Rezension zu Beratungskonzepte in der Psychoanalytischen Pädagogik

Fokus Beratung. Informationen der Evangelischen Konferenz für Familien- und Lebensberatung e.V. November 2011

Rezension von Annemarie Bauer

Bisher hat sich die Literatur der Psychoanalytischen Pädagogik weitgehend bezogen auf die pädagogische Praxis in Organisationen oder mit belasteten Kindern.

Wie v. Reischach im vorliegenden Buch meint (209), ist die Wahrnehmung zwischen Psychoanalyse (Abk.: PA) als Therapie und Psychoanalyse als Pädagogik sehr unterschiedlich: wird das erstere mit Geduld, Luxus und Muße konnotiert, so ist die Pädagogik (und die soziale Arbeit) orientiert an den schwierigeren Seiten des Lebens, am »täglichen Überlebenskampf, ...die Arbeit mit nicht motivierten Randgruppen, ...Gewalt, Misshandlung, Not und Elend«.

Man empfiehlt die psychoanalytische Pädagogik (Abk.: PP) auch aus ihrer Herkunft heraus (Aichhorn, RedI, Bettelheim u.a.) – als competent für die ganz praktische Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Familien, für die die gängigen pädagogischen Ansätze nicht ausreichen.

Damit setzt sich die PP auch von der Kinder und Jugendlichentherapie ab, erhofft zwar therapeutische Effekte, arbeitet aber deutlich direkter und intervenierender.

Dieses Buch nun legt noch mal einen anderen Akzent: Zwischen Pädagogik und Therapie siedelt sich Beratung an: wie sehen also Beratungskonzepte aus, die der Psychoanalyse und der PP entstammen? Darauf wollen zwölf Autorinnen und Autoren Antwort geben:

Die zunehmende Komplexität der Lebenswelten und die vielfältigen, sozial oft schwierigen Lebensumstände lassen einerseits den Beratungsbedarf quantitativ deutlich ansteigen und stellen andererseits Forderungen an ein ausdifferenziertes und flexibles Beratungsangebot. Nun haben die meisten therapeutischen Schulen Beratungskonzepte entwickelt, die mit den eigenen Handwerkszeugen, Theorieansätzen und Haltungen arbeiten.

So auch die PA und die PP:

Neben dem allgemein gültigen Anspruch, dass Beratung Informationen gibt, die (vorübergehende) Steuerung übernimmt und Lösungen sucht, betrachtet die PA und PP entstandene Lebenslagen Krisen vor allem unter dem Aspekt, welche Bedeutung sie für die Klienten haben, welche Reaktionen sie hervorrufen, wie sie eingefügt werden in das bisherige Leben, auf dessen Grundlage sie in der Regel verstanden werden, aber auch wie das Arbeitsbündnis gelingt und wie sich die Beziehung zwischen Berater und Klient gestaltet, wie das Nebeneinander von Gleichheit und Augenhöhe in der Beziehung und Ungleichheit und Unterschiedlichkeit in der Rolle gelingt. Ziel ist es, wie Rolf Haubl in seiner Einleitung erwähnt, blockierte Entwicklungschancen durch eine gelingende »koproduktive Erschließung von Entwicklungschancen« (11) zu lockern oder zu beenden.

Was beinhaltet ein psychoanalytisches Beratungskonzept, das sich für die (psychoanalytische) Pädagogik und Sozialarbeit zu Verfügung stellt?

Rolf Haubl versucht eine generelle Antwort, die so lautet: Man muss mit dem Unbewussten rechnen! (29): Das hatten wir aber schon durchgenommen!

Aber wie arbeitet man denn mit eben diesem Unbewussten in der Beratung? Auch hier wieder seine generelle Position:

Strukturierend die Selbstreflexion fördern und regressive Prozesse begrenzen, in der Gegenwart bleiben und den entstehenden Beziehungsprozess als Datenquelle nutzen.

Jutta Lutzi z.B. setzt an der »Szene« an: In der Beratung bekommt man nicht nur Szenen erzählt, sondern wird Teil der Szene zwischen Beraterln und Klientln und muss – als Beraterln – doch die Regie behalten, d.h. die Verführung und Abwehr an sich selbst erkennen.

Das Buch gibt viele Antworten, aber keine systematischen:

Nachteilig ist an diesem Ansatz folgendes: Wenn man wissen will, was denn, außer dem generellen Ansatz, mit dem Unbewussten umzugehen, spezifische Fragestellungen, Methoden, Zugänge, Barrieren etc. psychoanalytischer Beratungsarbeit sind, dann bleibt man in der Fülle der Beispiele ratlos.

Der Vorteil dieser Vielfalt: man bekommt Einblicke in viele Arbeitsfelder, z.B. in die Arbeit mit Multiproblemfamilien, mit Migrantenfamilien, in der Erziehungsberatung, im Jugendamt, wo ja noch ein gesetzlicher Auftrag dazukommt.

Man sieht aber auch, dass moderne psychoanalytische Beratung die Nähe zu anderen Verfahren so weit herstellen muss, dass der Anspruch »psychoanalytisch« zu arbeiten, gar nicht mehr als so eindeutig gestellt werden kann.

Das ist z.B. sehr gut in dem Artikel von Hans von Lüpke aufzuzeigen: Das dialogische Prinzip – oder die Methode der interaktionellen Wahrheitssuche statt der – der Psychoanalyse oft vorgeworfenen – Deutungsmacht führt in die Zirkularität (83), zumindest in die Nicht-Linearität der Kommunikation: Der Autor stellt selbst die Frage: Was daran ist noch psychoanalytisch? Oder ist es nicht schon systemisch-konstruktivistisch?

Die Antwort verweist auf den eigenständigen Ansatz: das unbewusste Zusammenspiel von zwei oder mehr Personen im Dialog, das »attunement« im Sinne von Daniel Stern – das ist das eigentlich psychoanalytische (88).

Das Spannende: die Anwendung der PA – hier auf Beratung als Format, Methode und Interaktion – verändert die theoretischen Grundaussagen so grundlegend, dass die Eigenständigkeit einer »reinen Lehre« – z.B der Beratung – nicht mehr beansprucht werden kann. Und doch bleibt natürlich etwas eigenständig Psychoanalytisches, in der Haltung, in der Beziehungsgestaltung, in der Selbstreflexion und in der Art der Beteiligung am Beratungsprozess. In diesem Buch muss man es sich selbst zusammensuchen, schade!, aber man kann es finden!

zurück zum Titel