Rezension zu Architektur des psychischen Raumes
Psychiatrische Praxis, Heft 38 2011
Rezension von Samuel Thoma
Grieser J. Architektur des psychischen Raumes – Die Funktion des
Dritten.
L(i)ebe lieber zu dritt – warum die menschliche Psyche nur im
Dreieck funktioniert
»Der Mensch kann nicht herausfinden, wo auf der Erde er sich
befindet, ohne den Mond oder einen Stern als Bezugspunkt zu
benutzen. Zuerst kommt die Astronomie, erst daraus ergeben sich die
Landkarten.« Mit diesem Zitat Paul Austers sucht Jürgen Grieser
das eigentlich aus der Trigonometrie stammende Prinzip der
Triangulierung verständlich zu machen, das dazu dient, den Abstand
zweier Punkte vonei- nander durch ihren jeweiligen Abstand zu einem
gemeinsamen dritten Punkt zu bestimmen. Dass dieses Konzept des
Dritten auch in der psychodynamischen Theorie eine tragenden Rolle
hat, dürfte bekannt sein. Jürgen Griesers frisch erschienenes
Buch »Architektur des psychischen Raumes – Die Funktion des
Dritten« macht es sich nun zur Aufgabe, diese tragende Rolle des
Dritten für unser Menschsein und das heißt genauer für die
Entstehung und Aufrechterhaltung unseres psychischen Raums in einer
umfassenden Studie darzustellen. Denn was der Raum mit
Triangulierung zu tun hat, wird nicht nur in der Trigonometrie
deutlich, sondern auch im psychischen Sinne, wo ein raumgebender
Abstand zwischen uns und dem anderen, zwischen Du und Ich, erst
dort erfahrbar wird, wo wir beides auf eine dritte (trennende wie
verbindende) Instanz beziehen können – welche in der Psychoanalyse
schließlich die Sprache ist. Dabei gelingt es dem Autor in
beeindruckender Weise, die Bedeutung eines solchen Denkens im
Dreieck für die tägliche Arbeit des Psychotherapeuten in aller
Vielschichtigkeit darzustellen. Während im ersten Abschnitt
Grundsatzüberlegungen zum Triangulierungskonzept unternommen
werden, kommen diese dann im Bezug auf die psychodynamische
Entwicklungstheorie (mit einem besonders hervorzuhebenden Abschnitt
über das Lebensende) zur Entfaltung. Hiernach wendet Jürgen
Grieser das ausgearbeitete Thema dann konsequent auf die
Psychopathologie und Therapie von Triangulierungsstörungen an:
Psychotherapie wird für den Autor weniger zur Arbeit in der Tiefe
und Vergangenheit, als vielmehr zur Gestaltung von Oberflächen und
Zukunftshorizonten. Das letzte Kapitel schließlich widmet sich
künstlerischen und kreativen Aspekten, die mit dem Thema des
Dritten zu tun haben.
Illustriert werden die Ausführungen Jürgen Griesers von
zahlreichen Therapiebeispielen, die komplexe Sachverhalte immer
wieder lebensnah auf den Punkt bringen. Der Autor vermag dabei, dem
Leser in einem verständlichen und präzisen Stil den selbst in der
deutschen Psychoanalyse immer noch wenig gelesenen Lacan in
inspirierender Weise verständlich zu machen.
So hat Jürgen Grieser mit »Architektur des psychischen Raumes –
Die Funktion des Dritten« ein eindrucksvolles und reichhaltiges
Kompendium psychoanalytischen wie anthropologischen Denkens zur
Frage der Triangulierung verfasst, dessen Anschaffung jedem
Psychotherapeuten auch jenseits der Schulgrenzen zu empfehlen
ist.