Rezension zu Das Geheimnis unserer Großmütter

Neues Deutschland, Beilage zur Frankfurter Buchmesse 2011

Rezension von Ernst Reuß

Das Tabu

Es gibt nicht gerade viele Studien über Vergewaltigungen im Krieg, obwohl dies ein Verbrechen ist, das Frauen und Mädchen zu allen Zeiten widerfuhr. Eine der wenigen aktuellen Untersuchungen wurde 2006 in Kroatien durchgeführt. 80 Prozent der 65 befragten Frauen, die dort zwischen 1991 und 1995 vergewaltigt worden sind, litten noch zum Zeitpunkt der Interviews unter Depressionen.

Sowohl in der BRD als auch in der DDR wurde über die Vergewaltigungen am Ende des Zweiten Weltkrieges weitgehend geschwiegen. Diese Tabuisierung trug dazu bei, dass tausende Frauen mit ihrem Trauma alleingelassen wurden. Gründe für das Verschweigen derartiger Verbrechen sind oftmals die aus der Öffentlichmachung des einzelnen Schicksals resultierenden Konsequenzen, denn häufig folgen soziale Ausgrenzung und Schuldumkehr.

Mehr als 65 Jahre danach ist für viele Frauen nun die letzte Möglichkeit gekommen, davon zu berichten. Auf Zeitungsanzeigen meldeten sich 300 Personen, von denen letztendlich 27 ausgewählt wurden; alle sind am Ende des Zweiten Weltkriegs von Rotarmisten vergewaltigt worden. Sie waren damals zwischen 12 und 26 Jahre alt. Zwar gibt es auch Berichte von Übergriffen US-amerikanischer, britischer und französischer Soldaten am Ende des Zweiten Weltkriegs, doch beschränkt sich dieses Buch auf Vergewaltigungen durch Angehörige der Roten Armee, da diese zahlenmäßig überwogen. Jene sollen bis zu 1,9 Millionen Frauen vergewaltigt haben – eine Schätzung, da keine exakten Zahlen vorliegen.

Allerdings kommt diese Studie erst nach 70 Seiten Theorie und Methodik zum eigentlichen Inhalt. Dann erst sprechen die Betroffenen selbst. Eine heute 82-jährige Frau sagt: »Zwei haben mich festgehalten, ein Dritter hat dann mich vergewaltigt. Dann haben die sich abgewechselt. Und das ging so ungefähr fünf Mal. Die Bewohner haben mich von der Straße aufgelesen, weil ich unten geblutet habe.« Eine um ein Jahr jüngere Frau erinnert sich: »Er fragte meine Mutter, warum ich weine. Da sagte meine Mutter, ich bin krank. Das hat er wohl nicht geglaubt. Dann hat er mich mitgenommen auf den Kornboden, durch den Schweinestall, Hühnerstall. Der hat mir sogar noch /'nen leeren Sack hingelegt und mich dann auch vergewaltigt.«

Eine andere 79-jährige lenkt ein: »Es ist ja kein Wunder. Das sind auch bloß Männer. Unsere haben es genauso gemacht.« Die wenig überraschenden Ergebnisse der Studie sind, dass jede zweite Frau eine voll oder teilweise ausgeprägte posttraumatische Belastungsstörung aufweist und 81 Prozent sich in ihrer Erotik und Sexualität gestört fühlen.

Die auf einer Diplomarbeit an der Universität Greifswald basierende Studie ist, wie deren Autorin Svenja Eichhorn selbst einräumt, nur bedingt repräsentativ. Dennoch, es macht auf das Thema »Kriegsvergewaltigung« aufmerksam, das leider noch immer aktuell ist. Und es macht vielleicht anderen Frauen Mut, über ihr Schicksal zu sprechen.

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