Rezension zu In Anerkennung der Differenz
psychosozial 2/2011
Rezension von Ruth Boesch-Paulitsch
»In Anerkennung der Differenz. Feministische Beratung und
Psychotherapie« wurde von vier Mitarbeiterinnen von »Frauen beraten
Frauen« – Traude Ebermann, Julia Fritz, Karin Macke und Bettina
Zehetner – anlässlich des 30-jährigen Bestehens der Wiener
Frauenberatungsstelle herausgegeben. Gleich zu Beginn: Ich habe
dieses Buch mit großem Interesse und Freude gelesen. Ich war immer
wieder beeindruckt von der Vielfalt, dem hohen fachlichen Niveau
und dem breiten Spektrum, das dieses Buch umfasst. Es enthält
immerhin 20 Beiträge von 18 Autorinnen, einen Text von Marlene
Streeruwitz und Gedichte von Elfriede Gerstl. Dies macht es zu
einer kurzweiligen Lektüre.
Dem Bereich »Feministische Beratung« sind mehrere Artikel von Ruth
Großmaß, Agnes Büchele, Sylvia Groth und Felice Gallé, Bettina
Zehetner und Marion Breiter gewidmet. Breit gefächert gehen die
Autorinnen auf Themen wie »Frauenberatung im Spiegel von
Beratungstheorie und Gender-Diskursen«, Gewalt gegen Frauen,
Frauengesundheitsbewegung, Trennung und Scheidung, Online-Beratung
sowie auf die immense Bedeutung von Vernetzung für autonome
Frauenberatungsstellen ein.
Neben der »Feministischen Beratung« ist die »Feministische
Therapie« der zweite Schwerpunkt dieses Buches. Hier ist
anzumerken, dass es die feministische Psychotherapie nicht gibt.
»Es handelt sich eher um eine vor die Methodik gesetzte Analyse der
gesellschaftlichen Verhältnisse « (Sabine Scheffler, S. 31).
Therapeutinnen verschiedener Therapieschulen beschreiben das
Unterschiedliche sowie das Gemeinsame ihrer theoretischen und
praktischen Arbeit und hinterfragen ihre jeweilige Methode aus
einem feministischen Blick (Brigitte Schigl – Integrative
Gestalttherapie; Traude Ebermann – Katathym Imaginative
Psychotherapie; Anna Koellreuter – Psychoanalyse; Sabine
Kirschenhofer – Systemische Paartherapie; Marietta Winkler –
Personenzentrierte Psychotherapie). Alice Pechriggl sowie Regina
Trotz widmen sich in zwei Beiträgen der weiblichen Identität in
sozialen Zusammenhängen. Sie beschreiben die in Veränderung
begriffenen Geschlechtsidentitäten sowohl aus der Sicht der
Gruppenpsychoanalytikerin
als auch aus der der Gruppendynamikerin.Es ist recht verwunderlich,
dass es – trotz der zahlreich publizierten Theorie – immer noch an
der Eigeninitiative einzelner engagierter Frauen (und Männer?)
liegt, sich für eine Reflexion des Geschlechterverhältnisses
einzusetzen. »In der Praxis ist es nicht gelungen, feministische
Psychotherapie institutionell zu etablieren. Wir haben keinen
Eingang gefunden in die Ausbildungssysteme« (Sabine Scheffler, S.
31). Daher fühlen sich viele engagierte Frauen allein und als
Einzelkämpferinnen in ihrem Bemühen um
eine Verbindung von feministischem Blick und Therapiemethode.
Für die KIP gibt hier Traude Ebermann wertvolle Impulse zur
Integration des Genderthemas. Als Beispiele seien hier die
Einführung der Motive »Muschel« und »Amazone« genannt. Das Ausmaß
ihres wissenschaftlichen Rückhalts erschließt sich beim Lesen: »Es
muss gefordert werden, dass in den Therapieausbildungen aller
Schulen die Herstellungen von Geschlecht theoretisch beleuchtet,
reflektiert und praktisch erfahrbar werden, da Psychotherapie als
dritte Sozialisationsinstanz an der Bildung von Identität mitwirkt
(vgl. Krause-Girth 2004)« (Brigitte Schigl, S. 146).
Neben den Themen der feministischen Beratung und Therapie zieht
sich die Geschichte der Frauenbewegung als roter Faden durch diesen
Band. Es wird ein Bogen von der Vergangenheit über die Gegenwart
bis in eine mögliche Zukunft
gespannt, der zeigt, wie viel Feministinnen erreicht haben. Gleich
zu Beginn steht ein spannendes Gespräch zwischen Sabine Scheffler,
Margot Scherl und Christina Thürmer-Rohr. Stellvertretend für die
Pionierinnen der zweiten Frauenbewegung der 1970er Jahre erinnern
sie sich gemeinsam der Anfänge und schildern ihre Sicht der
Entwicklung des Feminismus. Julia Fritz benennt noch weitere
Generationen frauenbewegter Frauen: die Initiatorinnen der
Projektbewegung (Frauenhäuser, Frauenberatungsstellen …), die heute
etwa 40–50- jährigen Frauen, die schon Frauen- und Mädchenprojekte
und vereinzelte Frauenforschung an Universitäten vorfanden, bis zu
den Frauen, die nach 1970 und 1980 geboren wurden. Sie sind
diejenigen, an die die Zukunftsvisionen der »Älteren« gerichtet
sind. Und auch da wird Differenz erkennbar: Sabine Scheffler
spricht von einer »Atempause« der feministischen Bewegung. »Solange
es für die Widersprüche, die durch die linke Bewegung und durch die
Frauenbewegung gesellschaftlich sichtbar geworden sind, keine
gesellschaftliche Empörung und kein Ungerechtigkeitsempfinden gibt,
[…]
glaube ich, dass es so weiter geht« (S. 37). Julia Fritz gibt ihr
zwar zum Teil Recht, denn nach der derzeit vorherrschenden
gesellschaftlichen Meinung sei individuell (fast) alles
verwirklichbar. »Der Schritt von einem individualisierten
Selbstverständnis zu einem politischen Programm sei sehr groß« (S.
253). Andererseits beobachtet sie »parallel dazu auch ein buntes
Mosaik an (feministischen) Aktivitäten: […] interessante Bücher zum
Thema von jungen Autorinnen, […] feministische Weblogs, Grrrl
Zines, Frauenradios« (S. 253). Auf Initiative der
Frauenberatungsstelle reflektieren Expertinnen aus dem Raum Wien
gemeinsam ihre feministische Positionierung und deren Wandel im
Laufe der Zeit. Beeindruckend ist allein die Auflistung der
Arbeitsfelder, in denen Frauen frauenspezifische Aspekte und
Probleme mit berücksichtigen – besonders wenn man die Tatsache
bedenkt, dass es sich hierbei nur um einen kleinen Ausschnitt von
Fachfrauen handelte. Die Herausgeberinnen (Karin Macke, Bettina
Zehetner, Traude Ebermann, Julia Fritz)
verfassten im Anschluss daran persönliche Texte zu diesem
Austausch. Spätestens an dieser Stelle wird die wichtige Rolle der
Frauenberatungsstelle deutlich, die sie seit mittlerweile 30 Jahren
nicht nur für ihre zahlreichen Rat suchenden Frauen, sondern auch
für viele Kolleginnen spielte und spielt. »Also: Genug gemangelt!
[…] Was in den letzten Jahrzehnten geschaffen wurde, hat Qualität
und kann weitergegeben werden« (Regina Trotz, S. 224). Die
Vielfältigkeit macht dieses Buch für mehrere Zielgruppen so
wertvoll:
1. durch das hohe fachliche Niveau für alle Frauen und Männer, die
in Beratung oder
Psychotherapie arbeiten,
2. für alle Frauen, die sich der Frauenbewegung zugehörig
fühlen,
3. für alle historisch und an gesellschaftlichen Fragen
interessierte Frauen und Männer.
Ich möchte an dieser Stelle den Herausgeberinnen, Autorinnen und
Mitwirkenden dieses Buches, aber auch allen anderen Frauen danken,
die Theorie und Praxis der Frauenbewegung weitertragen. Sie leisten
wertvolle Veränderungsarbeit für eine tolerantere Welt, in der mehr
Vielfältigkeit lebbar ist. Am Ende des Buches bleibt mir die
Neugier auf die Wege, die die jungen Frauen einschlagen werden, da
diese Generation gleichsweise weniger zu Wort gekommen ist. Es
werden und müssen andere/eigene sein! »Die jüngere Generation hat
andere Strategien, ihren Feminismus zu vertreten. Es wäre nicht
gerecht, dies als vergleichsweise braver, weniger vorlaut zu
beschreiben, als dies die Generation der Mütter bzw. Großmütter
taten, noch tun mussten, um sich öffentlich Gehör zu verschaffen«
(Traude Ebermann, S. 245). Ich wünsche mir, dass dieses Buch die
ihm gebührende Resonanz findet und lege es besonders allen
BeraterInnen, PsychotherapeutInnen und AusbildnerInnen ans
Herz!
Ruth Boesch-Paulitsch