Rezension zu Die Krise der Männlichkeit in der unerwachsenen Gesellschaft
De Processibus Matrimonialibus 15/16 (2008/2009)
Rezension von Karl-Heinz Selge
Die im Internet zu dem hier zu besprechenden Werk begegnende krude
Kritik, wonach es sich bei den die Gewaltspirale menschlichen
Handelns erklärenden Ausführungen Richters lediglich um
»Psychofloskeln« (vgl. http:I/www.amazon.de) handele, hat dieses
Buch – und dies sei zu Beginn betont – wirklich nicht verdient.
Möchte man Die »Krise der Männlichkeit« mit Gewinn lesen, so sei
empfohlen, zuvor Richters Grundlagenwerk »Der Gotteskomplex« zu
studieren (vgl. hierzu meine Rezension in DPM 13 [2006] 535 542),
um das Grundanliegen Richters, von dem auch die Aussagen seiner
neuesten Monographie bestimmt sind, nach und ggf. mitvollziehen zu
können.
An dieser Stelle ist angesichts der Zielgruppe dieser ehe und
prozessrechtlich orientierten kanonistischen Fachzeitschrift nicht
der Ort, auf die bei Richter und in den einschlägigen Besprechungen
breiten Raum einnehmenden Erörterungen zum megalomanen,
angstbesetzten Machtmissbrauch auf weltpolitischer Ebene Bezug zu
nehmen. Vielmehr sei die hinter einem solch gewalttätig
destruktiven Verhalten stehende spezifische Psychodynamik
thematisiert. Von hierher kann auch der Bogen gespannt werden zu
den in Zweierbeziehungen und damit auch in der Ehe begegnenden
Spezifika partnerschaftlichen Mit , Neben- und bisweilen auch
Gegeneinanders. In diesem Zusammenhang kommen auch diejenigen
psychischen Grundbefähigungen der Partner in den Blick, die aus
Sicht des katholischen Eheverständnisses unabdingbar vorliegen
müssen, damit eine Ehe als ein alle Lebensbereiche umfassendes
»consortium totius vitae« beurteilend erfasst und realisiert werden
kann. Von hierher sind die Ergebnisse des Autors für den
kirchlichen Entscheidungsträger in Ehenichtigkeitsverfahren von
großem Interesse. Richter weist mit Hilfe einer Psychoanalyse, die
getragen ist von einfühlsamer Mitmenschlichkeit, den Gottesbezug
als eminent hilfreich für ein glückendes menschlichen Lebens auf
und erhellt in diesem Zusammenhang das Bedingungsgefüge für die
psychische Befähigung zur Leistung (c. 1095, 2° CIC) und Erfüllung
(c. 1095, 3° CIC) des Ehekonsenses.
Richter schildert in einem ersten Schritt die spezifischen
Erfahrungen einiger großer Pioniere des wissenschaftlichen
Zeitalters mit der Maßlosigkeit männlichen Herrschaftswillens. In
einem zweiten Teil trägt Richter dem Leser vermittels eines Gangs
durch die Geschichte sein Erklärungsmodell fir den oben
angedeuteten megaloman destruktiven Handlungsmechanismus vor.
Schließlich schildert der Autor Handlungskonzepte der Gegenwart zur
Überwindung angstbesetzten, pubertierend narzisstischen
Größenwahns. Hierbei handelt es sich um praktische Initiativen für
eine solidarische Globalisierung, in denen Frauen und Männer
lernen, »dass sie nur als vollständige Menschen, die jeweils die
andere Seite in sich mittragen« (5. 13), entfremdende Spaltungen
überwinden können.
Der das »matrimonium« unersetzbar konstituierende Ehekonsens wird
bekanntlich vom Gesetzgeber als derjenige Willensakt definiert,
»durch den Mann und Frau sich in einem unwiderruflichen Bund
gegenseitig schenken und annehmen« (c. 1057 § 2 dc). Hierbei
handelt es sich exakt um das, was Richter als »conditio sine qua
non« für gelingendes menschliches Miteinander beschreibt: sich
eines bergenden Gottes – wie immer er sich in der persönlichen
Wahrnehmung jeweils darstellen mag ¬– verdankt wissend, vermag der
Einzelne sich empathisch seiner selbst (auch in seiner Schwäche)
und dem Gegenüber in einfühlsamer Mitmenschlichkeit wertschätzend
bewusst zu werden. Von hierher kann er sich selbst wie den Anderen
anerkennen und gerecht werden. Dies setzt keine ausgeprägte
Intellektualität voraus, sondern ist Ausdruck eines sich gleichsam
durch das Organ des Herzens Geltung verschaffenden Gott¬- und
Urvertrauens.
Richter leistet mit vorliegendem Werk zweierlei: Einerseits zeigt
er ohne freilich auf Ehe und die Erfordernisse für ihr Gelingen
explizit einzugehen für den interessierten Kanonisten die
psychischen Grundhaltungen auf, die bei den Nupturienten vorliegen
müssen, um Ehe als das, was sie ist, nämlich als »intima communitas
vitae et amoris coniugalis« (GS 48), zu erkennen und mit Leben zu
füllen. An dieser Stelle seien u.a. erwähnt: Grundvertrauen, Glaube
an Versöhnung, friedensstiftende Heils und Glaubensgewissheit. Auf
der anderen Seite beschreibt Richter die im Verlust Gottes
wurzelnden psychischen Mechanismen, die den Menschen als in
illusionärem Selbstbewahrungszwang Gefangenen – die ihn umgebende
Welt als beständig latente Gefährdung seiner Selbst angstvoll
abwehrend – daran hindern, eine von wohlwollender Liebe geprägte
Partnerschaft, die sich in vertrauensvoller Interaktion
verwirklicht, einzugehen. Gerade dieser letztgenannte Aspekt ist
hilfreich, um in kirchlichen Eheverfahren, die unter dem »Caput«
der psychisch bedingten Eheunfähigkeit oder des fehlenden
Mindestwissens geführt werden, für die Interrogatorien sowie für
die richterliche Entscheidungsfindung Kriterien zu entwickeln, nach
denen die persönlichkeitsbedingte Unfähigkeit der Partner den vom
Gesetz geforderten Konsensinhalt zu wollen und/oder umzusetzen
erkannt werden kann. Zu nennen sind u.a. die im Verlust eines
Sicherheit schenkenden Gottes wurzelnde Angst vor der eigenen
Schwäche und der daraus erwachsende Zwang beständiger
Leistungssteigerung, Angst vor Strafe und Vernichtung infolge einer
ungewissen Gnadenhoffnung und deren Projektion auf andere,
Herrschafts und Machbarkeitsstreben als Kompensation von Existenz
und Verlorenheitsängsten (»Überkompensation von Ohnmachtspanik«, S.
191 192). Bezogen auf das Geschlechterverhältnis fuhrt Richter aus:
Alle Energie des Mannes richtet bei einer Abwertung der Frau auf
ein Gegeneinander, den Angriff, die Unterwerfung und »dies betrifft
eben auch die innere Natur, betrifft den gesamten Bereich des
Gemüts, der Liebe, der Hingabe, der Empfindsamkeit, der Sanftheit.
(...) Dabei gerät das Plus der Gegenseite aus dem Gesichtsfeld. Das
ist die emotionale Verbundenheit, aus der erst die Verantwortung
fühlbar wird, sich um das Leben und die Integrität der anderen und
der Natur zu sorgen. Ohne Empfindsamkeit weiß der Mensch nicht, wo
sein Angreifen und Unterwerfen zum Verletzen und Zerstören wird, wo
er zugunsten momentaner egoistischer Befriedigung längerfristiges
eigenes oder gemeinschaftliches Unglück heraufbeschwört« (S.
191).
Richter erläutert dem interessierten Leser im vorliegenden Werk
nicht nur die psychischen Bedingungen für ein solidarisches
Miteinander, sondern auch engagiert und ermutigend die reale
Möglichkeit einer solchen Gemeinschaftlichkeit. Wenn er zu Recht
schreibt, dass wir in anderen Menschen, auch wenn sie uns noch so
fremd und unangenehm erscheinen mögen, letztlich selbst enthalten
sind, so kann dieses Bewusstsein dem Leser methodisch den Weg
weisen, eine philosophischen Konzepten folgende Psychoanalyse
überschreitend, in Ich und Du Empathie im »Wiederkennen des Eigenen
im Anderen« (S. 274) eine lebensbejahende und lebensfördernde
Orthopraxis, getragen von wohlwollender Mitgeschöpflichkeit, als
Ziel in den Blick zu nehmen und Schritt für Schritt zu
verwirklichen.