Rezension zu Exil und Identität
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Rezension von Dr. Roland Kaufhold
»Man hat seine Heimat verloren. Aber ich habe noch mehr verloren.
Ich verlor meine Identität (…) Bin ich katholisch? Bin ich jüdisch?
Vor Hitler hätte ich mir diese Frage nie gestellt. Ich war
Wienerin.« Die 1911 in Wien geborene Carola ließ die Frage nach der
eigenen Identität nicht mehr los. Sie stammte aus einem gemischt
jüdisch-katholischen Elternhaus. Ihr Vater, der sich als Jude Titos
Untergrundarmee angeschlossen hatte, wurde in Dachau ermordet,
Carola selbst überlebte Ravensbrück und wanderte 1956 nach Umwegen
in die USA aus. In New York arbeitete sie an einem renommierten
Verlagshaus – und traf sich regelmäßig am New Yorker Austrian
Institute. An die Geschichte dieses 1942 gegründeten Wiener
Emigrantenclubs erinnert Brigitta Boveland in einer lesenswerten
biographischen Studie…
Viele österreichische und deutsche jüdische Emigranten hatten sich
im weltstädtischen New York niedergelassen. Noch im Krieg, 1942,
gründete der österreichische Dichter und ehemalige Minister Guido
Zernatto einen Treffpunkt für diese österreichischen Emigranten:
Das Austrian Institute. Dieses in der 52. Strasse in New York
gelegene Haus entfaltete 50 Jahre lang ein reges soziales und
kulturelles Leben; 1992 schloss es seine Pforten, endgültig. Die in
Zürich lebende Sozialwissenschaftlerin Brigitta Boveland hat nun
eine psychoanalytisch-sozialwissenschaftliche Studie vorgelegt, in
welcher sie, auf der Basis ausführlicher Interviews mit 18 in New
York lebenden Wiener Emigranten sowie eines regen Archivstudiums,
die Geschichte dieses kulturellen Treffpunktes nacherzählt – in
ansprechender Weise. Zu ihren Interviewpartnern gehört auch u.a.
die kürzlich verstorbene Wiener Psychoanalytikerin Else Pappenheim
wie auch ihr Ehemann Stephen Frishauf.
Boveland verknüpft ihre ausgewählten Interviewpassagen mit
verschiedenen thematischen Feldern. Theoretischer
Orientierungsrahmen bildet die Frage nach dem Zusammenwirken
zwischen der traumatischen Exilerfahrung und der Entwicklung der
eigenen Identität in der neuen Heimat, in New York.
In dem Kapitel »Das ist mein Wien, die Stadt der Lieder« entfaltet
Boveland knapp die Situation der Stadt in den Jahren nach dem
Ersten Weltkrieg bis zur »Machtergreifung«. Hierbei arbeitet sie
einige persönliche Erinnerungen ihrer 18 Interviewpartner an ihre
anfangs noch beschützte Jugend ein. Ihre Gesprächspartner stellt
sie hierbei, um deren Privatheit zu schützen, nur mit deren
Vornamen, zum Teil aber auch durch Photos vor. Im Kapitel »Ihre
Ankunft zerriss die Nacht« wird die Phase des gescheiterten
Februaraufstandes, also vom 12. Februar 1938 bis zum 11. März 1938,
nacherzählt, so wie sie die meist jüdischen Protagonisten des
Buches in ihrer Erinnerung aufbewahrt haben. Der 29-jährig Robert
schrieb seinerzeit als Kulturjournalist für zahlreiche ausländische
Zeitungen. In seinen Aufsätzen fasste er die gewalttätige Situation
im damaligen Wien in lebendiger Weise zusammen. Stefan Zweig
empfahl dem jungen Intellektuellen vom Exil aus, diese Reportagen
erst 50 Jahre später zu veröffentlichen – und »stattdessen« zu
emigrieren. Roberts Manuskript erschien tatsächlich exakt 50 Jahre
später als Buch. Hierin schrieb er: »Die Menge war berauscht und
behext. Alle vaterländische-Front-Abzeichen waren gegen das
Hakenkreuz umgetauscht worden. Die Polizei, die gestern noch
versucht hatte, die Nazis abzudrängen, erschien mit
Hakenkreuzschleifen als Armbinden.« (S. 56f.)
In »Auf seine Füsse gefallen mitten auf Times Square« wird der
schwierige Neuanfang der Emigranten in dieser noch fremden Welt
dargestellt: »Es war eine ganz andere Welt«, erinnert sich
Madelaine (S. 91). Nur Wenige, wie etwa Else Pappenheim, hatten das
Glück, in New York wieder in ihrem früheren Beruf arbeiten zu
können. Nur vereinzelt war es möglich, an die enge Verbindung mit
der antifaschistischen Bewegung in Wien anzuknüpfen. So vermochte
sich Kurt in der »Austrian Labor Youth« zu engagieren, einem
Zusammenschluss österreichischer Sozialisten in New York. Es wurden
Vorträge und Diskussionen organisiert, vor allem jedoch wurde ein
soziales Leben österreichischer Emigranten organisiert, so an
Wochenenden in Naturfreundelagern am Rande von New York. Weitere
Kapitel: »Zwischen Erinnern und Vergessen«, »Ein Fremder aus Wien
in Wien« sowie »Heimat und Identität«. Es ist ein Buch voller
verstreuter Erinnerungen, die erst langsam zusammen wachsen – bei
der Lektüre, für die man Muße benötigt.
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