Rezension zu Knastmauke (PDF-E-Book)

der stacheldraht. Für Freiheit, Recht und Demokratie. Nr 3/20111

Rezension von Gertrud Röder

»Knastmauke«

»Die Welt ist nicht sicher, sie wird auch nie mehr sicher sein.« So kennzeichnet die Psychotherapeutin Ruth Ebbinghaus den Verlust des Urvertrauens fast aller ehemaligen politischen Häftlinge der DDR. Es ist nur eine von vielen Beeinträchtigungen, die Sibylle Plogstedt in ihrem Buch über das Schicksal politischer Häftlinge der SBZ und DDR nach der deutschen Wiedervereinigung untersucht. Die Autorin, von 1969 bis 1971 aus politischen Gründen selbst inhaftiert, geht der Frage nach, was der Preis ist für den Widerstand in einer kommunistischen Diktatur. Offenbar ist er hoch und lebenslang zu zahlen.

Das Werk basiert auf einer Studie Sibylle Plogstedts an der Universität Duisburg-Essen und gliedert sich in drei Teile. Zunächst kommen Expertinnen aus der Praxis zu Wort. Resümee: Neben überwiegend guten Erfahrungen bei der Rehabilitierung werden haftbedingte Gesundheitsschäden nach wie vor unverhältnismäßig selten anerkannt, zu gering eingestuft und die Betroffenen durch inkompetente Begutachter erneut geschädigt. Es folgen die Selbstauskünfte von 21 ehemaligen Häftlingen. Allein schon dieser Berichte wegen lohnt es, das Buch zu lesen. Die Zeiten der Inhaftierung reichen von den späten Vierzigern bis zum Jahr 1989, Frauen und Männer verschiedener sozialer Schichten und vor allem mit unterschiedlichsten Motiven der Auflehnung gegen das Zwangsregime erzählen von ihrem Schicksal und der Situation nach der Haft. Schließlich werden die, mit einem aufwendigen Fragebogen erhobenen, sozialen und gesundheitlichen Daten von ca. 800 ehemaligen Häftlingen ausgewertet. Laien sollten sich durch die statistischen Tabellen nicht abschrecken lassen, denn die Ergebnisse werden in leichtverständlichen Texten zusammengefasst.

Die Zahlen sprechen für sich. Zu den chronischen Gesundheitsstörungen kommt bei ca. 50% der männlichen und ca. 57% der weiblichen Häftlinge hinzu, daß sie weniger als 1000 Euro im Monat verdienen. Auch die Anzahl der unter der Sozialhilfegrenze Lebenden ist überproportional. Man kann davon ausgehen, dass die Befunde von der Realität noch übertroffen werden. Nur 8,44% aller verschickten Fragebögen kamen ausgefüllt zurück. Die Teilnehmer der Studie mussten bereit sein, sich den Erinnerungen an die Haft und deren Folgen erneut auszusetzen. Das aber ist vielen der besonders stark Geschädigten gar nicht möglich, weil sie jede Art sozialer Kommunikation zu vermeiden suchen und eine Steigerung ihrer Leiden ins Unerträgliche fürchten. Neben der Zusammenstellung und Analyse aussagekräftigen Materials ist es ein besonderes Verdienst der Autorin, die bisher in wissenschaftlichen Arbeiten meist zu kurz gekommenen weiblichen Häftlinge und die Angehörigen bzw. die familiäre Situation mit in den Blick genommen zu haben.

Die Auswertung ergibt, daß keine Gruppe der ehemaligen politischen Gefangenen von physischen, psychischen und sozialen Schäden verschont geblieben ist. Um so unverständlicher, weshalb es ihnen, die für die deutsche Einheit gekämpft haben, heute auch materiell besonders schlecht geht. Indem die Untersuchung klare Zusammenhänge zwischen haftbedingtem Trauma und sozialer Situation nachweist, ist sie ein wichtiger Beitrag, um Bewegung in den Prozess politischer und gesellschaftlicher Anerkennung der ehemaligen Verfolgten zu bringen.

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