Rezension zu Was den Menschen antreibt
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Rezension von Dr. Alexa Köhler-Offierski
Autor
Erich Fromm lebte von 1900 bis 1980 und war promovierter Soziologe
und Psychoanalytiker. Er lebte zwischen Frankfurt, Berlin, den USA
und Mexiko und in seinen letzten Lebensjahren im Tessin. Beruflich
war er unter anderem von 1930-39 am Institut für Sozialforschung in
Frankfurt tätig, über Jahrzehnte praktizierte er als
Psychoanalytiker und noch heute bekannt ist er mit seinen
Publikationen wie »Die Kunst des Liebens«, »Die Anatomie
menschlicher Destruktivität«, um nur einige zu nennen,
Publikationen, die jeweils den gesellschaftlichen Kontext mit der
menschlicher Entwicklung zusammenführen. Eine zusammenhängende
Darstellung seines theoretischen und praktizierten Verständnisses
der Psychoanalyse habe er sich zwar vorgenommen, so der
Herausgeber, jedoch nie realisiert.
Herausgeber
Rainer Funk, Psychoanalytiker und letzter Assistent Fromms, ist als
Nachlassverwalter seit Jahrzehnten engagiert, Fromms Beiträge auch
deutschen LeserInnen zugänglich zu machen. Er hat in diesem Band
Beiträge Fromms aus den Jahren 1937 bis 1975 zum Thema Theorie und
Praxis der Psychoanalyse zusammengestellt, mit einem Vorwort und
instruktiven »Quellennachweisen mit editorischen Erläuterungen zur
Entstehungsgeschichte der Beiträge« versehen. Dabei hat er die
Aufsätze thematisch und nicht chronologisch geordnet und zeigt so
Fromms lebenslang andauernde Auseinandersetzung mit Freudschen
Auffassungen und eigenen Weiterentwicklungen.
Aufbau und Inhalt
In verschiedenen Aufsätzen und Vortragsmanuskripten hat Fromm sein
Verständnis von psychoanalytischer Theorie und Praxis dargestellt.
»Über meinen psychoanalytischen Ansatz« von 1969 führt in
Grundpositionen ein. Fromm sind zwei Punkte wichtig: er betont die
Bedeutung der gesellschaftlichen Faktoren bei der Bildung des
Charakters und bei Bildung von theoretischen Modellen, wie er an
Freudschen Ansätzen subtil, aber auch mit viel Einfühlungsvermögen
aufzeigt. Außerdem nimmt er eine kritische bis ablehnende Haltung
gegenüber der Freudschen Trieb- und Libidotheorie ein, wie er
insbesondere in der Abhandlung zur »Psychoanalyse zwischen Trieb-
und Beziehungstheorie« aufzeigt und begründet die Bedeutung von
Beziehungen als zentral für die menschliche Entwicklung.
Alle Arbeiten sind durchzogen
a. von einer Auseinandersetzung mit Freudschen Positionen und
b. der sorgfältigen Reflexion der Verknüpfung intrapsychischer mit
gesellschaftlichen Prozessen.
So betont er z.B. die Bindung an die Mutter als »Lebensspenderin«
als eine prägenitale, nicht durch das Konstrukt des Ödipuskomplexes
zu erfassende tiefe Beziehung. Eine Vielzahl von klassischen
psychoanalytischen Aspekten werden berührt, wie in den
Überschriften neben den bereits genannten Titeln der einzelnen
Artikel deutlich wird:
»Psychische Bedürfnisse und Gesellschaft«,
»Die Dialektische Revision der Psychoanalyse«,
»Das Wesen der Träume«,
»Anmerkungen zum Problem der freien Assoziation«,
»Der Ödipuskomplex«,
»Sexualität und sexuelle Perversionen« und
»Die Bedeutung der Psychoanalyse für die Zukunft«.
Der Bogen spannt sich also von der Bedeutung des Unbewussten, der
Träume, dem klassischen Setting und damit verbundenen
Infantilisierungsrisiken, Charakterbildung in Wechselbeziehung zu
gesellschaftlichen Strukturen bis zu Sexualität und Konsum.
Dieser besondere psychoanalytische Blick, der das Individuum in
seiner Beziehung zur Gesellschaft im Blick hat, wird auch daran
deutlich, dass drei der neun Arbeiten ursprünglich in dem Band
»Gesellschaft und Seele« der Gesamtausgabe erschienen.
Anstelle einer Diskussion: Warum kann die Lektüre von Interesse
sein?
Zum einen könnte man ein historisches Interesse anführen, die
Aufsätze eines seit 31 Jahren verstorbenen Autors im Original zu
lesen. Das wird aber wohl nur wenige LeserInnen betreffen.
Zum zweiten kann man in den einzelnen Arbeiten nachvollziehen, wie
produktiv und anregend die Auseinandersetzung mit Freudschen
Schriften in Verbindung mit den eigenen Erfahrungen und
wissenschaftlichen Erkenntnissen sein kann und zu noch heute
wichtigen Impulsen für die Praxis führen kann. So arbeitet Fromm
ausgehend vom Verständnis der Sexualität heraus, dass »die
klassische Theorie … einen wichtigen Bereich überhaupt nicht
aufgegriffen ›hat‹: den Körper zu begreifen als einen Weg zum
Verständnis des Unbewussten. Der Körper ist ›ein Symbol der Seele‹:
Die Gestalt des Körpers, die Haltung, die Art des Gehens, die
Gesten, der Gesichtsausdruck, das Atmen und die Sprechweise …«(S.
153) Diese Bedeutung des Körpers droht z.B. in einer
psycho-sozialen Praxis immer wieder verloren zu gehen. Dabei sind
die Sorgfalt der Argumentation und die Verständlichkeit der Sprache
wertvoll.
Zum dritten verdeutlicht Fromm, warum psychoanalytische Ansätze
unbedingt in Verbindung gebracht werden müssen mit
gesellschaftlichen Kontexten und wie dadurch auch das Verständnis
sowohl für den Einzelnen wie für gesellschaftliche Prozesse
erweitert wird. Das ist auch Fromms Wunsch für die Zukunft der
Analyse: »dass sie wieder eine kritische Theorie wird, indem sie
hilft, die heute in den Individuen und in der Gesellschaft
entscheidenden Verdrängungen aufzuklären, Widersprüche aufzuhellen
und Ideologien zu entzaubern…«.
Hierzu können die Analysen Fromms eine Anleitung auch für heutige
LeserInnen sein.
Fazit
Es ist das Verdienst Rainer Funks, Arbeiten Erich Fromms zugänglich
zu machen, die demonstrieren, dass Psychoanalyse ohne Reflexion
gesellschaftlicher Bedingungen sich selber ihres kritischen
Potentials entledigt. Dabei imponiert die sorgfältige Beschreibung
der jeweiligen Grundlagen, von denen ausgehend Fromm seine Schlüsse
zieht. Fromm verdeutlicht damit eine Haltung, die auch heute noch
beispielhaft ist. Darüber gibt er auch im Detail Anregungen z.B.
zum Konsum, die zwar heute nicht mehr neu sind, aber dennoch
weiterhin aktuell bleiben.
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