Rezension zu Trauma
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Rezension von Dr. med. et Dr. disc. pol. Andreas G. Franke
Thema und Zielsetzung
Der Autor hat das Trauma in den Fokus dieses übersichtlichen Buches
gerückt. Er vermittelt entsprechend der Buchreihe aus
psychoanalytischer Perspektive vor dem Hintergrund der historischen
Entwicklung Basiswissen über den aktuellen Kenntnisstand und den
therapeutischen Umgang mit Patienten mit Traumatisierungen. Der
Autor verdeutlicht, dass die Psychoanalyse als Traumatheorie begann
und heutzutage als Beziehungspsychologie verstanden werden kann,
die (traumatisierende) Beziehungserfahrungen als Ursache schwerer
psychischer Störungen versteht. Dabei unterscheidet der Autor
grundsätzlich zwischen akuten Extremtraumatisierungen und komplexen
(Beziehungs-)Traumata, mit denen er sich im Verlauf
beschäftigt.
Autor
Dr. med. Mathias Hirsch ist 1942 geboren und Facharzt für
Psychiatrie sowie Facharzt für psychotherapeutische Medizin und
Psychoanalytiker (DGPT, affiliertes Mitglied der DPV) sowie
Gruppenanalytiker. Er ist Lehrbeauftragter an der Universität
Hamburg und arbeitet in eigener Praxis in Düsseldorf. Seine
Forschungsschwerpunkte liegen auf dem Feld der
Trauma-/Traumatisierungsforschung. In diesem Zusammenhang
beschäftigt er sich vor allem mit der Dynamik und den
(Aus-)Wirkungen langjähriger (Beziehungs-) Traumata (insbesondere
sexueller Missbrauch). Er hat mehrere Sach- und Fachbücher und
Aufsätze zu verschiedenen Themen veröffentlicht.
Entstehungshintergrund
Das Buch ist im Rahmen einer Reihe des Psychosozial-Verlages über
die »Analyse der Psyche und Psychotherapie« erschienen. Die Reihe
beschäftigt sich mit grundlegenden Konzepten und Begrifflichkeiten
der Psychoanalyse und stellt diese vor ihrem historischen
Hintergrund dar.
Aufbau und Inhalt
Nach einem kurzen Vorwort leitet Mathias Hirsch mit der Vorstellung
des nach seinen Angaben teilweise inflationär gebrauchten
Traumabegriffes in die Thematik ein. Dabei differenziert der Autor
zwei Arten des Einwirkens »von außen auf die Psyche des
Individuums, mit zerstörerischen, psychisch nicht zu integrierenden
Folgen, [d] was Notmassnahmen erfordert.« Dabei handelt es sich zum
einen um komplexe, meist langwierige Beziehungstraumata in der
frühen Ontologie und Extremtraumatisierungen meist im
Erwachsenenalter. Während Letztere meistens post-traumatische
Belastungsstörungen (PTSD, PTBS) zur Folge haben, die mit simplen
verhaltenstherapeutischen Maßnahmen durchaus behandelbar sind,
fokussiert Hirsch in seinem Buch auf komplexe Traumata, deren
Folgen und die Notwendigkeit einer analytischen Behandlung.
Der Autor beginnt mit Ausarbeitungen »Zur Geschichte
psychoanalytischer Traumakonzepte« nach Freud und beschreibt die
Unfähigkeit des psychischen Apparates des Einzelnen mit extremen
Reizen umzugehen, was die Abspaltung des Erlebten in Form
tranceartiger Bewusstseinszuständen zur Folge haben kann. Im
folgenden Unterkapitel wird die Rolle der Mutter als Reizschranke
des Säuglings, die schädliche Reize fernhält, deutlich und zudem
ausgeführt, dass ein Trauma keineswegs einen einmaligen
überschwelligen Reiz darstellen muss, sondern auch durch eine
sukzessive/sequentielle Kumulation schwächerer Reize – aber auch
das Unterbleiben (emotionaler Mangel affektiver Zuwendung bei
Heimkindern) – ausgelöst werden kann und verweist auf die Arbeiten
von Bowlby und Fonagy.
Während Freud das Individuum und bezüglich Traumatisierungen die
intraindividuelle Genese ins Zentrum seiner Arbeit rückte,
fokussierte Sandor Ferenczi auf traumatisierende Einflüsse
interindividueller Beziehungen.
Im darauf folgenden Kapitel wird der moderne Traumabegriff ins
Zentrum der Betrachtung gerückt, der die kausale Genese des Traumas
Ferenczis fortsetzt. Zunächst wird die Distinktion von
»Akuttraumatisierung im Gegensatz zu chronisch-familiären Traumata«
ausgearbeitet. Darüber hinaus verdeutlicht Mathias Hirsch anhand
von Kasuistiken die Relevanz sequentieller Traumatisierungen und
zeigt die Abwehrmaßnahmen der Opfer als Folgen (z.B. inneres
Abschalten, Dissoziation von Affekten, Verlust der
Symbolisierungsfähigkeit, etc.) von übermäßigen Reizen auf, wobei
erneut die Mutter als Schutz vor Überreizung für den Säugling/das
Kleinkind/Kind betont wird. Im weiteren Verlauf zeigt Hirsch die
»Transgenerationale Weitergabe traumatischer Erfahrungen« auf und
illustriert mehrere Beispiele von traumatisierten Eltern, deren
Traumafolgen an deren Kindern beobachtet wurden, was durch die
Identifikation mit und des Sich-hinein-versetzens der Kinder in den
Eltern geschieht, was Freud als »psychische Infektion« ansah.
Im Kapitel über »Psychoanalytische Therapie mit traumatisierten
Patienten« greift Mathias Hirsch auf seine langjährigen Erfahrungen
mit traumatisierten Patienten zurück und zeigt die Relevanz eines
interaktionellen, dialogischen therapeutischen Stils und die der
Beziehungsarbeit in der analytischen Therapie Traumatisierter, die
die Deutung in den Hintergrund rücken lässt. Zentraler Bestandteil
ist das gemeinsame Durcharbeiten der(s) traumatisierenden
Situation(en) in einer tragfähigen, vertrauensvollen
therapeutischen Bindung zum Patienten. Dabei bahne Vertrauen
Intersubjektivität und Übertragungsphänomenen den Weg. Hirsch
bezeichnet den Analytiker dabei treffend als »Hilfs-Ich«, das nicht
nur – aktiver als ursprünglich in der Psychoanalyse üblich –
agieren darf, sondern entsprechend moderner neurowissenschaftlicher
Forschungsergebnisse sogar soll und dem Patienten mit Metaphern und
Bildern helfen solle.
Schließlich macht der Autor auf den Stellenwert der
Gruppenpsychotherapie von Traumatisierten aufmerksam, die weit mehr
als nur das Objekt des Analytikers in der Einzeltherapie als
Projektionsfläche biete und als »komplexerer, kreativerer
Spielraum« diene. Der Autor führt sogar die Möglichkeit gemischter
Gruppen von Tätern und Opfern an.
Die Schlussbemerkung ermöglicht dem Leser abschließend einen kurzen
Rückblick über das Gelesene.
Zielgruppe
Das Buch richtet sich sowohl an Studierende aber vor allem an
ausgebildete Psychotherapeuten aller Schulen und solche, die sich
in der Ausbildung befinden.
Diskussion und Fazit
Mathias Hirsch berichtet kenntnisreich und dem Format der Buchreihe
entsprechend übersichtlich und knapp über das Traumakonzept in der
Psychoanalyse und weiß sie der Genese entsprechend zu
differenzieren und ihrer jeweiligen Psychotherapieform –
Verhaltenstherapie bzw. Psychoanalyse – zuzuordnen. Ein sehr
bedeutungsvoller Bestandteil in der psychoanalytischen Behandlung,
die vertrauensvolle und durchaus aktive therapeutische Beziehung
zum Patienten, stellt er nach modernen Maximen in den Vordergrund.
Die Berichte über Gruppenpsychotherapie Traumatisierter v.a. in
gemischten Täter-Opfer-Gruppen erscheinen als gewagte
Herausforderung für Therapeuten, Opfer und Täter.
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