Rezension zu Kulturen im Dialog
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Rezension von Tatjana van de Kamp
Herbert Fitzek, Ralph Sichler (Hrsg.): Kulturen im Dialog
Thema
Wie ist ein Dialog, wie ist insbesondere Verstehen zwischen
Kulturen möglich? Welches sind die Bedingungen, die interkulturelle
Verständigung möglich machen? Die Beiträge in »Kulturen im Dialog«
diskutieren die kulturpsychologische Auseinandersetzung mit der
Wechselwirkung und gegenseitigen Durchdringung von Kulturen aus
unterschiedlichen Perspektiven mit dem Ziel, Differenz konstruktiv
zu thematisieren und Möglichkeiten einer fruchtbaren
wechselseitigen Anknüpfung zu finden.
Autoren und Herausgeber
»Kulturen im Dialog« umfasst einen großen Teil der auf der
gleichnamigen Tagung in Potsdam im September 2009 vorgestellten
Beiträge. Die Autorinnen und Autoren sind Wissenschaftler oder
Dozenten aus Psychologie, Wirtschaft, Kulturwissenschaften und
Bildungswissenschaften sowie drei Studenten. Herausgegeben wurde
der Band von Dr. Ralph Sichler, Fachbereichsleiter an der
Fachhochschule Wiener Neustadt und Professor für Sozial- und
angewandte Psychologie an der Sigmund Freud Universität in Wien,
sowie Dr. Herbert Fitzek, Professor für Wirtschafts- und
Kulturpsychologie, Prorektor an der Business School Potsdam und
Privatdozent an der Universität zu Köln.
Aufbau
Acht der vierzehn Beiträge sind nach einer Einleitung von Ralph
Sichler thematisch zusammengefasst in Dynamik der Kulturen und
Dialog der Kulturen. Der Schlussbetrachtung von Herbert Fitzek
folgen Carl Ratners Gastbeitrag zur Macro Cultural Psychology und
drei studentische Arbeitspapiere.
Einleitung
In der Einleitung präsentiert Sichler ein postmodernes
Kulturkonzept, das Kulturen nach Teilkulturen differenziert, die
schon im Altertum über nationale Kulturgrenzen hinweg im Austausch
miteinander standen. Der Dialog konstruiert Kultur als Prozess, der
sie verändert und durch den sie sich kreativ oder destruktiv weiter
entwickeln kann.
Dynamik der Kulturen
Melchers, Franken und Krebs stellen die kulturellen Einflüsse auf
das Verhältnis junger Menschen in Europa zum Auto und dem Automarkt
als Beispiel für eine morphologisch-kulturpsychologische
Untersuchung. vor. Als mögliche Einflüsse zum Umgang mit Autos
werden Zukunftsprojektionen, wechselnde Lebensbilder und die
wahrgenommenen Folgen der Verantwortung vermutet und
kulturvergleichend untersucht.
Denise Sindermann illustriert die Morphologische Psychologie und
ihre Methoden anhand einer Untersuchung der »Obamania« und deren
Substanz und Einfluss auf Deutschland. Sie identifiziert sechs
Werte im Spannungsverhältnis zwischen Performance und
Verletzlichkeit: Euphorie, Vision, Leistung, Verpflichtung, Wagnis
und Besinnung, mit denen Obama scheinbar gegensätzliche
Lebensbilder zu vereinen vermag. Die Obamania werde durch einen
praktischen Glauben als Voraussetzung für Veränderung getragen, und
Obama komme dabei die Rolle als menschliches Vorbild für Engagement
und Veränderungsbereitschaft des Einzelnen zu.
Regine Hilt beschreibt Schrift als Kulturtechnik und stellt ihre
Arbeit in studentischen Workshops zur »Experimentalen Typographie«
in Marokko und Potsdam vor. Studenten experimentieren mit der
eigenen und einer andersartigen Schrift, zerlegen sie und
strukturieren sie neu. Hilt ist einig, dass Sprache Voraussetzung
für Schrift sei, weist aber darauf hin, dass zum Beispiel im
deutschen Schriftraum politische Ereignisse ihre Spuren auch im
Schriftbild hinterlassen hätten und schon die Gestaltung des
Schriftbildes gewisse Erwartungen an den Text wecken könnten.
Dialog der Kulturen
Der Beitrag von Janne Fengler diskutiert interkulturelle
Grenzerfahrungen, die dabei stattfindenden Veränderungen und
mögliche Interventionen. Auf eine erlebte Grenzerfahrung folgt eine
inhaltliche und motivationale Akzeptanzprüfung, die zunächst zu
Dissonanzerleben führt. Dieses kann aufgelöst werden, indem die
Innendaten entweder verteidigt oder angepasst werden. Die daraus
resultierende Modifikation von Selbstbild und Selbstkonzept hängt
ab von der Situation, vorgeschalteten inneren Bewältigungsprozessen
sowie der Fähigkeit zu kritischer Selbstreflexion.
Christine Farrenkopfs Untersuchung fragt, wie kulturelle Teamarbeit
an der United Nations University funktioniert und nach der dortigen
Teamzufriedenheit. Sie resümiert ihre Ergebnisse, dass den
Mitarbeitern ein Gemeinschaftsgefühl wichtiger sei als die
kulturelle Herkunft, unter der Voraussetzung, dass es gelänge, ihr
kulturelles Verständnis und ihre flexibel-normalistische
Einstellung zu erhöhen und zu stabilisieren.
Doris Weidemann beschäftigt sich mit grenzüberschreitender
Wissenschaftskommunikation und den Herausforderungen
transnationaler Forschungsprojekte. Sie diskutiert
Dominanzstrukturen, Sprach- und Übersetzungsprobleme, Englisch als
Projektsprache und die Dominanz angelsächsischer Theorien, ebenso
wie den unterschiedlichen Umgang mit Hierarchie und Zeit,
unterschiedlichen Kommunikationsstilen und Konventionen, um daraus
abzuleiten, welche Kompetenzen für den Dialog und die
Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern hilfreich sind.
Elfriede Billmann-Mahecha befasst sich mit Kindern und Jugendlichen
mit Migrationshintergrund im deutschen Bildungssystem und
thematisiert ihren Schulerfolg, Mehrsprachigkeit und daraus
resultierende Desiderata, wie unter anderem Sprachförderung,
Ganztagsangebote, Förderung der interkulturellen Kompetenz aller
Kinder sowie eine Erhöhung des Anteils an Lehrkräften mit
Migrationshintergrund.
Petia Genkova sucht in ihrem Beitrag nach Universalien, die
Kulturmodelle beschreiben. Sie verbindet kulturvergleichende
Dimensionen (z.B. Hofstede, Fiske, Schwarz) mit solchen, die
kulturelle Pattern und nationale Eigenschaften herausarbeiten (z.B:
Catell, Prothro, Smith/Bond). Sie kommt zu dem Schluss, dass das
Festlegen und empirische Überprüfen von kulturellen Universalien
sehr diffizil sei. Als Beispiel diskutiert sie die Tauglichkeit von
Individualismus und Kollektivismus als Globaldimension, deren
Veränderungen und Bedeutungen sich nur in Distanz von der eigenen
Kultur erschließen.
Schlussbetrachtungen
Herbert Fitzek fragt in einer Schlussbetrachtung nach der Kultur
der Wissenschaft. Dazu wendet er Alexander Thomas’ Modell der
Kulturstandards an, um nach dessen Vorbild einen Critical Incident
zwischen quantitativer und qualitativer Forschung durchzuspielen
und zu interpretieren. Abschließend appelliert er für ein
selbstreflexives und selbstkritisches Handeln innerhalb der
Kulturpsychologie.
Gastbeitrag
Carl Ratner illustriert in seinem englischsprachigen Gastbeitrag
»Macro Cultural Psychology« den sozialen Charakter der
Rassenpsychologie am Beispiel der Diskriminierung der Schwarzen in
den amerikanischen Südstaaten. Er zeigt, wie Kinder von Eltern und
Gesellschaft »Rassenetikette« und »weiße Überlegenheit« lernen und
die »angemessenen« Wahrnehmungen, Kognitionen, Motivationen,
Emotionen und Selbstkonzepte entwickeln.
Studentische Arbeitsergebnisse
Bezug nehmend auf den Beitrag von Regine Hilt, fragt Kathalin Laser
nach der psychologischen Bedeutung der Schrift für den Menschen und
skizziert ein Forschungsdesign, in dem Probanden lateinische und
arabische Schriftbilder nacheinander in ansteigender
Darbietungsdauer vorgeführt werden und dann ihr Bilderleben durch
eine tiefenpsychologische Befragung erfasst werden. Sie erwartet,
dass mit zunehmend klarer werdendem Schriftbild den Probanden ihre
kulturspezifischen Assoziationen mit dem Schriftbild bewusster
würden.
Stephanie von Spies wendet den von Herbert Fitzek dargestellten
Kulturassimilator auf interkulturelles Marketing an und schlägt
vor, kulturtypische Gewohnheiten bezüglich eines Produkts mithilfe
der Critical Incidents Methode herauszuarbeiten. Diese könnten dann
im Rahmen eines programmierten Lernens in der Marketingabteilung
durchgearbeitet werden, um so deren Wissen bezüglich eines
fremdkulturellen Marktes und dessen Verbraucher zu vertiefen.
Im letzten Kapitel stellt Pascal Villain in Anlehnung an Janne
Fenglers Beitrag ein Untersuchungsdesign zur Grenzerfahrung
deutscher Soldaten beim militärischen Auslandeinsatz in
Afghanistan, die sowohl von der fremden Kultur als auch von der
zunehmende Bedrohungslage und Todesgefahr herrühren kann. Er möchte
damit Bewusstsein für die Problemlage schaffen und einen Beitrag
für Präventions- und Schulungsmaßnahmen vor dem Einsatz
liefern.
Diskussion
Der Tagungsband skizziert verschiedene Ansätze von interkultureller
Kommunikation und Kulturpsychologie/interkultureller Kompetenz. Wie
die Studentin Kathalin Laser betont, macht der Überblick deutlich,
wie verschieden die Begriffe »Kulturpsychologie« und »Kultur«
übersetzt werden können. Diese Verschiedenheit in den Ansätzen
ermöglicht es, Gegenstände und Hintergründe immer wieder anders zu
beleuchten und so ihre Perspektiven zu erweitern. Die Autoren tun
dies zum großen Teil anwendungsorientiert und mit Praxisbezug auf
ein konkretes Beispiel oder einen Untersuchungskontext zur
Überprüfung eines Erklärungsmodells.
Der Band ist kein Lehr- oder Standardwerk, sondern richtet sich an
ein Fachpublikum, das sich über die Themen der Potsdamer Tagung
2009 informieren möchte. Leser, die tiefer in eines der Themen
einsteigen möchten, können dies tun, indem sie den
Literaturhinweisen am Ende jeden Kapitels nachgehen.
Fazit
In »Kulturen im Dialog« werden von verschiedenen Teilnehmern
ausgewählte Felder und Formen interkultureller Kommunikation und
Kompetenz in kurzen Abhandlungen, Projektbeispielen und
Forschungsdesigns vorgestellt und umrissen. Das Buch liefert mit
speziell gefassten Beiträgen einen Überblick über ausgewählte
Zwischenschritte der aktuellen Diskussion.
Rezensentin
Dipl.-Kfm. Tatjana van de Kamp
Studierte Betriebswirtschaft und Organisationspsychologie und
arbeitet als interkulturelle Trainerin.
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