Rezension zu Theorie des Jugendalters

Schweizer Archiv für Neurologie und Psychiatrie 3/2011

Rezension von Ulrich Zulauf

Die Herausgeber sind zu beglückwünschen. Ist es ihnen doch auch nach dem 100. Geburtstag von Siegfried Bernfeld gelungen, das Gesamtwerk in zwölf Bänden herauszugeben.
Die zwölf Bände haben bezüglich der Inhaltszusammenstellung eine eigene Orchestrierung, deswegen ist der hier zu besprechende erste Band von Bernfelds früher Lebensphase 1914/1915 und die Zeit bis 1938 in einzelne zeitlich auseinander liegende Aufsätze gegliedert, mit ausgezeichneten Erklärungen zum Werk des Autors und zur Werkausgabe.
Der erste Band beginnt mit der zur Rede ausgearbeiteten Dissertation mit dem ü̈berraschenden Titel »Die Jugend und die Frauen« (1914), der Forderung einer auch heute hochaktuellen Nebeneinanderstellung psychosozialer Emanzipation. Hierin generiert Bernfeld Erkenntnisse des Begriffs »Jugend« (1915), wobei der Autor damals gerade 22-jährig war und selber seine persönlichen Erfahrungen »im Feld«, in der sozialen Jugendbewegung (einer politischen Kraft zu Beginn des 19. Jahrhunderts), schöpfte.
Der Aufsatz »Über typische Formen der männlichen Pubertät« von 1923 stellt nach heutigem Wissenstand die Entwicklungsphase der »einfachen und neurotischen Pubertät« umfassend, einmalig klar und modern dar. Allein deswegen lohnt sich die Lektüre.
Im Mittelpunkt des Bandes steht die Arbeit »Über den Begriff der Jugend« vergleichend an die Begrifflichkeitsklärungen der verschiedenen Pubertätsformen, ausgehend von dem Begriff der naiven Pubertät, die er am Wissenschaftsstand von damals (Hall, G. St., 1904, und Meumann, E, 1921) kritisch reflektiert. »Die Jugend ist vom anderen Lebensalter wesentlich verschieden, sie ist nicht etwa ein defektes Erwachsenensein, sondern ein Zustand eigener Art«.
Das Sammelreferat »Die heutige Psychologie der Pubertät« wertet in Deutung genauer kritischer Auseinandersetzung mit damaligen Autoren (1927) die Entwicklung des Wissenschaftsbegriffes der Psychologie am Beispiel der Jugend ebenso auf, wie diese ohne Freuds Gedankengänge der Psychoanalyse nicht denkbar ist. Bernfeld weiss schon damals, dass Psychoanalyse als Psychologie sich noch durchsetzen muss, vielleicht auch kann. Pubertät als Bestandteil der Triebentwicklung und Libidotheorie ist für ihn Entwicklung aus prägenitaler und fortpflanzungsfähiger genitaler Sexualität. Diese intrapsychischen Faktoren mit der Aussenwelt, den Anderen (1), in Verbindung zu bringen, ist der wertvolle Inhalt der weiteren Arbeiten, die sich mit den Strukturorganisationen der Pubertät ebenso beschäftigen, wie sie Hinweise auf ein Kategorisierungsmodell in der amerikanischen Arbeit »Types of Adolescence« (1938) geben.
Der erste Band ist in der Zusammenstellung gelungen und verdient es, von allen in der Jugendbetreuung tätigen Fachleuten gelesen zu werden. Wir sind auf die folgenden Bände gespannt.


(1) Siehe hierzu: Heinz Müller-Pozzi. Eine Triebtheorie für unsere Zeit. Huber, 2008.

www.sanp.ch

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