Rezension zu Kleist - Die Entdeckung der narzisstischen Wunde
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Rezension von Ulrike Schmoller
Wolfgang Schmidbauer stellt Heinrich von Kleist sowohl als
traumatisierten Menschen wie als Pionier des Narzissmus vor, der
lange vor Sigmund Freud das »Ich« entdeckte. Kleist zeigt bereits
als Kind eine überdurchschnittliche Intelligenz und eine deutliche
Hochbegabung, die ihm jedoch keine Bestätigung einbrachte, sondern
das Unverständnis seiner Umgebung, die nicht in der Lage war, seine
Bedürfnisse angemessen zu spiegeln. Durch den frühen Tod der Eltern
und die damit erzwungene verfrühte Autonomie wurde sein instabiles
Selbstbild zusätzlich erschüttert. Die Folge waren Unruhe,
Überaktivität, starke Stimmungsschwankungen und soziale Ängste, die
ihn zeitlebens nach Sicherheit und Stabilisierung suchen ließen.
Die Angst wird das zentrale Thema seines Lebens. Schmidbauer führt
nun Kleists Kompensationsversuche auf. Der Symbiosekomplex lässt
ihn sich einen Partner als Selbstobjekt aufbauen, mit dem er ganz
verschmelzen kann um sein Ich zu stärken. Doch weder sein Freund
Pfuel noch Wilhelmine von Zenge können seinem hohen Ideal einer
Liebe als Passion nahe kommen. Erst als er mit Henriette von Vogel
gemeinsam in den Tod geht, erfüllt sich seine nekrophile
Todessehnsucht. Trotz seiner Mittelpunkts- und Beurteilungsängste
wird das Schreiben für Kleist zu einem Weg, seine Hoffnung auf Ruhm
auszuleben. Die Literatur dient ihm als Übergangobjekt, in dem er
Zuflucht findet und sich seine Ordnung erschaffen kann. Voller
Ambivalenz und Widersprüchlichkeit schwankt er ständig zwischen
Idealisierung und Entwertung, Rückzug und Nähe. Was ihn, lange vor
Sigmund Freud, zum Pionier des Narzissmus macht, ist seine
ungebrochene Fähigkeit zu Selbstreflexion, die vor allem in seinen
Briefen zum Ausdruck kommt. Schmidbauer geht ausführlich auf
Kleists »Marionettentheater« ein, in dem dieser die Entdeckung des
Ich mit hoher künstlerischer Sensibilität zum Ausdruck bringt. Es
entsteht das komplexe Bild eines zerrissenen, hoch belasteten
Menschen, der in seinem Ringen seiner Zeit weit voraus war.
Schmidbauer erstellt eine erhellende psychodynamische Diagnose mit
stichhaltigen Bezügen zu Kleists Werk. Es gelingt ihm, seine
Ausgangsposition auf eine mitreißende und trotz der anspruchsvollen
Thematik gut lesbare Art plausibel zu machen.
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