Rezension zu Kinderheim Baumgarten
HEP Informationen. Bundesverband Heilerziehungspflege in Deutschland e.V. 2/2011
Rezension von David Schmidt
Kinderheim Baumgarten
Es gehört durchaus Mut dazu, sich einem Thema zuzuwenden, das seit
fast vier Jahrzehnten der Vergessenheit anheimgegeben ist. Für
Daniel Barth war es jedoch eine Herzensangelegenheit, Siegfried
Bernfeld wieder aus dem Dunkel der pädagogischen Geschichte
herauszuholen, ist er doch Lehrbeauftragter für psychoanalytische
Pädagogik, als einer deren Väter Bernfeld betrachtet werden darf.
Sein Kinderheim Baumgarten, nach dem Ersten Weltkrieg als
Einrichtung der Fürsorgeerziehung für Kriegswaisen eingerichtet,
stellte einen Versuch dar, pädagogisches Arbeiten durch die
Hereinnahme psychoanalytischer Begründungszusammenhänge
wissenschaftlich zu untermauern. Zudem ging es Bernfeld darum, sein
zionistisches Erbe in die praktische Arbeit einfließen zu lassen.
Nicht vergessen werden darf an dieser Stelle aber auch, dass er
sich auch einem marxistischen Ansatz verpflichtet fühlte, weshalb
seine pädagogische Zielrichtung auch darauf ausgerichtet war, die
jungen Menschen nicht im Sinne eines kritiklos angenommenen
Kapitalismus zu erziehen. Die Tragik seiner Arbeit zeigt sich
darin, dass er nach lediglich acht Monaten sein pädagogisches
Experiment aus Geldmangel beenden musste. Auch wenn er sich danach
nie wieder in der pädagogischen Praxis betätigt hat, galt doch bis
zu seinem Lebensende sein Interesse der Frage, wie eine
wissenschaftlich fundierte Pädagogik aussehen müsste. Als Schüler
Sigmund Freuds galt ihm hier die Psychoanalyse als wesentliches
Element. Bernfeld hat den pädagogischen Diskurs sowohl in Israel
als auch in den USA wesentlich beeinflusst. In der Bundesrepublik
taucht er in den späten sechziger Jahren als Apologet der
antiautoritären Erziehung kurz auf; danach wird er von der
Pädagogik vergessen. Zu Unrecht, möchte man meinen. Umso
spannender, dass Barth mit dem vorliegenden Buch Bernfeld und seine
pädagogische Arbeit der Fachöffentlichkeit zurückgibt. Untermauert
von zahlreichen erhaltenen Dokumenten und seltenem Bildmaterial,
welches aus dem Kinderheim selbst stammt, schlägt der Verfasser
einen weiten Bogen vom theoretischen Überbau der Pädagogik
Bernfelds bis hin zu den konkreten Problemen denen er sich in
diesen Monaten seiner praktischen Arbeit ausgesetzt sah. Wenngleich
der Autor mit Kritik an manchen Vorstellungen Bernfelds nicht spart
und deutlich macht, in welchen Punkten seine Vorgehensweise vor dem
heutigen Kenntnisstand keinen Bestand mehr haben kann, so weist er
zugleich darauf hin, in welch vielfältiger Art und Weise Bernfeld
manches vorgedacht hat, was heute selbstverständlicher Bestandteil
sozialpädagogischer Arbeit in der Jugendhilfe ist. Damit gelingt
dem Autor auch, die Fragestellung seiner Arbeit über die rein
historische Betrachtungsweise hinaus dahingehend zu erweitern,
welchen Nutzwert das Bedenken Bernfelds auch weiterhin für den
Bereich der sozialen Arbeit haben kann. Dieses Buch kann all denen
wärmstens empfohlen werden, denen die geschichtlichen
Entwicklungslinien der Pädagogik ebenso am Herzen liegen wie die
Frage, welche Ideen man bis zum heutigen Tage auch aus Modellen
ableiten kann, die im Fachdiskurs keinerlei Beachtung mehr finden.
Der Praktiker, der ein Interesse daran hat, auch über den
Tellerrand hinauszuschauen, wird mit großem Gewinn zu diesem Buch
greifen.
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