Rezension zu Unbewusstes (PDF-E-Book)
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Rezension von Matthias Hübotter
Was für ein großartig spannendes Thema dachte ich nach dem Lesen
des Buchrückens, in welchem der Anspruch der beiden Autoren
formuliert ist: sozusagen »eine kurze Geschichte des Unbewussten«!
Die gibt es zwar tatsächlich im ersten Teil, aber für ein so
schmales Büchlein von 138 Seiten war das ganz offenbar ein viel zu
großer Anspruch (siehe Resümee). Erst im zweiten Teil begriff ich
erleichtert, dass diese kurze Geschichte über den Begriff des
Unbewussten offenbar auch nur die Hinführung sein sollte zum
eigentlichen Thema: der spannenden Frage, wie es möglich ist, dass
im Bewusstsein eines guten Therapeuten die Gefühle des Klienten
intuitiv auftauchen können, die der Klient selbst (noch) nicht
fühlt, also eigentlich gar nicht hat!
Das nun ist nicht nur eine äußerst spannende Thematik, sondern auch
eine, die wiederum tiefes Licht in die Struktur unseres Unbewussten
wirft! Denn das Phänomen kennt sicher jeder Therapeut. Schließlich
besteht die therapeutische Arbeit ja genau darin. Aber wie lässt es
sich erklären?!
Nun, die beiden Autoren bieten zum Verständnis dafür im zweiten
Teil ein von Ihnen so genanntes »horizontales Modell des
Unbewussten« für soziale Beziehungen an, das das bisherige
»vertikale Modell des Unbewussten« für unser je individuelles
Bewusstsein ergänzen müsse. Auf den wenigen Seiten der Begründung
wird es tatsächlich spannender, spürt man auch das Herzblut der
Autoren pochen. Sie skizzieren neue Forschungen zur Beziehung des
Kindes zu den Eltern (aber Lacan taucht nur als Eigenschaftswort
»lacianisch inspiriert« auf, taucht auch nicht im Register auf!).
Und ihre Begründung findet sozusagen seinen verfrühten Höhepunkt in
dem – viel, viel zu knappen und flachen! – Hinweis auf das Buch von
Thomas Lewis, Fari Amini und Richard Lennon, das diese »wagemutig
als ›General Theory of Love‹ betitelt haben«.
Da würde man nun ein tieferes Eingehen auf die soziale Gestaltungs-
und Beziehungskraft der Liebe erwarten. Liebe, wie sie Verständnis
zwischen zwei Menschen eröffnet, zwischen den Eltern, vom Kind zu
den Eltern, den Eltern zum Kind, zwischen Therapeut und Klient,
oder umgekehrt. Liebe und Interesse als »das Sesam-Öffne-Dich« zur
Intuition. Aber Fehlanzeige! Nur knappe, platte, peinliche
Allgemeinplätze zu diesem doch so unendlich tiefen und spannenden
Thema, was Freud als »den Kern der Liebeserfahrung« angesehen habe:
»das der Liebende zum Geliebten oder zur Geliebten wird«, weil das
eine »Einheit ermöglicht, aus der beide als Andere hervorgehen«. Da
wird dann wenigstens das schöne Wortspiel von »Ver-Anderung«
angetippt.
Aber nicht einmal eine Erwähnung von Feuerbachs großartiger
Liebes-Philosophie! Keine Erwähnung Martin Bubers »Ich und Du«,
Erich Fromms Klassiker »Kunst des Liebens«, Prechts Bestseller
»Liebe – Ein unordentliches Gefühl«. Geschweige denn Platos
großartigen Ausführungen zur menschlichen Liebe.
Resümee: Kein Wunder, dass auch die Anschauungen Freuds, Jungs und
Adlers viel zu oberflächlich, schief bis geradezu irreführend
ausfallen. Die schrieben ja nun nicht nur tief und aufschlussreich
über die Liebe - sondern in dem Rahmen natürlich auch bereits über
das von den Autoren vermeintlich ganz neu eingeführte »horizontale
Modell des Unbewussten«! Man denke nur an Freuds Theorie der
Übertragung! Oder Jungs Ausführungen zu den unbewussten Motiven des
Sich-Verliebens anhand des Yin-Yang-Modells! Und beide waren sich
noch bewusst, dass sie mit all ihrer Tiefenpsychologie
gewissermaßen »nur Fußnoten« schrieben zum großen Plato (um mit dem
ebenfalls nicht erwähnten Schopenhauer zu sprechen). So sagt Freud
rückblickend auf seine Entdeckungen in seiner »Selbstdarstellung«
1925: »Auch wusste ich damals noch nicht, dass ich mit der
Zurückführung der Hysterie auf Sexualität bis auf die ältesten
Zeiten der Medizin zurückgegriffen und an Plato angeknüpft
hatte«.Und Jung zu Miguel Serrano: »Heute hört niemand mehr auf
das, was hinter den Worten liegt, ..., auf die ihnen zu Grunde
liegenden Ideen. Und doch ist die Idee das einzig wahrhaft
Vorhandene. Meine Arbeit bestand ja vor allem darin, diesen Ideen
und Wirklichkeiten neue Namen zu geben.«
So taucht die eigentlich spannende Frage noch nicht einmal irgendwo
auch nur andeutungsweise auf, wie es denn eigentlich kam und welche
Bedeutung es hat, dass die moderne »Tiefenpsychologie« das
Unbewusste des Menschen eben in dessen Tiefe sucht, also »unten« –
während man bis dahin das Unbewusste doch »oben« suchte, in der
Höhe des (Ideen-)Himmels, bei den Göttern, Sternen, jedenfalls
oben?! Auch die Strömungen der Transpersonalen Psychologie oder des
»neurolinguistischen Programmierens« werden im Büchlein nicht
einmal erwähnt, aber keinem NLP`ler würde ein solches Kauderwelsch
der Metaphern passieren wie diesen Autoren, wenn sie ihr
»Horizontales Modell des Unbewussten« verdeutlichen wollen gerade
anhand eines Seismographen (S. 78/79)! Ein Seismograph zeigt doch
die Erschütterungen in der Tiefe an!!! Weil doch auch tatsächlich
aus meiner eigenen Tiefe intuitiv die Gefühle des Anderen
auftauchen! Deswegen verglich doch Jung das Unbewusste des Menschen
mit Erdschichten, die bis in das Kollektive Unbewusste
hinunterreichen wie zum Magma, unseren gemeinsamen Urgrund, in
welchem unsere scheinbar so deutlich abgegrenzten Egos ineinander
fließen und wir alle eins sind! Es gibt eben »tiefe« Beziehungen,
die bis dort hinunter reichen, und »oberflächliche«, die sich nur
am vergänglichen Körper oberhalb der Erdoberfläche orientieren.
»Die Liebe aber ist das tiefste Gefühl, und die höchste
Erkenntnis«, wie Schleiermacher deswegen sagte, eben weil sie sich
eins fühlt und weiß mit dem Anderen – und ihm dennoch die Freiheit
lässt.
Aber im ersten Teil wird ja eben doch der Anspruch erhoben, das mal
eben so zusammenfassen zu können. Ich muss sagen: mangelhaft, nicht
ausreichend!
Und auch die im eigentlichen Sinne tiefenpsychologischen Abschnitte
haben so gravierende Mängel, dass ich sie nicht als gut oder
befriedigend bezeichnen kann. Nur wenige gute oder tiefe Gedanken –
richtiger: Gedankenanstöße - entschädigen für die laue Kost.
So bleibt Ellenbergers »Entdeckung des Unbewussten« die
Standard-Literatur zum Thema. Das Buch ist von 1985, also über 35
Jahre alt! Aber auch nicht von den Autoren erwähnt! Man fürchtet,
sie kennen es nicht einmal. Denn Ellenberger fängt seine Geschichte
ganz richtig mit dem vergessenen Franz Anton Mesmer der Aufklärung
an - den die Autoren auch nur so oberflächlich wie irreführend kurz
in die Ecke der Zauberei, schwarzen Kunst und hypnotischen Magie
rücken (Seite 88). Statt dass sie von ihm und den Mesmeristen die
so tiefen Fragen nach dem damals so genannten »Rapport« zwischen
Therapeut und Klient für ihre Fragestellung neu aufgriffen! Die
meinten mit »Rapport« gerade jenes so merkwürdig bis in das tiefste
Unbewusste hinunterreichende »Ein-Verständnis« zwischen Therapeut
und Klient in der Hypnose - das uninformierten Außenstehenden ja
tatsächlich wie Zauberei, schwarze Kunst oder hypnotische Magie
erscheinen mag. Während der Mesmerismus doch gerade im Sinne der
Aufklärung diese archaischen Möglichkeiten mit seinen Mitteln
aufklären wollte.
Kurz: ein hoch spannendes Thema, gut gemeint, aber für meinen
Geschmack zu »postmodern«, zu kurz, zu oberflächlich gegriffen –
wenn auch mit gelegentlichen Geistesblitzen.