Rezension zu Destruktiver Wahn zwischen Psychiatrie und Politik
Deutsches Ärzteblatt PP 4, Ausgabe Juli 2005
Rezension von Maier Christian
Destruktiver Wahn ist ein seelisches Phänomen bei Einzelnen ebenso
wie auch in Gruppen, dem massive Projektionen von Aggression
zugrunde liegen und das zum Resultat hat, dass die Realität
wahnhaft entstellt wird. Angst machende und darum wieder
Aggressionen auslösende Vorstellungen von einer feindseligen Welt
mit hassenswerten Feinden setzen sich fest. Auf unerdenklich
geschickte Weise wird versucht, die Außenwelt derart zu
manipulieren, dass diese sich den hassverzerrten inneren Bildern
annähert. Dies alles stellt einen sowohl hoch komplexen wie
gleichermaßen rigiden psychodynamischen Vorgang dar, dessen
vorrangiges Ziel es ist, die psychotische Fragmentierung eines
Einzelnen oder den Zerfall einer Gruppe abzuwenden.
Das Schicksal der aggressiven Projektionen, die Gewalt, welche die
wahnhafte Entstellung der Realität gebiert, ist der rote Faden, dem
die Autoren dieses für den deutschen Sprachraum überfälligen Buches
mit ihren Beiträgen, die sich dem destruktiven Wahn im
Aufgabenbereich der Forensischen Psychiatrie und in Gesellschaft
und Politik zuwenden.
Dass man die Gegenwart nur auf der Folie der Vergangenheit
verstehen kann, dass Geschichte ihren Niederschlag in
Institutionen, Werten und übermitteltem Wissen gefunden hat, zeigt
Thomas Bender in seinem Beitrag über die Vorgeschichte des
Maßregelvollzugs in Deutschland. Vergegenwärtigt man sich diese
historische Hypothek – auch sie aus einem destruktiven kollektiven
Wahn geboren – beeindrucken die psychodynamisch überzeugenden
Konzepte und Modelle der beteiligten Autoren umso mehr. Dem Leser
werden kompetent die verschiedensten Facetten der Behandlung in der
Forensischen Psychiatrie, diesem »potenziellen Labor der
Aggressionsforschung« nahe gebracht.
Ein erster Hauptteil des Buches ist der Frage gewidmet, welche
therapeutischen Settings, welche Strukturen und begrenzenden
Einstellungen notwendig sind, damit Therapie das Potenzial an
Gewalt eindämmen kann. Dass Verweigerung ein wichtiges
therapeutisches Prinzip sein kann und dass Grenzsetzungen, also
nichts anderes als die Konfrontation mit der unliebsamen Realität,
und die daran anschließende Bearbeitung der Enttäuschungen wichtige
Pfeiler in der Behandlung von Menschen mit hohem Gewaltpotenzial
sind, wird überzeugend dargestellt.
Die gesellschaftspolitisch und soziologisch ausgerichteten Aufsätze
schärfen den Blick für die Allgegenwärtigkeit schier unbegrenzter
Destruktivität, die uns alle bedroht.