Rezension zu Der grausame Gott und seine Dienerin

Analytische Psychologie (Heft 165/ 3/2011 / 42. Jg.)

Rezension von Robert C. Ware

Ein innovatives, mutiges Buch von einem experimentierfreudigen Autor und seiner pseudonymen Patientin, Hannah H., die wahrhaftig die Bezeichnung »Therapiepartnerin« und Mitautorin verdient. Auf ihre Initiative hin werden die mitgenommenen Tonbandaufnahmen der Therapiesitzungen von ihr zu Hause transkribiert, um sie für sich nachzuarbeiten. Erst zweieinhalb Jahre nach Ende der Therapie fällt der Entschluss zur Veröffentlichung des Wortprotokolls. Das Buch ist ein Meilenstein: Hier wird meines Wissens zum ersten Mal eine ganze (vierjährige) analytische Psychotherapie in kommentierten Wortprotokollen veröffentlicht. Wo sonst in Fachartikeln und büchern nur erlesene Sitzungsauszüge oft nur Erinnerungsprotokolle einer Mikroanalyse unterzogen werden, bieten uns Moser und Hannah H. im Originalwortlaut zuzüglich nachträglich festgehaltener, nicht ausgesprochener Gefühle, Beobachtungen und Gegenübertragungsreaktionen des Therapeuten eine große Menge an Material, an dem wir lernen können, in dem ein therapeutischer Prozess vom Anfang bis zum Ende genauestens verfolgt und analysiert werden kann.

Als einer der Ersten in Deutschland hat sich Tilmann Moser für ein aktives, »handlungsdialogisches« Einbeziehen des Körpers in die psychoanalytische Psychotherapie ausgesprochen. Darüber hat er mehrere Bücher publiziert und 1994 zwei Lehrfilme gedreht. Bereits seit 1974 mit »Lehrjahre auf der Couch« galt Moser lange Zeit als das Enfant terrible der deutschsprachigen Psychoanalyse. In zahlreichen Büchern hat er sich immer wieder schonungslos mit der eigenen Zunft auseinandergesetzt. Auch dieses Werk wird sicher nicht nur wohlwollend rezipiert. Es dennoch der Kritik vorzulegen, ist mutig und verdienstvoll zugleich.

Die hier dargestellte Therapie ist in zweierlei Hinsicht exemplarisch: Es handelt sich zum einen um eine psychoanalytische Körperpsychotherapie, was in breiten Kreisen der Psychoanalyse nach wie vor als Widerspruch in sich gilt. Zum anderen, wie der Titel bereits verrät, geht es in dieser Therapie exemplarisch um eine so genannte »ekklesiogene« (kirchenbedingte) neurotische Störung: Die Patientin, eine 31 jährige Pfarrerstochter und Ergotherapeutin, leidet seit Jugendjahren unter einem verfolgerischen Gottesbild. Sie quälen erschütternde Albträume, lähmende Schlafstörungen, schmerzlich Ängste und niederdrückende Lebenseinschränkungen. Zu Moser kam sie eine fünfstündige Bahnfahrt in Kauf nehmend! nach der Lektüre seiner 1976 erschienenen Gottesvergiftung, in der Meinung, nur er könne ihr helfen. Hannah H. bekennt gleich zu Beginn des Erstgespräches, sie habe ihre ganze Jugend damit verbracht, »die Kirche irgendwie zu retten [...} vor dem Untergang«. Hilfreich ist ihr, endlich aus der Isolation ihrer Verzweiflung und Ängste zu treten und sich von einem mitfühlenden Therapeuten, der Ähnliches erlebt und erlitten hat, verstanden zu erleben, der bereit ist, zu ihr eine vertrauensvolle face to face Beziehung einzugehen. Hannah H. findet in der Therapie einen Freiraum, in dem sie sich mit ihren Beziehungen zu Gott, der Kirche und ihrer Familie auseinandersetzen kann. Über vier Jahre kommt sie einmal im Monat für zwei bis drei (kassengenehmigte) Sitzungen, in denen sie ihre religiöse Seelenbiographie als Kirchenbeschädigte erforscht. Die Therapie ist ein affektgeladenes Wechselbad von Idealisierung und Verteufelung des Therapeuten, voller Krisen und Verstrickungen, nachgeholter Pubertätskämpfe und gegen Ende ein Ringen um Ablösung.

Moser resümiert:

Natürlich nahm das Buch die symbolische Form eines gemeinsamen Projektes an oder des Garanten eines über die Dauer der Therapie hinausragenden Bandes. Die Übergänge von Idealisierung, Verteufelung und realitätsnäherer Erfahrung meiner Person durchziehen den Text und hielten auch mich in Übertragung auf sie und in Gegenübertragung passagenweise heftig in Atem. Ich bemühte mich aber, auch meine Zweifel, Kompetenzverluste und offensichtlichen Fehler aufzuzeichnen, obwohl die Versuchung eines ›frisierten Textes‹ mich gelegentlich streifte. Meistens habe ich der narzisstischen Schwäche einer mich schonenden Zensur widerstehen können, weil ich mich aus der Ausbildung daran erinnerte, wie perfekt die Fallberichte der altvorderen Lehrer sich oft darstellten. (Vorwort, S. 7)

Damit will er »jüngeren Kollegen indirekt mitteilen, dass Fehler unumgänglich sind und dass auch vom Therapeuten verschuldete Krisen zu einem Gewinn werden können, wenn er aufrichtig bleibt und sich entschuldigen kann« (S.8).

Die Leser, ob erfahrene Fachpersonen, junge Kolleginnen, betroffene oder nur interessierte Laien, erhalten einen ungewohnten Überblick über den Verlauf einer psychoanalytischen Körperpsychotherapie. Beide Partner zeigen sich mit schonungslosen Bekenntnissen einer Öffentlichkeit, die meistens nur auf Vermutungen und Phantasien über die Widerfährnisse und Verstrickungen, aber auch über die freudvollen Erfolge von schwierigen Therapieprozessen angewiesen sind. Ein Buch, das neben Mosers 2004 erschienenen, autobiographischen Bekenntnisse einer halb geheilten Seele. Psychotherapeutische Erinnerungen jedem/jeder Psychotherapeutin wärmstens empfohlen werden kann.

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