Rezension zu In Anerkennung der Differenz

systeme. Interdisziplinäre Zeitschrift für systemorientierte Forschung und Praxis in den Humanwissenschaften 1/11 (Jg. 25)

Rezension von Eva Reznicek

»Die Vision des Feminismus ist nicht eine weibliche Zukunft. Sie ist eine menschliche Zukunft. Ohne Rollenzwänge, ohne Macht- und Gewaltverhältnisse, ohne Männerbündelei und Weiblichkeitswahn.«

Dieses Zitat von Johanna Dohnal, einer der bedeutendsten österreichischen Frauenpolitikerinnen, ist dem Buch in der Einleitung vorangestellt. Dies sagt nicht nur inhaltlich aus, welchem Ziel feministische Beratung letzten Endes verbunden ist, es weckt auch Assoziationen mit dem Zeitraum der 70er und 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts, in dem eine weitere Phase politisch sehr effektiven Wirkens im Rahmen der 2. Frauenbewegung begonnen hat. Viele der Gesetze, die die Fundamente der rechtlichen Gleichstellung der Frauen erstmals in realisierbare Dimensionen rückten, sowie eine Atmosphäre geistiger und finanzieller Förderung vieler flankierender und stützender Maßnahmen sind damals entstanden. Auch der Verein »Frauen beraten Frauen«, die erste autonome österreichische Frauenberatungsstelle, wurde 1980 gegründet. Anlässlich deren 30-jährigen Bestehens wurde vom Team dieses Buch herausgegeben, um die feministische Praxis in Beratung und Psychotherapie zum Thema zu machen.

Aber auch noch darüber hinaus geben die gesammelten Beiträge einen Überblick über die Entwicklung der feministischen Bewegungen im jeweiligen Kontext ihrer Generationen. So ist der erste Beitrag ein Gespräch mit »Pionierinnen«, die begreiflich machen, wie die Frauenbewegung vor allem als Gesellschaftskritik gedacht war. Der Bogen wird dann gespannt mit Beiträgen über feministische Beratung bezogen auf verschiedene Schwerpunkte (wie Gewalt, Gesundheit oder Paare, um einige beispielhaft zu nennen) und auf ihre Spiegelung in Beratungs-Theorien und Genderdiskursen, weiter zum feministischen Impact auf verschiedene psychotherapeutische Ausrichtungen, wie Gestalttherapie, Katathym Imaginative Psychotherapie, Psychoanalyse, Systemische Therapie und Personenzentrierte Psychotherapie, bis zur Auseinandersetzung mit weiblichen Identitäten und individuellen »Frauengeschichten« in Beziehung zu den selbst erzeugten Veränderungen. Letztere haben dazu geführt, dass eine junge Generation von »Alpha-Mädchen« in die Welt stürmt, mit dem Bewusstsein, sie sei die ihre, nicht ohne irgendwann festzustellen, dass sich gar nicht so viel an den »herrschenden« Umständen verändert hat.

Ganz besonders einfühlsam hineingewoben zwischen die Fachbeiträge sind Gedichte von Elfriede Gerstl, einer großartigen österreichischen Schriftstellerin und »hartnäckig Anwesenden des nicht plakativen Feminismus« (A. Okopenko) und zum Schluss ein Essay von Marlene Streeruwitz, einer der politisch engagiertesten deutschsprachigen Gegenwartsautorinnen, als eine feministisch literarische Bestandsaufnahme.

In diesem Buch gelingen ein umfassender und differenzierter Überblick ebenso wie eine engagierte und realistische Bestandsaufnahme des Status der feministischen Erfolgsgeschichte anhand der Jahrzehnte einer theoretisch und wissenschaftlich reflektierten Beratungspraxis, die wie ein Tumormarker die gesellschaftlichen Entwicklungen indiziert. Dieses Buch zu lesen ist ein brisanter Denkanstoß für alle, die am Empowerment von Individuen arbeiten und an einer menschlichen Zukunft interessiert sind – und das sind wir doch alle, oder?

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