Rezension zu Roman Polanski - Traumatische Seelenlandschaften

Schnitt, Das Filmmagazin 2.2011 #62

Rezension von Michael Wedel

Traumatische Einschnitte

Polanskis Biographie ist geprägt von traumatischen Einschnitten: Die Kriegsjahre verbringt er im Krakauer Ghetto und als Flüchtling vor den Nazis; 1969 wird seine Frau Sharon Tate, im achten Monat schwanger, bestialisch ermordet; 1977 entzieht er sich der Strafverfolgung wegen Unzucht mit einer Minderjährigen durch Flucht aus den USA, in die er seitdem nicht zurückgekehrt ist. Auf dieser Folie erscheint es wenig verwunderlich, daß Polanskis Filme ein Weltbild bieten, in dem man glückliche Fügungen meist vergeblich sucht: Sadismus und Satanismus, Mord und Totschlag, Vergewaltigung und Verfolgung, Isolation und Ich-Verlust heißen die thematischen Konstanten. Die Versuchung, das Werk autobiographisch zu deuten, ist groß. Ihr nachzugeben birgt die Gefahr der unzulässigen Verkürzung, ist es doch nicht die biographische Verweiskraft, die letztlich den Rang seiner Filme bestimmt.

Andreas Jacke legt Polanski gleichsam auf die Couch. Maßstab filmischen Gelingens ist für ihn der Grad, bis zu dem Polanski es jeweils geschafft habe, eigene Traumata auf »verantwortungsvolle« Weise zu verarbeiten. Wo das nicht der Fall zu sein scheint, werden die Filme als »problematisch« oder »geschmacklos« abgefertigt. So fehle z.B. Rosemarys Baby »eine gesunde Mitte, die er benötigen würde, um ein normales Verhältnis zur Realität zu zeigen«. Wenn Produzent Robert Evans Streitigkeiten zwischen Polanski und Autor Robert Towne bei den Arbeiten an Chinatown als »Dritten Weltkrieg« bezeichnet, schließt Jacke daraus, daß sich dies »kaum anders deuten läßt, als daß Polanski seine persönlichen Argumente für die Umgestaltung auf Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg bezogen hat«. Ähnlich kurzschlüssig wird über weite Strecken des Buches munter über die Befindlichkeiten des Regisseurs spekuliert.

Jacke wirft Paul Werner, der 1981 die bisher – und auch weiterhin – fundierteste deutschsprachige Studie zu Polanski vorgelegt hat, vor, sein Buch komme einem psychologischen Verständnis von Polanskis Werk nicht nahe und werde dem Regisseur daher nicht gerecht. Sollte letzteres Jackes Ziel gewesen sein, so hat er es gründlich verfehlt. Ohne sich auf ihre stilistischen Eigenarten über das Offensichtliche hinaus einzulassen, werden die Filme hintereinanderweg über das Knie eines therapeutisch vorgezeichneten Systems des »Normalen« und »Vernünftigen« gebrochen. Wo sie diesem oktroyierten Normsystem nicht entsprechen, wird es jedoch gerade bei Polanski nicht (nur) »geschmacklos«, sondern erst interessant, mit und ohne Blick auf dessen Biographie.

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