Rezension zu Stanley Kubrick
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Rezension von Michael Braun
Das Rätsel von starker Autorschaft im Film
Andreas Jackes Einblicke in die Stanley-Kubrick-Archive
Wer hat »Lolita« gedreht, von wem ist »Spartacus«? Allzu leicht
vergisst man den Namen des Regisseurs, wenn stattdessen der Titel
des Films oder der Autor der literarischen Vorlage die allgemeine
Wahrnehmung dominiert. Die Auteur-Theorie hat uns indessen daran
erinnert, dass auch der Film einen eigenen Autor mit einer
unverwechselbaren Handschrift hat. Stanley Kubrick (1928-1999) ist
in diesem Sinne ein wichtiger Vertreter der starken Autorschaft,
der in so gut wie jedem Filmgenre einen Akzent gesetzt hat. In der
deutschen Filmwissenschaft ist das gebührend zur Kenntnis genommen
worden, zuletzt 2010 in der klugen Einführung von Susanne Kaul und
Jean-Pierre Palmier. Auch der Berliner Filmwissenschaftler und
Filmemacher Andreas Jacke hat eine umfängliche Studie zu Kubricks
Filmen vorgelegt, ein Buch voller Enthusiasmus. Jacke würdigt den
Regisseur als eigensinnigen Titanen des Films, dem es vielfach
gelungen ist, Kunst und Kommerz, die Ansprüche der Ästhetik mit den
Erwartungen von Kritik und Publikum zu versöhnen.
Jedes der 15 Kapitel ist einem einzelnen Werk Kubricks gewidmet,
angefangen von den frühen kurzen Dokumentarfilmen. Das erste
Kapitel gilt den Fotoarbeiten (1946-1950), in denen Kubrick nicht
einfach Menschen und Situationen ablichtet, sondern den Blick auf
etwas in Szene setzt, ein wichtiges Verfahren seiner späteren
Filme: der Kamerablick auf die Welt. Im letzten Kapitel geht es um
das Filmprojekt »Aryan Papers« (1993), einer Adaption von Louis
Begleys Holocaust-Roman »Wartime lies« (1991), die aufgrund des
1993 angelaufenen, ebenfalls während des Kriegs in Polen spielenden
Films »Schindler’s List« von Steven Spielberg nicht realisiert
wurde.
Jacke geht von der Erfahrung aus, dass Kubricks Filme immer besser
werden, je öfter man sie sieht. Das liegt an der skrupulösen
Genauigkeit, mit der sich der Regisseur seinen Projekten zuwandte.
Schnitzlers »Traumnovelle«, die Vorlage für das erotische Ehedrama
»Eyes Wide Shut« (1999), beschäftigte Kubrick nahezu dreißig Jahre
lang. Die akribische Recherche, die in den opulenten Band »The
Stanley Kubrick Archives« (2008) dokumentiert ist, ging mit
verlängerten Dreharbeiten und der Mitarbeit des Regisseurs am
Schnitt einher. Überhaupt ist das Sammeln und Ordnen von Fakten
(Dokumenten, Fotografien, Literatur) im Archiv die Voraussetzung
für die visuelle Komposition. Der Produktionsdesigner Ken Adams,
der für sieben Bond-Filme zuständig war, zog Kubrick einmal zu
Rate, um die Ausleuchtung einer riesigen Schiffsanlage in »Der
Spion, der mich liebte« (1977) zu klären. Kubrick kletterte und
kroch vier Stunden lang durch die Kulissen des Studios, um eine
Lösung zu finden, wie Jacke berichtet.
Kontroll-Lust, Belesenheit, ja Besessenheit, und »klare, geordnete
Transparenz« bescheinigt Jacke Stanley Kubricks Filmbildern. Zu
Recht. Aber das ist nichts Neues, ebenso wie die für Kubrick
typische Ästhetik symmetrischer Räume, seine musikalische
Kommentierung der Handlung und sein »emotional indifferenter
Erzählstil« (Kaul/Palmier). Jacke macht sich auf die Suche nach den
Bedeutungen, die hinter dieser üppigen Bildausstattung stehen. Er
findet sie vor allem auf der inhaltlichen Ebene: in der »Verbindung
und Verdichtung« der Elemente der Erzählung zu einer sinnvollen
»visuellen und akustischen Erfahrung«. Sie lässt sich auf den
Nenner »kafkaesker Realismus« bringen: rätselhafte, fantastische
Stories mit realistischer Kulisse. Der Film ahme derart, so Jacke,
nicht die soziale Realität oder die literarische Vorlage nach,
sondern das Rätsel, um das er sich dreht. Diese Autoreferentialität
wird aber leider nur auf der thematischen Ebene ausführlich
untersucht.
Auf diese Weise gelingt es durchaus, in die Kubrick’sche Filmwelt
einzuführen, ohne den Plot zu vereinfachen. Zudem treten die
markanten Wendepunkte der Filmbiografie zutage: In »Lolita« (1962)
habe Kubrick seinen Stil gefunden und in dem wegweisenden
Science-Fiction-Film »2001: A Space Odyssey« (1968) zur Vollendung
gebracht. Am reizvollsten sind die Untersuchungen immer dann, wenn
Vergleiche angestellt werden: Edgar Allan Poe und Sigmund Freud als
,Paten‘ des Konzepts einer »männlichen Autonomie«, die klassische
Idee der Erhabenheit in dem Historienfilm »Barry Lyndon« (1975),
die James Bond-Bezüge (zu »Dr. No«) in der Komödie »Dr. Strangelove
or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb« (1963).
Die Frage ist nur: Kommt man der Autorschaft Kubricks auf die
Schliche, wenn man hauptsächlich die Bedeutungen und Deutungen der
Filme verfolgt und darüber die Struktur des Geschichtenerzählens
vernachlässigt? Besonders krass kommt dieses Missverhältnis bei der
Deutung von »Eyes Wide Shut« zum Ausdruck. Jacke spricht von einem
»misslungenen Film über die Subversion des Begehrens«. Dabei
übersieht er weitgehend die auktoriale Blick-Regie, mit der das
Begehren über die »Mindscreen«-Perspektive und Achssprünge
gesteuert wird.
So bleibt ein gespaltener Eindruck: Lesenswert als Dokument der
Begeisterung für einen großen Regisseur, anregend im
Film-Vergleich, aber von begrenztem Analysewert. Für eine
brauchbare Einführung in Studium und Schule ist das etwas zu
wenig.
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