Rezension zu Der halbe Stern
Jüdische Allgemeine Nr. 18/11, 5. Mai 2011
Rezension von Yizhak Ahren
Zwischen den Stühlen
Ein Tagungsband leuchtet »teiljüdische« Biografien aus
Als die nationalsozialistische Rassenideologie während des Dritten
Reiches grausam in die Praxis umgesetzt wurde, hat man zahlreiche
Menschen, die sich entschieden zum Christentum bekannten, als Juden
verfolgt. Die Geschichte dieser Personen jüdischer und
teiljüdischer Herkunft – man sprach damals von »Halbjuden« – war
vor zwei Jahren Gegenstand einer Konferenz. Dieser Tagung in der
Evangelischen Bildungsstätte auf Schwanenwerder in Berlin verdanken
wir das Erscheinen einer sehr informativen Publikation, der eine
Video-Dokumentation eines Zeitzeugengesprächs beigefügt ist.
Den Herausgeberinnen des Bandes, der evangelischen Theologin
Brigitte Gensch und der Erziehungswissenschaftlerin Sonja
Grabowsky, ist es gelungen, in ihrer Einleitung jeden der 18
Beiträge in wenigen Zeilen zusammenzufassen. Natürlich können
solche Zusammenfassungen die Lektüre der einzelnen Texte nicht
ersetzen. So wie ein Filmtrailer uns die Entscheidung erleichtert,
welche Kinoproduktion wir uns anschauen wollen, so können die
Referate in der Einleitung uns bei der Auswahl der Texte, die wir
uns zu Gemüte führen, eine Hilfe leisten. Denn wer liest schon
einen Tagungsband (oder eine Festschrift) von der ersten bis zur
letzten Seite?
Das neue Buch verdient deshalb Beachtung, weil es hochinteressante
Themen zur Sprache bringt, die unpopulär sind und daher oft
übersehen werden. Das gilt sowohl für bestimmte historische
Sachverhalte als auch für psychologische Fragestellungen. Wie
Identitätsprobleme von Personen aus Familien mit
jüdisch-christlichem Hintergrund aussehen, erfahren neben den
Angehörigen sonst nur Sozialarbeiter und Psychotherapeuten. Es ist
erstaunlich, welche generationsübergreifenden Nachwirkungen die
»alten Geschichten« manchmal haben. Dokumentiert werden mehrere
ungewöhnliche Schicksale; der Leser wird durch diese
Falldarstellungen für die Lage von Menschen sensibilisiert, die
sich zwischen den Stühlen befinden. Der Rückblick in eine finstere
Vergangenheit führte bei nicht wenigen zu einem produktiven Zorn,
zu einem nachhaltigen Engagement für die Schwachen und
Verfolgten.