Rezension zu Der grausame Gott und seine Dienerin
Evangelische Zeitung für Hamburg & Schleswig-Holstein Ausgabe 12/2011
Rezension von Sven Kirszio
Wenn Angst das Leben blockiert
FREIBURG – Wie eine qualvolle Krankheit, wie einen unentrinnbaren
Teufelskreis aus Angst, Schuldgefühlen und Selbsthass hat der
Psychoanalytiker Tilmann Moser vor 35 Jahren seine Beziehung zu
Gott beschrieben. In seinem berühmten Buch »Gottesvergiftung« hat
auch er die Ursache dieses Leidens diagnostiziert: seine
Vorstellung von einem strafenden und alles kontrollierenden Gott,
der die Schwächen der Menschen hemmungslos ausnutzt.
Mit ihm sprach Sven Kriszio.
– Herr Moser, wie geht es Ihnen heute? Sind Sie geheilt?
Tilmann Moser: Das Buch »Gottesvergiftung« stellt einen
Schlusspunkt der Auseinandersetzung mit Gott dar. Danach haben wir
uns bis heute in Ruhe gelassen, und ich erfreue mich guter
Gesundheit, auch wenn immer wieder depressive Phasen aufgetaucht
sind.
– Sie sind Spezialist für die Therapie der Folgen repressiver
Religiosität. Was heißt das und wie viele gläubige Menschen sind
davon betroffen?
Seit meinem Buch »Gottesvergiftung« haben immer wieder Menschen mit
ähnlichen Problemen den Weg in meine Praxis gesucht: Wenn sie sich
von einem allwissenden, ungnädigen Gott verfolgt fühlten, wenn sie
religiöse Schuldgefühle hatten oder sich aus anderen religiösen
Gründen bedrückt fühlten. Natürlich sind dies vor allem ältere
Menschen, die eine strenge religiöse Erziehung »genossen« haben und
sich von einem repressiven Gottesbild nicht befreien konnten. Der
Glaube an einen freundlichen Gott kann eine große Lebenshilfe sein,
und manchmal findet man auch Reste davon hinter einer
»ekklesiogenen« Neurose, wenn ihr Gott, wie ich es nenne,
entneurotisiert ist. Aber in dem Buch »Der grausame Gott und seine
Dienerin« habe ich das bedrückende Schicksal einer kaum 30-jährigen
Pfarrerstochter untersucht, die vor lauter Angst vor Gott nicht
wirklich leben durfte.
– Woher kommt dieses, ja, dämonische Gotttesbild und was stellt es
mit dem Menschen an? Welche Rolle spielt die Sehnsucht des Menschen
nach Geborgenheit und Ganzheit dabei?
Ein dämonisches, verfolgerisches Gottesbild kann sich auch weit
über die von den Eltern vermittelte Gottesvorstellung hinaus
entwickeln, wenn frühes traumatisches Unglück aus den ersten zwei
Lebensjahren (Missbrauch, Vernachlässigung, traumatische
Trennungen) zu einer schweren Neurose geführt haben, die dann
später sozusagen religiös bebildert wird: durch Sünden- und Schuld-
oder auch Verdammnisvorstellungen. Es ist dann nicht ein spät
entwickelter väterlicher Gott, sondern einer, der aus frühen
Traumata mit der Mutter entstanden ist, die durchaus
vorsprachlicher Art sein können. Sehr vielen Menschen bleibt
trotzdem die Sehnsucht nach Geborgenheit in einem freundlichen
Glauben, der ihnen aber nicht mehr zugänglich ist, oder der ihnen
durch schwere Lebensenttäuschung abhanden gekommen ist. Tiefe
Resignation kann dann die Folge sein.
– Wie kann ein Mensch sich von dieser zerstörerischen Beziehung zu
Gott oder zu sich selbst frei machen? Wäre das nicht eine Art
Selbsterlösung?
Sich von einem dunklen Gottesbild selbst frei machen ist sehr
schwer. Aber Freunde, Lehrer, Seelsorger, die Erfahrung von
Zuneigung, Verständnis und Liebe können es erleichtern. Doch manche
Menschen werden nicht ohne Psychotherapie frei. Leider hat sich die
Psychoanalyse erst sehr spät religiösen Problemen zugewandt, und es
gibt noch kaum eine Ausbildung für diese schwierige Arbeit. Oft
behindert Scham eine offene Auseinandersetzung über
Glaubensprobleme unter Freunden. Eine aufgeklärte,
menschenfreundliche Religionspädagogik konnte und kann hier viel
Unheil verhindern.
– Was sind dagegen heilvolle Gottesbilder? Wie lernt ein Mensch, an
diesen, sagen wir segnenden Gott zu glauben, der Leben und
Erfüllung schenkt? Und welche Rolle spielt Gott dabei?
Heilvolle Gottesbilder sind oft eine gute Erbschaft aus Familien,
in denen ein lebensfrohes Klima herrscht, und dem Gott nicht als
strafende, sondern als schützende, zuhörende, ermutigende Gestalt
gesehen wird. Aber auch ohne diesen Hintergrund finden viele
Menschen durch eine späte Anregung zu einem stützenden Glauben, vor
allem in der Pubertät, durch kirchliche Gruppen, oder nach
überstandenen Katastrophen durch ihr dankbares Gefühl, geführt oder
bewahrt worden zu sein.
– Viele Menschen haben eine Art Urvertrauen. Wie wächst das Bild,
das ein Mensch von Gott hat, im Laufe seines Lebens? Und was können
Seelsorger dazu tun?
Urvertrauen ist das Geschenk einer warmherzigen, zugewandten,
schützenden Mutter, die Zuversicht und Sicherheit spendet und die
unvermeidlichen Schrecknisse auch der frühen Kindheit zu erklären
und zu dosieren hilft. Dieses Vertrauen kann später auf Gott
übertragen werden, aber es muss immer erneut gesucht, erarbeitet,
erbetet werden. Aber der Glaube braucht nicht kindlich und unmündig
bleiben, sondern es kann mit Gott geredet, dialogisiert und
gestritten werden, auch wenn er manchmal hinter dunklen Wolken des
Zweifels verschwindet.
Buchtipp: Tilmann Moser, »Der grausame Gott und seine Dienerin.
Eine psychoanalytische Körperpsychotheapie«, Psychosozial-Verlag,
Gießen 2010, 637 Seiten, 39.50 Euro
www.nordelbische.de