Rezension zu Wiener Jazztrio

Gießener Anzeiger, 21. November 2011

Rezension von Heiner Schultz

Tomas Böhm stellte sein Werk »Das Wiener Jazz-Trio – Musik in NS-Zeiten« in Lich vor

LICH (hsc). Das klingt doch interessant: Ein Psychoanalytiker schreibt ein Buch über ein Wiener Jazztrio, in dem richtige Jazzmusiker vorkommen und der Protagonist sich auch noch mit Sigmund Freud unterhält. Am Samstag stellte Tomas Böhm sich und sein Werk in der Licher Stadtbibliothek vor, und es war ein köstlicher Abend.

Böhm ist Arzt, Psychoanalytiker und Autor und arbeitet in Stockholm, wo er 1945 geboren wurde. Er hat sowohl Fachliteratur wie »Die Liebesbeziehung« und »Recht haben«, als auch Populärwissenschaftliches wie »Nicht wie wir!« und Belletristik wie »Das Wiener Jazz-Trio – Musik in NS-Zeiten« veröffentlicht. In Schweden kennt man ihn zudem wegen seiner Kolumnen über Beziehungsprobleme.

Seine ungarisch-österreichische Familie war 1938 nach Schweden geflohen.

»Ich habe seit 1980 parallel zur Arbeit Romane geschrieben«, sagt der Autor, insgesamt sind es fünf, neben zahlreichen Fachbüchern. Böhm ist Jazzmusiker und Pianist. Während eines Urlaubs in San Diego habe er »Lust bekommen, einen Roman zu schreiben. Ich habe mich zu den Jazzern gehörig gefühlt«, ergänzt er, und daraus belebte sich der erzählerische Rahmen: »Sozialismus, Nazis, Jazz, das Wien der dreißiger Jahre und die Psychoanalyse. Und der Roman ist nicht autobiografisch«, fügt der Autor mit todernstem Gesicht hinzu.

Nun ja, immerhin geht dieser Nathan Menzel aufs Konservatorium, wird Pianist, trifft Jazzgrößen wie Coleman Hawkins (was sich Böhm auch gewünscht hätte) und spricht mit Sigmund Freud. Das ist einer der Höhepunkte der Lesung. Mit klugem Humor – Böhm hat auch ansonsten den Schalk im Nacken, merkt man – läuft dieser analytische Dialog ab, der zugleich tief kenntnisreich und mit satter Ironie die reine Absurdität der Dinge skizziert; blendend geschrieben zudem. Die zahlreichen Fachkräfte im Publikum lächeln verständig, wenngleich knapp. Doch Böhm hat noch mehr zu bieten. In der Story des Trios, die in der aufgehenden Nazizeit in Österreich spielt, geraten Menzel und ein Mitspieler, ein Gynäkologe, in SS-Haft, wo Letzterer die Befragerin dadurch völlig aus der Facon bringt, dass er ihr einredet, sie sei schwanger, das könne er sehen. Diese witzige Reise auf Messers Schneide so zu schreiben, dass man sich nicht schlecht fühlt und gerade noch nicht in Lachen ausbricht, ist eine literarische Leistung. »Man denkt ja immer, dass Analytiker sofort sehen können, was einem Menschen fehlt, was sie nicht können. Aber manche guten Gynäkologen können Schwangerschaft wirklich sehen«, sagt Böhm später schmunzelnd. Nicht ganz verwunderlich, dass ihn die Figuren später nicht allein lassen, hat Böhm doch so viel Fantasie, dass er beim Schreiben »zwei Wirklichkeiten« wahrnimmt, den Roman und das richtige Leben. »Der Abschied von ihnen war auch traurig. Sie wollten alle weiterleben, aber das habe ich nicht erlaubt.« Und auf die Frage seines deutschen Verlegers Hans-Jürgen Wirth »Hatte Freud, der auch literarisch schrieb, Recht, dass Romane leichter sind als wissenschaftliche Werke?« antwortet Böhm mit einem feinen Lächeln: »Ja. Was Freud aber nicht wusste, wirklichen Erfolg bei Frauen haben Saxofonisten.«

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