Rezension zu Unbewusstes
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Rezension von Michaela Heinz
Die Autoren Dr. Gödde und Dr. Buchholz bewegen sich beide im
beruflichen Kontext im Bereich der Psychotherapie und integrieren
daher eine Menge eigener Anteile, sowohl aus den Erfahrungen aus
den verschiedenen therapeutischen Settings, als auch scheinbar aus
eigenen theoretischen Glaubenssätzen, in die Erörterung des
weitreichenden Themenfeldes des Unbewussten mit ein.
Wie es der Titel dieses Werkes schon unschwer erkennen lässt,
befasst sich dieses, mit gerade einmal 140 Seiten ausgestattete
Sachbuch, trotzdem ausgiebig mit den zwei Gesichtspunkten des
Unbewussten. Zu Beginn wird ein kurzer Abriss über die kontroversen
Interpretationen des Unbewussten im historischen Verlauf gegeben,
der mit einigen kurzen Details ausgestattet, einen interessierten
Leser vielleicht dazu animiert, etwas tiefer in anderer Literatur
nachzuforschen und einzelnen zeitgeschichtlichen Sachverhalten zu
diesem Thema mehr Aufmerksamkeit zu widmen.
Nach diesem kurzen Abriss steht der Leser auch schon inmitten des
ersten großen Themenbereichs: dem vertikalen Unbewussten. Es wird
der Streit von Leibniz und Descartes erörtert und der Leser wird
darüber in Kenntnis gesetzt, warum dieser auch heute noch Bedeutung
hat. Rhetorisch ist dieser Teilabschnitt besonders gelungen.
Stoffliche Einheiten werden gebündelt, durch Zwischenfragen wird es
dem Leser erleichtert, einzelne Themengebiete miteinander zu
verknüpfen und Sinneinheiten zu bilden. Somit wird ein hohes Maß an
Übersichtlichkeit gewährleistet. Zum Beispiel: »Zusammenfassend
kann man sagen...« oder »Was sind die essenziellen Bestandteile
dieser Traditionslinie?« Mit diesem Hilfsmittel erscheint das
komplexe und vielschichtige Thema plötzlich verständlich und
nachvollziehbar. Von vielen wichtigen Autoren werden zudem
wörtliche Zitate eingebracht, die dem ganzen eine gewisse Lockerung
verschaffen und der detaillierten, chronologischen Reihenfolge der
Geschichte des Begriffs des Unbewussten eine gute Struktur
vermitteln. Am Ende eines Sinnabschnittes werden wichtige Fazits
noch einmal zusammengefasst auf den Punkt gebracht – immer mit dem
Hinweis, warum dieser und jener Punkt jetzt gerade so wichtig ist
und warum er betrachtet wird. »Denn wir werden dabei interessante
Verbindungen zu Freud entdecken. Verbindungen, aber auch
Unterschiede. So lässt sich später besser die besondere Leistung
Freuds verstehen.« Diese Strukturierung wird auch durch die vielen
Zwischenüberschriften, die chronologische Reihenfolge und die
rhetorisch gelungenen Überleitungen noch verstärkt. Als besonders
anschaulich empfand ich persönlich das Beispiel zum Freud’schen
Versprecher. Immer wieder werden theoretische Konstrukte an
Fallbeispielen der jeweiligen Wissenschaftler deutlich gemacht. So
zum Beispiel der Fall der Lucy R., deren quälende subjektive
Geruchsempfindungen als Symptom einer Verdrängung von
konflikthaften Gefühlen und Gedanken geschildert wird. Bei der
Betrachtung des mit dem Unbewussten stark verbundenen Konstruktes
der Verdrängung betonen die Autoren die Wichtigkeit des Unbewussten
für die Psychotherapie. Die Verbindung der drei Instanzen ICH, ES
und ÜBER-ICH werden betrachtet und deren Gehalt an Unbewusstem
erörtert. Es werden die Nachfolger Freuds und deren jeweilige
Theorien genannt, so Adler, der den Trieben als Handlungsimpuls das
Minderwertigkeitsempfinden entgegen gestellt hat, welches zum
Ausgleich drängt, oder Jung mit dem kollektiven Unbewussten als
gewaltige Erbmasse der Menschheitsentwicklung und seinen
Archetypen. Auch auf die später aufkommenden
Objektbeziehungstheorien, der Abwendung vom Sexual- und
Aggressionstriebs hin zu einem Bedürfnis nach Beziehungen, Kontakt,
Sicherheit, ... sowie die Selbst-Psychologie und die
intersubjektive Wende- der Paradigmenwechsel mit seiner neuartigen
Synthese von Psychischem und Sozialem, von Selbst und Anderem
werden aufgeführt. Mit diesem Thema endet der erste von zwei großen
Gliederungspunkten des Unbewussten in diesem Buch – leider mit ihm
auch die Chronologie, die Strukturiertheit und ein wenig der rote
Faden, der den Leser so leichtfüßig durch dieses Thema geführt hat.
Mit Beginn des zweiten Themenkomplexes, dem horizontalen
Unbewussten, wechselt der Ton des objektiven Berichterstatters
geschichtlicher Zusammenhänge und wissenschaftlicher Konstrukte hin
zu eher persönlichen Schilderungen und Einstellungen und findet
leider nur recht spät im weiteren Verlauf der Ausführungen zurück.
Es werden die Themen angesprochen, wie man als Analysant und als
Analyst in der Therapie wechselseitig abhängig ist – und der Leser
wird das Gefühl nicht los, dass sich hier starke Emotionen in den
Text eingeschlichen haben, scheinbar mischen sich hier eigene Ideen
und Einstellungen der Autoren mit ein, besonders bei der Erörterung
der Unterschiede zwischen Autonomie und Souveränität des Menschen.
Es werden Resonanzphänomene betrachtet, die Oberfläche des Menschen
gewinnt in der horizontalen Ebene des Unbewussten wieder an
Bedeutung und immer mehr Poetisches schleicht sich in die
Ausführungen: »hier entfaltet sie ihren Reichtum, öffnet ihre ...
Komplexität, atmet Luft und in ihr weiten sich seelische
Verengungen zur Transparenz – aber im besten Sinn durch Resonanz
mit einem anderen, der Seelisches anzuregen vermag, weil er sich im
Begreifen davon ergreifen lassen kann.« Es werden die Praktiken
Freuds mit seinen theoretischen Ausführungen betrachtet und
festgestellt, dass beide Varianten (also die horizontale und die
vertikale) von Freud praktiziert wurden und, dass es diese beiden
zu vereinen gilt. Nach dieser Schilderung scheinen die Autoren sich
ein wenig in der dualen Codierung, im Zusammenhang zwischen
sozialem und biologischem Tod, in der Entdeckung der
Spiegelneuronen, in der integralen Sicht der
Entwicklungspsychologie und der Kontroverse zwischen
Kategorisierung versus Offenheit zu verlieren, um dann trotzdem am
Ende des Buches zu einem brauchbaren anwendungsbezogenen Konsens
über die Wichtigkeit beider Wirkungsebenen des Unbewussten zu
gelangen. Erst wenn die therapeutische Beziehung (sprich die
horizontale Ebene) funktioniert, kann vertikal gearbeitet werden.
Gespickt mit dem ein oder anderen Handlungshinweis ist dieses Buch
trotz seiner Abschweifungen im zweiten Teil oder gerade deswegen
besonders lesenswert und auch für die Praxis wertvoll.