Rezension zu Ein Leben im Zeichen der Psychoanalyse
Feedback 4/2011 – Zeitschrift der ÖAGG (Österr. Arbeitskreis für Gruppentherapie und Gruppendynamik)
Rezension von Günter Dietrich
Wie der Autor im Vorwort berichtet, liegen diesem Buch
Tagebuchaufzeichnungen zugrunde, die die Basis für eine persönliche
Bilanz über eine mehr als 40-jährige Tätigkeit als Arzt,
Psychotherapeut und Wissenschafter gebildet haben. Die Stationen
des Lebenswegs von Josef Shaked legen den Rahmen dieser
Autobiographie, die im steten Wechselspiel mit der neueren
wissenschaftlichen Entwicklung der Psychoanalyse und im besonderen
der Gruppenanalyse dargestellt wird.
Im ersten Kapitel wird der Leser zu den Jugendjahren nach Israel,
über erste Studien- und Berufserfahrungen in New York zum
Medizinstudium ins Wien der Nachkriegszeit geführt. Der Jugendtraum
Psychoanalytiker zu werden geht in Wien auf Umwegen in Erfüllung
und bringt Shaked zum Wiener Arbeitskreis für Tiefenpsychologie –
und fast abrupt in die Lehrjahre auf der Couch bei Igor Caruso.
Caruso ist ein eigener Abschnitt in diesem Buch gewidmet, der Autor
präsentiert eine facetten- und einfussreiche und sicherlich
charismatische Persönlichkeit nuanciert in ihren zahlreichen
Widersprüchen. Hier mündet der Bogen der Erzählung direkt in die
Gegenwart, da Carusos beruflicher Werdegang in der NS-Zeit und die
Frage seiner Beteiligung an den Kindermorden in der damaligen
Jugendfürsorgeanstalt »Am Spiegelgrund« erst seit 2008 verstärkt
Anlass zur Diskussion gegeben haben. Shaked bezieht persönlich klar
Stellung – und schließt sich Karl Fallend darin an, dass die
Wurzeln der Psychoanalyse in Österreich »in den Trümmern und
Gräbern des Nationalsozialismus vergraben liegen«.1
Das dritte Kapitel wird in amüsanter Erinnerung an den ersten
Patienten in freier Praxis als Psychoanalytiker eröffnet. In der
fachlichen Weiterentwicklung kommt Shaked zur Gruppentherapie und
damit zu drei weiteren Lehrjahren, diesmal bei Raoul Schindler, bei
dem Shaked die Methode der dynamischen Gruppenpsychotherapie
kennenlernt. Diesen therapeutischen Ansatz entwickelt Shaked in
eigener psychoanalytischer Adaptierung weiter und setzt ihn
zunächst in der Facharztausbildung an der psychiatrischen Heil- und
Pflegeanstalt Maria Gugging und dann auch in der Privatpraxis
um.
Das fünfte Kapitel ist dem Beginn der Institutionalisierung der
Gruppenpsychoanalyse in Österreich gewidmet. Shaked beschreibt hier
mit einer besonderen Würdigung der persönlichen und fachlichen
Verdienste von Alice Ricciardi-von Platen die Gründungs- und
Anfangsjahre der Internationalen Arbeitsgemeinschaft für
Gruppenanalyse in Altaussee. In den Kapiteln sechs bis acht
zeichnet Shaked Entwicklungslinien der Psychoanalyse nach. Alleine
diese Darstellung würde dieses Buch lesenswert machen – aber der
eigentliche Reiz liegt in der Verbindung mit den Geschichten der
Lebenserfahrung des Autors, die fein dosiert den Wunsch erfüllen,
hinter die »graue Wand« des Analytikers zu blicken.
Ein Kernstück der vorliegenden Arbeit bildet das neunte Kapitel. In
der Abhandlung über die Geschichte der Gruppenanalyse, ihre
Ausbildungskonzepte sowie ausgewählte Aspekte und Probleme bietet
Shaked eine vorzügliche Übersicht mit umfassendem Wissen.
Abgerundet wird der Band durch einen Abschnitt zur analytischen
Großgruppe, den – gegenüber früheren Veröffentlichungen (vgl.
Shaked 2001 u. 2004) – die Einarbeitung des aktuellen Diskurses
innerhalb der Gruppenanalyse auszeichnet.2
Josef Shaked, als Doyen der Psychoanalyse in Österreich, legt mit
diesem Buch eine spannende Verbindung von Lebensgeschichte und
Wissenschaftsgeschichte vor. Besonders bemerkenswert ist der reiche
Schatz an biographischen Daten zu bedeutenden FachvertreterInnen,
fast im Sinne eines (gruppen-)psychoanalytischen Lexikons. Trotz
der hohen internationalen Vernetzung des Autors folgt aber die
Sichtweise über weite Strecken mehr einem Great-Man-Konzept als
einer sozialgeschichtlichen Betrachtungsweise. Auch ein gewisser
Austrozentrismus in der Betrachtung der Gruppenpsychoanalyse mit
Fokus auf Altaussee kommt auf. Befremdlich dagegen erscheint die
Tatsache, dass eines der beiden österreichischen international
anerkannten Ausbildungsinstitute für Gruppenanalyse, die Shaked
mitbegründet hat und denen er langjährig als Leiter vorsteht,
nämlich die Fachsektion Gruppenpsychoanalyse im ÖAGG, unerwähnt
bleibt.
Mit seinem »Leben im Zeichen der Psychoanalyse« bringt Josef Shaked
einen formal eigenständigen und sehr lesenswerten Band, der die
Tradition der »Psychoanalyse in Selbstdarstellungen« würdig
fortsetzt. Das eingangs angesprochene Wechselspiel von
Autobiographie und Wissenschaftsgeschichte ist geglückt, das
Ergebnis gleichermaßen als zeitgeschichtlicher Beitrag wie als
Abriss der (Gruppen-)Psychoanalyse interessant. Besonders empfohlen
werden kann dieses Werk auch allen in gruppenpsychoanalytischer
Ausbildung befindlichen Personen – da der Autor zugleich eine gut
aufbereitete Einführung in diese eigenständige Methode der
Psychoanalyse ermöglicht.
1 Fallend, K. (2008): Editorial. Werkblatt, Nr. 60/1
2 Shaked, J. (2001): Erfahrungen mit interkulturellen Großgruppen.
In: A. Pritz & E. Vykoukal (Hg.): Gruppenpsychoanalyse. Theorie,
Technik, Anwendung. Wien: Facultas
Shaked, J. (2004): Zur Zukunft der analytischen Großgruppe. In: M.
Hayne & D. Kunzke (Hg.): Moderne Gruppenanalyse. Theorie, Praxis
und spezielle Anwendungsgebiete. Gießen: Psychosozial-Verlag