Rezension zu Knastmauke (PDF-E-Book)

fachbuchjournal 3. Jahrgang Aug/Sep. 2011 Ausgabe 4

Rezension von Prof. Dr. Wolfgang Schuller

Sibylle Plogstedt: Knastmauke. Das Schicksal von politischen Häftlingen der DDR nach der deutschen Wiedervereinigung

Schon seit langem ist es ein Problem, dass die Haftfolgeschäden von Häftlingen auf dem Gebiet der SBZ und dann der DDR angemessen anerkannt werden, auch in Renten- und anderen Entschädigungsleistungen. Eine sachliche Schwierigkeit ist die, dass posttraumatische Schädigungen erst seit einiger Zeit überhaupt wissenschaftlich herausgearbeitet worden sind, zumal da sie erst lange nach der eigentlichen Schädigung auftreten und daher schwer nachzuweisen sind. Bei Vietnam-Krieg-Veteranen und auch bei NS-Opfern hat sich die Würdigung solcher Schäden aber durchgesetzt, nur bei DDR-Opfern macht es Schwierigkeiten, was auch damit zu tun hat, dass das Tabu der Gleichsetzung von NS- und kommunistischen Opfern besteht. Daher war es ein großes Verdienst des Kollegs für Geschlechterforschung der Universität Duisburg-Essen, die gesundheitliche und soziale Situation von ehemaligen SBZ- und DDR-Häftlingen zu untersuchen und die Ergebnisse im vorliegenden Band zu publizieren.

Der erste Teil des Buches besteht in der Darlegung der Untersuchung selbst, die mit zahlreichen Daten, Tabellen und Schaubildern nach den unterschiedlichsten Kriterien vorgeführt wird und tadelsfrei vorgenommen wurde. Sie ergibt, dass die Schäden erheblich sind und eine entsprechende Würdigung verdienen, an der es aber noch mangelt. Im Anschluss daran werden ausführliche Befragungen zweier Expertinnen wiedergegeben, zum einen von Annegret Stephan, langjährige Leiterin der Gedenkstätte Moritzplatz in Magdeburg, zum anderen von Ruth Ebbinghaus, Ärztin an der Abteilung Sozialpsychiatrie der FU Berlin. Der zweite umfangreichere Teil besteht aus meist in Ichform wiedergegebenen Berichten von Häftlingen oder von Angehörigen, die ja auch zu leiden hatten; sie machen den Band zu einer besonders lohnenden Lektüre. Die Berichte sind zeitlich geordnet und machen also verschiedene Entwicklungen deutlich, so etwa, dass die anfängliche körperliche Gewaltanwendung und Folter durch die psychische abgelöst wurde, die schwerer nachzuweisen ist und die nach Aussage mancher Häftlinge oft schwerer zu ertragen war.

Es wird sehr differenziert gefragt: nach dem sozialen und rechtlichen Umfeld vor der Haft, es kommen das angebliche Delikt zur Sprache, die Untersuchungs- und Strafhaft, die besonders brutalen Jugendwerkhöfe, die gesundheitlichen Auswirkungen und das weitere Schicksal nach der Entlassung, in die DDR oder in die Bundesrepublik, im letzteren Fall die Problematik der Haftfolgenberücksichtigung. Die Fragen werden ohne jede Erwartungshaltung oder sonstige Schemata gestellt, entsprechend individuell wird geantwortet. Sehr bemerkenswert ist die gesellschaftliche Stellung der Häftlinge: von den Befragten war »mehr als die Hälfte Arbeiter, Handwerker oder Putzfrauen«. Auch sonst zeichnete sich die soziale Zusammensetzung der Häftlinge dadurch aus, dass sie als »Durchschnittsbürger« bezeichnet werden können, genau wie die Teilnehmer an der späteren Herbstrevolution in der DDR. Noch einmal sei betont, dass der sozialistische Staat der Arbeiter und Bauern großenteils Angehörige der Unterschicht in die Gefängnisse schickte.

Die Autorin des Buches und Initiatorin der Untersuchung kommt aus der Studentenbewegung West-Berlins, erlebte den Einmarsch der Truppen fast aller Mitglieder des Warschauer Paktes 1968 in die Tschechoslowakei, beteiligte sich am dortigen Widerstand und war von 1969 bis 1971 in Prag inhaftiert. Anschließend war sie im demokratischen linken Spektrum West-Berlins aktiv und ist jetzt freie Journalistin und Autorin. Sie weiß also, mit wem sie es jeweils zu tun hat, und deshalb kommt ihren deutlichen Stellungnahmen besonderes Gewicht zu. Sie rechnet zu Recht auch solche politischen Häftlinge zum Widerstand und damit zu Mithelfern bei der Wiedervereinigung, die mit der kommunistischen Repression in Konflikt kamen, ohne ausdrücklich Widerstand leisten zu wollen – etwa durch Fluchtversuche – und fragt mit berechtigtem Vorwurf, »warum diejenigen, die die deutsche Einheit erkämpft haben, zu Menschen wurden, denen es heute besonders schlecht geht.«

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