Zeit hat der Analytiker für den Patienten – immer zu einem
festen Termin, genau 50 Minuten lang, ohne Störung durch das
Telefon, und in der Regel sind keine anderen Patienten in der
Praxis. Im ersten Teil des Buches erzählt Dunja Voos also, wie eine
Therpie abläuft (erste Stunde, die berühmt-berüchtigte Couch,
Beziehung zwischen Patient und Therapeut usw.), und geht auf
Ängste, Vorurteile und Probleme im Zusammenhang mit der
Psychoanalyse ein.
Um ein paar Hinweise herauszupicken: Man kann sich einen
Psychoanalytiker empfehlen lassen, sollte aber möglichst nicht
denselben wie Freunde und Verwandte konsultieren, denn darunter
wird entweder die Freundschaft oder die Therapie leiden. Der
Psychoanalytiker macht in seiner Ausbildung selbst als Patient eine
Psychoanalyse durch, die sogenannte Lehranalyse. Er weiß also, wie
es ist, auf der Couch zu liegen (oder auf dem Stuhl zu sitzen). Die
Beziehung zwischen dem Therapeuten und dem Patienten bezeichnet
Dunja Voos als eine Abhängigkeit, vergleichbar der des Kindes von
der Mutter. Sie basiert auf Vertrauen. Doch die Abhängigkeit sei
der Weg zur Unabhängigkeit, zu einem besseren Leben als vorher, in
dem der Therapeut dann keine Rolle mehr spielt, spielen muss. Um
Missbrauch vorzubeugen, gibt es die sogenannte »Abstinenzregel«:
außer dem Händeschütteln zur Begrüßung und zum Abschied darf es
keine Berührungen geben, entsprechend auch keine Beziehung
außerhalb der Praxis des Analytikers.
Auf die Frage: Wie sag ich meinem Chef, meinem Partner, wem auch
immer, dass ich eine Psychoanalyse mache, geht die Autorin
ebenfalls ein. Aus gutem Grund:
In unserer strengen Gesellschaft, wo man jung, strahlend und
funktionierend sein muss, ist eine psychische Störung immer noch
ein Makel — es sei denn, sie ist durch den allgemein anerkannten
Stress entstanden. Menschen, die am Burnout-Syndrom leiden, sind
doch im Allgemeinen aktzeptiert. Schließlich sind sie
›ausgebrannt‹, weil sie sich über alle Maßen für ihren Beruf
eingesetzt haben. (Seite 82)
Man liest zwar überall, dass immer mehr Menschen psychische
Probleme haben, und das bekommen die meisten auch in ihrem eigenen
Umfeld oder bei sich selbst mit. Aber deswegen zum Arzt gehen? Eine
Psychoanalyse in Betracht ziehen? Ich schätze, das geschieht eher
selten. Welcher Hausarzt hat heute noch Zeit, sich um die Psyche
seiner Patienten zu kümmern, wenn es nicht gerade um Depression,
Burnout, ADHS oder etwas Ähnliches geht, das »greifbar« und nicht
zu ignorieren ist? Dann wird eine Diagnose gestellt und behandelt,
oft nur mit Medikamenten. Doch Diagnosen sind nicht das A und O und
das Ende vom Lied, so Dunja Voos:
Wenn man sich an den Diagnosenamen festhält, kommt man auf ein
Karussell, das schwindelerregend ist. Experten streiten sich
untereinander wie die Kesselflicker um den richtigen Namen und
sehen nicht, dass da ein Mensch sitzt, der nur eines möchte: dass
ihm endlich geholfen wird. Viele Diagnosen sind ohne Zweifel
Modeerscheinungen. (Seite 39)
Als Beispiel hierfür nennt die Autorin ADHS – hier würden ganz
verschiedene Verläufe in einen Topf geworfen, unter einem Namen
versammelt. Dunja Voos vergleicht das mit dem Weinen: Hier sind die
Symptome gleich, aber die Ursachen können gänzlich unterschiedlich
sein: Man kann ohne Grund, aus Freude, vor Angst, aus Wut, vor
Scham, vor Schmerz usw. weinen. Es genüge also nicht, nur ADHS zu
diagnostizieren und zu behandeln, man müsse nach den Ursachen
forschen und sie bearbeiten. Und ein Weg, dies zu tun, sei die
Psychoanalyse.
Im zweiten Teil des Buches – zu den »häufigen Diagnosen« – geht die
Autorin unter anderem auf Neurose, Psychose, Depression, Burnout,
Angst und Borderline ein. Es fallen hier auch einige Fachbegriffe
wie hohes und niedriges Strukturniveau, Repräsentanzen, es ist vom
Ich, Es und Über-Ich die Rede, die orale, anale und ödipale Phase
werden am Rande erwähnt. Doch keine Sorge, es bleibt verständlich
und leserfreundlich – und sehr aufschlussreich! Dieses Buch kann
Bedenken nehmen und den Rücken stärken, wenn man für sich über eine
Psychoanalyse nachdenkt. Nach dem Lesen ist diese Therapieform kein
Buch mit sieben Siegeln mehr. Dunja Voos vermittelt: Psychoanalyse
kann helfen, sie tut gut, kann genau das Richtige sein – denn der
Therapeut hört zu, baut eine Beziehung auf, ist verlässlich und
eine Person, die eine Heilung oder eine Verbesserung begleiten
kann. Die Autorin versäumt aber auch nicht zu sagen, dass
Psychoanalyse viel kann, jedoch kein Allheilmittel ist, natürlich
hat sie ihre Grenzen.
Im Anhang finden sich noch weiterführende Adressen
(Bundesärztekammer, psychoanalytische Vereinigungen usw.), die
Literaturliste sowie eine Übersicht über »Studien zur Wirksamkeit
psychoanalytischer Therapien«.
Fazit: »Psychoanalyse tut gut« ist ein äußerst empfehlenswertes
Buch, mit dem Dunja Voos auf eine sehr menschliche, kompetente und
auch kurzweilige Art über die Psychoanalyse informiert – es ist
eine gute Wahl, egal ob man sich einfach nur schlau machen will
oder beabsichtigt, selbst eine Psychoanalyse zu beginnen.
* * * * *
Dunja Voos, Dr. med., arbeitet als Journalistin und Autorin, ihre
Schwerpunkte sind Psychoanalyse und Psychosomatik. Sie bloggt auch
über psychische Erkrankungen, und zwar auf
www.medizin-im-text.de.
* * * * *
Dunja Voos
Psychoanalyse tut gut. Ein Ratgeber für Hilfesuchende
173 Seiten
Psychosozial-Verlag
Erschienen im August 2011
ISBN: 9783837921458
16,90 EUR