Rezension zu Der halbe Stern

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Rezension von Birte Kleber, Hanna Mombour

»Der halbe Stern« – von Brigitte Gensch und Sonja Grabowsky

Wie kam es zu der Kategorisierung von Menschen mit teiljüdischer Herkunft? Wie wirkten sich Verfolgung und Diskriminierung auf ihr alltägliches Leben in der NS-Zeit aus? Welche Spuren und Brüche haben diese Fremdzuschreibung und die damit einhergehenden Folgen in dem Leben der Betroffenen und ihrer Angehörigen hinterlassen?

Diese Fragen werden in den 18 Beiträgen des vorliegenden Tagungsberichts behandelt. Die Berichte sind Resultat der Tagung der Evangelischen Bildungsstätte auf Schwanenwerder in Berlin »Sag bloß nicht, daß du jüdisch bist« – Die Verfolgungsgeschichte von Personen jüdischer und teiljüdischer Herkunft in der NS-Zeit und ihre generationsübergreifenden Auswirkungen. Die im März 2009 durchgeführte Tagung war eine Schnittstelle zwischen wissenschaftlicher Betrachtung und persönlichen Erfahrungen der Teilnehmenden mit teiljüdischer Herkunft, die größtenteils aus der ersten und zweiten Generation stammten. Der Verein »Der halbe Stern e.V.« war der Veranstalter der Tagung und seine Vorstandsvorsitzende Brigitte Gensch ist Mitherausgeberin des vorliegenden Buches. Die evangelische Theologin veröffentlichte in Zusammenarbeit mit der Diplom-Erziehungswissenschaftlerin Sonja Grabowsky den Tagungsbericht, dessen Namen nicht nur auf den Verein verweist, sondern auch auf die Gruppe von Menschen, die aufgrund ihrer (teil-)jüdischen Herkunft zwischen 1933 und 1945 verfolgt wurden.

Die Tagungsberichte betrachten die Thematik aus unterschiedlichen Perspektiven, sie nähern sich der Verfolgung von Menschen teiljüdischer Herkunft sowohl biografisch, historisch, psychotherapeutisch als auch theologisch.

Nach der Einführung in die Thematik des Buches und einer kurzen Vorstellung der einzelnen Beiträge geht Johannes Heil auf die Begrifflichkeit der »Halbjuden« ein. Er beschreibt das Zustandekommen von »Teiljuden« und die Radikalisierung des von der Mehrheitsgesellschaft vertretenen Bildes von Juden. Dabei geht er unter anderem auf die Ausführungen des Philosophiehistorikers Dühring ein, der vor allem durch »unsichtbare Juden« eine Gefahr für die Gesellschaft zu erkennen glaubt. Der Beitrag verdeutlicht die Entwicklung von einer religiösen Abgrenzung zu einer rassenideologisch begründeten Konstruktion der Andersartigkeit. Die folgenden drei Beiträge verdeutlichen die Lebensverhältnisse von Menschen teiljüdischer Herkunft zwischen 1933 und 1945. Dieser historische Blick zeigt die Auswirkungen der rassistischen Ausgrenzungen und die limitierte gesellschaftliche Teilhabe in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht. So beschreibt Beate Meyer die Gradwanderung zwischen Verfolgung und Angst auf der einen Seite und Teilhabe an der Mehrheitsgesellschaft auf der anderen Seite. Sie stellt fest, dass je »weiter die Ausgrenzung der Jüdinnen und Juden voranschritt (…)›Mischlinge‹ die Funktion eines Schutzschildes für die Eltern und oft auch der jüdischen Verwandten« (S.42) übernehmen mussten. Diese drei historischen Kapitel zeigen den heterogenen Umgang mit Menschen teiljüdischer Herkunft, auf den unterschiedlichen Umgang mit »Mischehen« geht Monica Kingreen ein. Sie beschreibt in ihrem Beitrag die einmalige Härte der Gestapo bei ihrer Verfolgung von Jüdinnen und Juden in Mischehen in Hessen. Anschließend erläutert Maria von der Heydt die wirtschaftlichen Beeinträchtigungen von »jüdischen Mischlingen«, so begann die Verfolgung von Menschen mit teiljüdischer Herkunft mit der wirtschaftlichen Ausgrenzung, was schließlich zu einer »Verarmung der Verfolgten« (S.67) führte. Von der Heydt berichtet nicht nur über die finanzielle Situation von Jüdinnen und Juden, sondern auch über die der möglichen Helfer und Helferinnen, sowie der Mehrheitsgesellschaft. In dem Abschnitt in dem es um die kirchengeschichtliche Perspektive geht wird in drei Beiträgen auf die kirchliche Hilfestellung für Betroffene eingegangen. Es werden einzelne Menschen und Gruppen vorgestellt, die Menschen mit (teil-)jüdischer Herkunft geholfen haben. In den Beiträgen »Dazwischen« und »Ewiger ›Halbjude‹?« wird die auch heute noch wirkende Kontinuität der Fremdzuschreibung für Betroffene und ihre Angehörigen deutlich. Im erst genannten Beitrag geht Ralf Seidel auf die Identitätsproblematik der Betroffenen ein; Zuschreibungen, die kein Dazwischen zulassen und in Abgrenzung und Diskriminierung resultieren. Wie Jürgen Müller-Hohagen in dem Beitrag »Ewiger ›Halbjude‹?« zeigt besteht die Kategorisierung von Menschen mit teiljüdischer Herkunft weiter fort. Letztendlich »stellt sich heutzutage die Frage, wieso der Begriff ›halbjüdisch‹ nicht augenblicklich schaudern macht (…).« (S.166) Die Auswirkungen auf die so Klassifizierten werden in den nun folgenden Fallbeispielen deutlich. In den Fallbeispielen werden die generationsübergreifenden Zuschreibungen »halbjüdisch« und deren Bedeutungen in den Familien und für die einzelnen Personen ausführlich dargestellt. Diese biographische Perspektive wird auch bei dem Workshopbericht »Sag’ bloß nicht, daß du jüdisch bist« beibehalten. Bei der Aufstellungsarbeit wurde deutlich, dass die Kontinuität der Verfolgungserfahrungen bis in die nachfolgenden Generationen reicht. Die folgenden drei Autoren und Autorinnen beschreiben ihre persönlichen Erfahrungen im Hinblick auf ihre teiljüdische Herkunft. Wolfgang Kotek galt im Nationalsozialismus als »Geltungsjude«, er beschreibt Diskriminierungen und Verfolgung, aber auch die Schuld überlebt zu haben gegenüber seinen jüdischen Schicksalsgenossen und begründet damit sein jahrelanges Schweigen. Detlev Landgrebe erlebte und erlebt bis heute ein Spannungsfeld zwischen seiner jüdischen und christlichen Herkunft. Das Bewusstsein und die Auseinandersetzung mit der Geschichte als »Kultur der Erinnerung« hält er auch für befreiend. Ilona Zeuch-Wiese kämpft in jahrelangen Recherchen darum der Geschichte ihrer Mutter, die teiljüdischer Herkunft ist, näher zu kommen. Sie begegnet Schweigen und dem Bedürfnis die Vergangenheit ruhen zu lassen, dennoch kann sie einen Teil der Familiengeschichte für weitere Generationen dokumentieren. Ergänzend zu diesen biographischen Perspektiven liegt dem Buch eine DVD bei, auf der eine Gesprächsrunde mit fünf Zeitzeugen aufgezeichnet ist, deren Erinnerungen sich in einem gemeinsamen Resonanzraum ergänzen.

Durch den ganzen Tagungsbericht zieht sich eine persönliche Auseinandersetzung mit den eigenen oder den familiären Erfahrungen. Dabei sind die Beiträge von einem wissenschaftlich-erzählenden Sprachstil geprägt, die unterschiedlichen Professionen verknüpfen fachliche Betrachtungen mit persönlichen Erfahrungen. So bildet Identität und die Identitätssuche unter den Bedingungen einer teiljüdischen Herkunft einen Schwerpunkt im gesamten dargestellten Tagungsverlauf. Die besondere Verfolgungssituation von »Mischlingen« in der NS-Zeit führt auch bei den nachfolgenden Generationen zu einer spezifischen Identitätsfindung. Sie sehen sich mit ihrer familiären Vergangenheit konfrontiert, wobei Gefühle und Verhaltensweisen oftmals in die nächsten Generationen tradiert werden.

Der Tagungsband macht die Notwendigkeit einer eigenständigen ausführlichen Auseinandersetzung mit dieser Betroffenengruppe deutlich. Jahrelang wurde das Thema der Verfolgung von Menschen mit teiljüdischer Herkunft vernachlässigt, da sie oftmals als »privilegierte Rechtslose« (S.151) galten und nach dem Krieg fast vergessen wurden. Deutlich wird dies auch, da erst nach ungefähr 50 Jahren die ersten Erfahrungsberichte veröffentlicht wurden. Die Betroffenen empfanden ihre Erfahrungen gegenüber ihren jüdischen Schicksalsgenossen und -genossinnen als zu gering. Deshalb soll ein Austausch und eine Auseinandersetzung mit der Thematik stattfinden, damit eine diskursive Erinnerungskultur möglich wird.

Leider ist zu erwähnen, dass die kirchengeschichtliche Perspektive in dem Tagungsbericht etwas deplaziert wirkt. In der Einleitung wird versprochen sowohl die »mutige Bewährung einzelner Personen und Gruppen« als auch »das Versagen der Institutionen« (S. 12) gegenüberzustellen. Dies wird bedauerlicherweise nicht eingehalten und es bleibt bei einer Aneinanderreihung von Berichten über helfende Gruppen und Personen kirchlicher Organisationen. Das generelle Versagen der Institution Kirche wird nur im Nebensatz erwähnt. Es entsteht der Eindruck, als wolle man die Schuld der Vergangenheit zurückdrängen und diese mit positiven Einzelbeispielen überdecken. Betrachtet man noch einmal den Titel des Buches fragt man sich, wie diese Beiträge mit der Verfolgungsgeschichte und der Identitätsproblematik in Verbindung stehen. Offen bleibt der Sinn dieser Beiträge für den gesamten Tagungsbericht.

Trotz des Kritikpunktes können wir diesen Tagungsband insgesamt empfehlen. Besonders interessant erscheint die Verknüpfung von Vergangenheit und Gegenwart im Hinblick auf die andauernden Auswirkungen auf die Identitätsbildung der Betroffenen und ihrer Familien. Dabei unterstützt die biographische Perspektive den Blick auf die Identitätsproblematik und weist sich als besondere Stärke aus. Durch die interdisziplinäre Ausrichtung ergeben sich vielfältige Anknüpfungsmöglichkeiten für ein breites Publikum. Ein wirklich aufschlussreiches und ansprechendes Buch, das sich zu lesen lohnt.

Autorinnen: Birthe Kleber und Hanna Mombour



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