Rezension zu Psychoanalyse tut gut (PDF-E-Book)

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Rezension von Achim Schröder

Dunja Voos: Psychoanalyse tut gut

Autorin und Thema
Das von der Fachärztin für Arbeitsmedizin und freien Journalistin Dunja Voos verfasste Buch greift jene Fragen auf, die man sich in persönlichen Krisen und vor allem dann stellt, wenn man psychotherapeutische Hilfe in Erwägung zieht und einem oberflächlichen Training von Verhaltensweisen misstraut. Die Autorin greift damit zugleich jene Fragen auf, die man an die Psychoanalyse in der heutigen Zeit richtet, wenn man Zweifel hat, ob diese Therapieform noch zeitgemäß ist. Das Buch ist so gesehen eine Einführung für diejenigen, die nach einer geeigneten Therapie suchen wie auch diejenigen, die sich in Theorie und Methodik einlesen und einfühlen möchten.

Aufbau und Inhalt
Die Autorin teilt ihr Buch in zwei Teile und behandelt zunächst die psychoanalytische Therapie und stellt im zweiten Teil »häufige Diagnosen« vor.

Der persönliche Weg zu einer Therapie ist im Kern von der Frage geprägt, was die beiden Grundrichtungen Psychoanalyse und Verhaltenstherapie voneinander unterscheidet. In der Verhaltenstherapie geht es in erster Linie um Techniken zur Bewältigung von speziellen Situationen und Symptomen. So wird der Patient mit der angstauslösenden Situation schrittweise so konfrontiert, dass die Angst gemindert und die Symptome bekämpft werden können (14). Doch damit ist der Patient nicht davor gefeit, dass die Symptome an anderen Stellen wieder aufbrechen und in neuem Gewand auftauchen. Denn die Angst hat zumeist einen Symbolcharakter; sie steht für etwas, was im Leben nicht stimmt. So gesehen sind die Fragen nach dem Warum und Woher, denen die Psychoanalyse nachgeht, als die auf Dauer wirkungsvolleren anzusehen. Doch wer sich nicht traut und wem die technische Regulation näher liegt, wird sich nach Verhaltenstherapeuten umsehen. Die Autorin schlägt bereits in diesem Kapitel einen erfrischend klaren und dennoch toleranten Ton an. Sie nimmt damit auch jene Leserinnen und Leser mit, die der Tiefenpsychologie, der psychodynamischen Haltung und damit der Psychoanalyse – drei Begriffe mit ähnlicher Bedeutung (20) – eher skeptisch gegenüberstehen. Die Autorin behält den Ton insgesamt bei und fordert die Leser/innen immer wieder zu einer kritischen Haltung gegenüber Therapeuten auf und vor allem gegenüber zu eindeutigen und einfachen Diagnosen.

Im ersten Kapitel folgt eine plastische Beschreibung der psychoanalytischen Therapie und wie sie »funktioniert«. Den Lesern wird deutlich, dass sie als Patientin entscheiden, worüber sie reden und was sie von sich preisgeben, dass sie das Heft in der Hand haben, dass sie ihren Gedanken endlich mal freien Lauf lassen und auch darüber entscheiden können, ob sie sich von den Deutungen überfordert fühlen und einen anderen Umgang mit ihren Assoziationen präferieren (29). Auch die Fragen, ob die Therapie mit oder ohne Couch gestaltet wird und in welchen zeitlichen Rhythmen eine Psychoanalyse sich vollziehen kann, ist bei den meisten der heute praktizierenden Therapeuten ins Benehmen gestellt. Dennoch bleiben das Setting, die Regeln (wie die Abstinenzregel) und deren Kontrolle sehr klar und werden von der Autorin gut vermittelt. Letztendlich kommt es darauf an, das »Heilmittel Beziehung« zur Entfaltung zu bringen. »Der Patient geht mit dem Analytiker eine Beziehung ein, in der er nachreifen kann« (41). Die Wirksamkeit von Psychoanalyse ergibt sich nicht zuletzt daraus, dass die Fähigkeit zu einer diesbezüglichen Beziehung und den damit verknüpften Übertragungen und Gegenübertragungen zunächst über eine langjährige Lehranalyse erlernt und durchlebt wurde und dann – begleitend zu den Therapien in Supervisionsgruppen – immer wieder eine Gegenkontrolle erfährt. Im Anhang führt die Autorin eigens eine Liste mit »Studien zur Wirksamkeit« an, weil sich die Psychoanalyse lange Zeit gegen solche »Evaluationen« sperrte, aber inzwischen kräftig nachgebessert hat.

Die Autorin geht nun auf die diversen Vorurteile gegenüber der Psychoanalyse, sie dauere zu lange, krame nur in der Vergangenheit, sei nur für Reiche und sei nicht mehr zeitgemäß, schwungvoll und überzeugend ein. Naheliegender Weise greift sie dazu auf die Neurowissenschaften und speziell die Neuropsychoanalyse zurück, die zu einer Bestätigung der von Freud retrospektiv aus den Erinnerungen und Affekten seiner Patienten herausgearbeiteten Theorien geführt hat. Sie zitiert Untersuchungen, die beispielsweise auch im derzeit auf Bestsellerlisten verzeichneten Roman »Die zitternde Frau« von Siri Hustvedt eine wichtige Rolle spielen. Nach einer Zeit des Zurückdrängens sei aktuell eine verstärkte Hinwendung zu psychoanalytischem Denken zu erkennen, meint Voos (75).

Der zweite Teil des Buches bietet eine Einführung in die Psyche und ihre Störungen. Die Autorin macht am Beispiel von ADHS den »Wahnsinn der Normalität« und damit die Problematik einer Unterscheidung von normal und anormal deutlich (96). Sie stellt dazu zwei Jungen vor mit ähnlichen Symptomen aber vollkommen verschiedenen sozialen und psychischen Vorerfahrungen. Anschließend führt sie den Begriff der »Repräsentanzen« ein, der für ein Verstehen unseres menschlichen Innenlebens von entscheidender Bedeutung ist. Auf die inneren Bilder, die wir durch fürsorgliche Bezugspersonen gewonnen haben, sind wir in unseren sozialen Interaktionen angewiesen und greifen immer wieder auf sie zurück. Die damit verknüpften Beziehungsmuster neigen zum Wiederbeleben, sie wiederholen sich.

Die Konflikte, die sich aus den inneren Welten und somit auch den Beziehungsrepräsentanzen einerseits und den äußeren Welten in Form der sozialen Beziehungen und gesellschaftlichen Strukturen andererseits ergeben, können das hervorbringen, was wir »Neurosen« nennen. »Depressionen, Ängste und Zwänge sind typische Symptome einer Neurose, sodass man auch von ›Symptomneurosen‹ spricht« (105). Bei einer Neurose kommt es zu Konflikten zwischen Außen und Innen, der Kontakt zur äußeren Realität bleibt jedoch vorhanden. Das ist bei der Psychose anders, hier geht der Bezug zur Realität verloren.

Im Weiteren geht die Autorin auf Depression und Burnout, auf Angststörung, Zwangsstörung und die verschiedenen so genannten Persönlichkeitsstörungen ein. Die Persönlichkeitsstörung – ein »Unwort« aus Sicht der Autorin, weil es überheblich klingt und die Betroffenen in ihrem Kern stigmatisiert – fokussiert die Störungen sozialer Beziehungen. Untergruppen sind: narzisstische und abhängige sowie Borderline-Persönlichkeitsstörungen. Für deren Entstehung sind häufig Grenzüberschreitungen in Form von sexuellen und gewalttätigen Übergriffen sowie Vernachlässigungen und andere gefährdende Beziehungsmuster verantwortlich. Die Betroffenen versuchen über eine Spaltung in »gut« und »böse« mit unüberschaubaren Situationen und gemischten Gefühlen klarzukommen (144).

In einem letzten Abschnitt greift die Autorin erneut die ADHS-Thematik auf, weil es sich um eine – genau genommen – »frei erfundene« Krankheit handelt. Im Kern geht es um Beziehungsstörungen. Deshalb ist die Psychosomatik hervorzuheben, die sich mit den Einflüssen der Psyche auf den Körper beschäftigt und vielfältig nachgewiesen hat, wie somatische Erkrankungen durch seelische Zustände hervorgerufen werden.

Fazit
Das Buch ist spannend zu lesen und auch ohne spezielles Vorwissen verständlich. Es setzt allenfalls eine gewisse Neugierde voraus, die sich zumeist aus einer persönlichen Betroffenheit entwickelt. Man kann der Autorin dankbar sein, ihre journalistischen Fähigkeiten mit psychoanalytischem Fachwissen nicht nur wie üblich in wenigen Abschnitten oder auf wenigen Seiten sondern in einem übersichtlichen Buch verknüpft zu haben.

Rezensent
Prof. Dr. Achim Schröder


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