Rezension zu Schreiben als Therapie?

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Rezension von Werner T. Fuchs

Interessante Ansätze und einige Begriffsverwirrungen

Sowohl Titel als auch Untertitel deuten nicht darauf hin, dass es in dieser psychologischen Studie auch um das mündliche Erzählen geht. Das finde ich auch deshalb schade, weil selbst mit einer Begrenzung auf das Schreiben genügend zu sagen wäre, um mehrere Bücher zu füllen. Und indem David Lätsch munter zwischen Erzählen und Schreiben wechselt, wusste ich manchmal nicht mehr, zu welcher Art des Mitteilens welche These gehört. Der Verlust eines Bewertungssterns ist auch formalen Kriterien zu verdanken. Und dazu gehört eine Sprache, die oft unnötig kompliziert ist und etliche Vorkenntnisse bedingt. Die darf man bei einem Fachbuch zwar verlangen, grenzt aber den Kreis der Leser doch ein.

»Die folgenden rund 250 Seiten antworten auf eine Frage von zweifelhaftem Ruf. Sie lautet: Ist fiktionales Schreiben eine Spielart der Therapie? Kann literarische Fiktion demjenigen, der schreibt, zu einem gelungenen Leben verhelfen?« Wenn die Einleitung eines Buches so beginnt, möchte man am Schluss natürlich eine Antwort. Doch in den Schlussbetrachtungen wird nochmals klar, dass uns der Autor lediglich Anregungen geben kann oder will, in welcher Richtung wir sie eventuell finden werden, wenn wir weiter darüber nachdenken. Das ist zwar ehrlich, aber doch etwas enttäuschend. Zumal selbst die Richtungsangaben ziemlich ungenau sind. Diese Ratlosigkeit schlägt sich dann auch in Formulierungen nieder, die etwa so klingen: In Kapitel sechs – Fiktionales Schreiben, Selbsterkenntnis und Selbstbestimmung - sind »die Positionen eines dezidiert konstruktivistischen wie die eines dezidiert essenzialistischen Selbstkonzepts in der Psychologie kritisiert worden. Der Begriff von menschlicher Identität als situationsopportuner Konstruktion macht das alltägliche wie klinische Phänomen der Selbstentfremdung unverständlich. Dagegen hält der gegenteilige Begriff vom Selbst als einem latent präfigurierten Wesen, einer Essenz, die von der menschlichen Existenz eingeholt werden soll, dem logischen Einspruch nicht stand.«

Als ich im Buch zitierte Beobachtungen, Thesen und Mutmaßungen von Sigmund Freud las, wurde mir wieder einmal bewusst, wie weit sich die Sprache vieler zeitgenössischer Psychologen von unserer Alltagssprache entfernte, ohne dadurch an Präzision und Klarheit gewonnen zu haben. Das ist zwar nicht das Verschulden von David Lätsch, aber er unternimmt auch nichts, um dagegen anzukämpfen. Der Leser dieses Buches muss sich also darauf einstellen, dass er keine leichte Kost vorgesetzt bekommt. Meist kann er nur dann mit Genuss über Worte und Sätze fliegen, wenn sich Schriftsteller Gedanken über Schreiben als Therapie machen.

Mein Fazit: Empfehlen kann ich diese psychologische Studie vor allem Lesern, deren Interesse am Thema so groß ist, dass sie für die Entschlüsselung des Inhalts viel Eigenarbeit auf sich nehmen. Sind sie dazu bereit, werden sie wohl zu einer ähnlichen Bewertung kommen wie ich. Wenn nicht, werden sie es kaum bis zum Ende schaffen und die vier Sterne als großzügig einstufen. Das Verdienst von David Lätsch ist, narrative Psychologie, Literaturwissenschaft und Psychoanalyse zu verbinden, Lücken aufzuzeigen und seine Leser zum Nachdenken zu bewegen. Zur Frage, warum unser Gehirn komplexe Informationspakete in Form von Geschichten wahrnimmt, speichert und abruft, hätten die Neurowissenschaften übrigens ebenfalls interessante Antworten anzubieten.

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