Rezension zu Unbewusstes (PDF-E-Book)
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Rezension von Andreas G. Franke
Günter Gödde, Michael B. Buchholz: Unbewusstes
Thema und Zielsetzung
Die Autoren haben das Unbewusste ins Zentrum dieses übersichtlichen
Buches gestellt. Sie vermitteln aus psychoanalytischer Perspektive
Basiswissen über die historische Entwicklung und den aktuellen
Kenntnisstand des Unbewussten und nähern sich ihm aus vertikaler
Perspektive des Schichtmodells von Verdrängung und Repression und
horizontaler Perspektive dem System sozialer Resonanzen an.
Autoren
Dr. phil. Dipl.-Psych. Günter Gödde studierte Rechtswissenschaften
und Psychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München
und der Freien Universität (FU) Berlin. Er ist Dozent, Supervisor
und Lehrtherapeut an der Berliner Akademie für Psychotherapie (BAP)
und der Psychologischen Hochschule Berlin (PHB). Darüber hinaus ist
er als psychologischer Psychotherapeut in eigener Praxis tätig und
veröffentlichte mehrere wissenschaftliche Aufsätze und Fach- und
Sachbücher.
Prof. Dr. phil. Dr. disc. pol. Dipl.-Psych. Michael B. Buchholz ist
Sozialwissenschaftler und Psychologe. Er war Leiter der
Forschungsabteilung des Lehrspitals Tiefenbrunn der Universität
Göttingen, ist seit 1995 Professor für Sozialwissenschaften der
Universität Göttingen, Mitbegründer der Sigmund-Freud-Universität
(Wien) und hat Gast- bzw. Vertretungsprofessuren an den
Universitäten Hildesheim, Kassel und Berlin. Darüber hinaus ist er
in eigener Praxis tätig, Lehranalytiker (DGPT, DPG) und verfügt
über nahezu universelle Expertise auf dem Gebiet der Psychologie
und angrenzenden Bereichen. Er veröffentlichte zahlreiche
wissenschaftliche Aufsätze sowie zahlreiche Fach- und
Sachbücher.
Entstehungshintergrund
Das Buch ist im Rahmen einer Reihe des Psychosozial-Verlages über
die Analyse der Psyche und Psychotherapie erschienen und stellt
einen integralen Bestandteil dieser Reihe dar.
Aufbau und Inhalt
Nach einem kurzen Vorwort, in dem Gödde und Buchholz einen kurzen
historischen Abriss der Begriffe des Bewussten und Unbewussten
darstellen, beginnen sie mit einer übersichtlichen Einleitung, in
der sie die beiden Perspektiven des Unbewussten dem Leser kurz
näher bringen. Dabei wird betont, dass das Unbewusste und die
Momente, in denen es sich in der Kommunikation zeigt keineswegs
eindeutig und teilweise auch widersprüchlich sind. Daraufhin wird
ein geschichtlicher Rückgriff über das Unbewusste bis ins frühe
Mittelalter vorgenommen und der Bogen bis in die post-freudianische
Zeit gespannt.
Der erste Abschnitt stellt »Das ›vertikale‹ Unbewusste« als
»Schichtmodell von Verdrängung und Repression« dar, während der
zweite Abschnitt »Das ›horizontale‹ Unbewusste« als »Ein System
sozialer Resonanzen« aufzeigt.
Der erste Abschnitt beginnt mit »Drei philosophische[n]
Kontroversen über Bewusstsein und Unbewusstes«. Dabei stellen Gödde
und Buchholz zunächst die Kontroverse zwischen Leibniz und
Descartes dar, wobei klar wird, dass Leibniz noch kein vom
Bewusstsein klar separiertes Unbewusstes postulierte aber von
Abstufungen der bewussten Wahrnehmung ausging. Descartes hingegen
nahm eine klare Unterscheidung zwischen res extensa und res
cogitans vor (Leib-Seele-Dualismus). Die zweite Kontroverse finden
die Autoren in der Distinktheit von Romantik und Aufklärung. Hier
führen sie Teile der Werke von Goethe, Herder und Carus an. Die
dritte Kontroverse finden die Autoren in »Wille versus Intellekt«,
wobei sie hier auf das Triebunbewusste eingehen.
Bereits in diesen Kontroversen kristallisiert sich die vertikale
Dimension des (supprimierten) Unbewussten heraus. Darauf folgend,
zeigen Gödde und Buchholz vertikale Verdrängungsprozesse bei
Schopenhauer auf und weisen dann auf das triebhaft-vitale
Unbewusste bei Nietzsche hin. Sie stellen darüber hinaus die
Vorstellung der Verdrängung Herbarts dar und widmen sich
schließlich Freuds Konzepten des verdrängten und triebhaft
Unbewussten, was sie zunächst anhand von Fehlleistungen und Träumen
bzw. der Traumdeutung illustrieren. Bezüglich der Interpretation
von Träumen weisen die Autoren jedoch auch auf »moderne« Einwände
hin, nicht jeden Traum als Manifestation unbewusster Wünsche zu
verstehen. Die Autoren nehmen schließlich eine Verortung der
Verdrängung und des Verdrängten vor und machen u.a. mit Freuds
Instanzenmodell die vertikale Perspektive des Unbewussten deutlich,
um sich dann anderen Schulen zuzuwenden (Adler, Jung,
post-freudianisch), die teilweise bereits den Blick für die
horizontale Perspektive öffnen.
Während der erste Abschnitt eher historisch-theoriefundiert ist,
weist der zweite Abschnitt über »Das horizontale Unbewusste« mehr
psychologisch behandlungs-praktische Aspekte auf und basiert auf
moderneren Literaturstellen. Es wird deutlich, dass sich Menschen
in einem a-priorisch interaktiven unbewussten Feld begegnen, in dem
sie Dinge voneinander wissen, ohne dass es eine bewusste
Repräsentanz dessen gäbe, was mit dem Terminus der
»Inter-Subjektivität« beschrieben wird. Während die vertikale
Perspektive ego-zentrisch denkt, betont die horizontale Perspektive
das dyadische Inter, welches als Resonanzphänomen beschrieben wird.
Die Autoren führen erneut das Beispiel der Fehlleistung auf, wobei
das Augenmerk hier nicht auf dem individuell Verdrängten, sondern
auf dem interindividuellen Umgang damit liegt. Diese
interindividuelle Perspektive stellen Gödde und Buchholz ins
Zentrum der Beziehung zwischen Patient und Therapeut (Analytiker),
um gemeinsam verdrängtes Unbewusstes zu bearbeiten: »[…] das
Unbewusste versteht das Unbewusste!« Bei ihren Schilderungen nehmen
die Autoren u.a. Bezug auf moderne »Babywatcher«, Freuds
Ausarbeitungen über Telepathie und (auf den ersten Blick nahezu
zufällig erscheinende) Beobachtungen aus dem Tier- und
Menschenreich, um sich daraufhin schließlich den Spiegelneuronen
zuzuwenden.
Schließlich findet »Die Verbindung von vertikaler und horizontaler
Dimension« statt, in der klar wird, dass es im psychoanalytischen
Setting weit mehr auf die horizontale Dimension der unbewussten
Resonanz oder den »common ground« (von Patient und Therapeut)
ankommt als bislang angenommen, was Gödde und Buchholz mit
Rückgriff auf namhafte v.a. zeitgenössische Autoren betonen. Die
Autoren sprechen hier von einem »Nebeneinander im Kino«, um
gemeinsam Erlebtes (des Patienten) aufzuarbeiten.
In der Schlussbemerkung machen die Autoren deutlich, dass die
Erinnerungen von Psychotherapeuten an Therapiesitzungen subjektiv
und bisherige Aufzeichnungsmodalitäten von Therapiesitzungen ebenso
subjektiv verfälscht sein können und es auf Grund der Komplexität
der Psychoanalyse genauer Transkripte bedarf.
Zielgruppe
Nach Angaben der Autoren richtet sich das Buch sowohl an
Studierende aber vor allem an ausgebildete Psychotherapeuten aller
Schulen und solche, die sich in der Ausbildung befinden.
Diskussion und Fazit
Günter Gödde und Michael B. Buchholz wissen gekonnt über das
Unbewusste zu berichten. Sie hantieren ungeheuer kenntnisreich aber
dennoch leichtfüßig mit dem Begriff des Unbewussten und den beiden
Perspektiven, aus denen sie es betrachten, ohne den Text mit
Details zu überladen. Das Format der Buchreihe mag die Autoren zwar
an manchen Stellen dazu bewegt haben, einige Aspekte nicht weiter
auszuführen, aber dies ist in Anbetracht der brillanten und
übersichtlichen Gesamtdarstellung dieser hoch komplexen Thematik zu
vernachlässigen.
Rezensent
Dr. med. et Dr. disc. pol. Andreas G. Franke
M.A. Arzt und Sozialwissenschaftler. Beschäftigt an den
Universitären Psychiatrischen Kliniken (UPK) Basel
(Switzerland)
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