Rezension zu Wozu werden Träume erzählt?
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Rezension von Lisa Flach
Im vorliegenden Buch »Wozu werden Träume erzählt? – Interaktive und
kommunikative Funktionen von Traummitteilungen in der
psychoanalytischen Therapie« beschäftigt sich der Fachpsychologe
für Psychotherapie Dr. des. Hanspeter Mathys mit der Bedeutung und
Funktion von Träumen im psychoanalytisch-psychotherapeutischen
Behandlungskontext.
Nach einem Vorwort von Horst Kächele erläutert der Autor in einer
Einleitung das Ziel der vorliegenden Arbeit folgendermaßen: »In
dieser Arbeit wird anhand einer Einzelfallstudie die Relevanz der
Erzähl- und Dialogsituation von Traumschilderungen im
psychoanalytischen Setting untersucht« (S.13).
Die ersten Kapitel befassen sich mit grundlegenden Fragen und
Überlegungen. So geht es im ersten Kapitel »Wozu werden Träume
erzählt« zunächst um das Verhältnis von Traumtätigkeit und
Traummitteilung. Der Begriff des Tagesgedanken wird erläutert und
der Autor erklärt, was mit »Traummitteilung als zweite Chance«
gemeint ist. Laut Ermann (2005) dient Träumen »der
Selbstregulation, Traumerzählungen hingegen der
Beziehungsregulation«(S.22). Ob das zutrifft und wie das im
Einzelfall konkret aussehen kann, wird später im empirischen Teil
dieser Arbeit untersucht.
Natürlich geht Mathys in diesem Teil seines Buches auch ausführlich
auf Freud und dessen Perspektive der Traumschilderung als
»Flickenteppich« ein. Freud stellte in seinen Schriften fest, dass
der Traum ein asoziales Produkt ist, denn: „Wer träumt tut dies
alleine“ (S.22). Auch wenn Freud, wie aus diesem kurzen Zitat
ersichtlich ist, wenig an der kommunikativen Situation der
Traummiteilung interessiert war, ist ja grade das Kommunikative der
Träume Gegenstand von Mathys’ Untersuchung. So beleuchtet er die
Traummitteilung ausführlich aus kommunikationstheoretischer
Perspektive und geht auf Traumrhetorik ein.
Der zweite Teil des ersten Kapitels beschäftigt sich mit der
Funktion von Traummitteilungen. »Implizit steht damit fest: Beim
Erzählen von Träumen geht es, so der Common Sense, um den
rätselhaften Inhalt, den der Zuhörer und Interpret erhellen soll«
(S.31). Hier geht es also um den Deutungswunsch, der beim Erzählen
eines Traumes geäußert wird, aber auch um den Deutungswiderstand.
Nicht immer sind sich Analytiker und Analysand in der Deutung
einig. Mit dieser Uneinigkeit kann dann auf verschiedene Art und
Weise umgegangen werden, wie im Verlauf der Arbeit eindrucksvoll
aufgezeigt wird.
Um die kommunikative Funktion der Traummitteilung geht es dann im
dritten Teil des ersten Kapitels. Hier stellt der Autor die Ansätze
von Morgenthaler (Der Umgang mit dem Traum als diagnostischer
Hinweis) und Ermann (Traumanalyse ist Beziehungsanalyse) sowie
Deserno (Funktionaler Zusammenhang von Traum und Übertragung)
vor.
Im psychoanalytisch-psychotherapeutischen Behandlungskontext wird
ein Traum immer in einer speziellen analytischen Beziehung
mitgeteilt, nicht im luftleeren Raum. Deshalb müsse bei der Analyse
von Träumen laut Mathys immer auch gefragt werden, warum der Traum
grade jetzt erzählt wird. Außerdem sei aufschlussreich wie der
Traum erzählt wird. Es wird sehr deutlich, dass nicht nur der
Trauminhalt, sondern auch die Beziehung und die Situation wichtig
sind. Mathys führt zum Verständnis von Traummitteilung und
Containment die Begriffe »Container-on-call« und
»Container-contained« ein. In diesem Zusammenhang zitiert er auch
Friedmann: „»Wo es Containment hat, hat es Träume. Wo Ablehnung
herrscht, werden keine Träume erzählt.« (S. 44).
Im zweiten Kapitel liefert Mathys »Einblicke in psychoanalytische
Traumgespräche«. In der vorliegenden Arbeit geht es nicht um
Trauminhalte, sondern darum, wie Analytiker und Analysandin über
die berichteten Träume sprechen. Die Datenbasis vieler
Traumanalysen bilden Fallvignetten, die nach den Sitzungen vom
Analytiker aus dem Gedächtnis aufgeschrieben werden. Diese Technik
ist nicht ohne Kritik, denn sie birgt Schwierigkeiten in sich. Oft
mangelt es den Fallvignetten an Genauigkeit, es kommt durch die
Sichtweise des Analytikers zu Verzerrungen, oft auch zu einer
Zensur. Die Selbstidealisierungstendenz der Analytiker spielt bei
der Darstellung der Fallvignetten eine große Rolle.
Die Probleme, die durch diese Darstellung der Fälle entstehen,
lassen sich durchaus vermeiden. Zum Beispiel durch Tonbandaufnahmen
von Therapiegesprächen, die eine nachträgliche detaillierte
Erforschung der Gespräche zwischen Therapeut und Patient
ermöglichen. Durch die Verwendung von Tonbandgeräten und später
teilweise auch Videoaufzeichnungen wandelte sich die
psychoanalytische Falldarstellung von der Fallvignette zur
Einzelfalluntersuchung. Allerdings herrscht in Psychoanalyse nach
wie vor eine Skepsis gegenüber Tonbandaufnahmen von
Therapiegesprächen vor. Viele Psychoanalytiker vertreten immer noch
den Standpunkt, das psychoanalytische Gespräch sei eine dyadische
Situation, die keine Dritten duldet. Unter anderem aus diesem Grund
stellen die Tonbandaufnahmen der kompletten Therapie der Amalie X
immer noch eine große Ausnahme dar und sind daher von ungeheurem
Wert für die Forschung auf diesem Gebiet. Amalie X ist daher zum
»Musterfall der deutschen Psychoanalyse« geworden.
Um dem Leser das Verstehen der im Folgenden behandelten
Traumausschnitte zu erleichtern, stellt der Autor in einem Exkurs
psychodynamische Überlegungen zu Penisneid und Kastrationskomplex,
den zwei zentralen Themen bei Amalie X, vor. Außerdem gibt
Hanspeter Mathys einen Überblick über die
Amalie-Traumforschung.
Weitere »Einblicke in psychoanalytische Traumgespräche« bekommt der
Leser in den Unterkapiteln Intersubjektivität statt Subjektivität
und dem darin enthaltenen Exkurs zu Psychoanalyse und Interaktion,
in dem Mathys auf die Entwicklung von der Ein-Personen-Psychologie
zur Zwei-Personen-Psychologie eingeht. Verschiedene Methoden der
Gesprächsanalyse mit ihren Vor- und Nachteilen sind, genau wie die
Positionierungsanalyse, wo es darum geht Position zu beziehen und
zuweisen, des Weiteren Gegenstand des Kapitels.
Im dritten Kapitel werden exemplarische Gesprächsausschnitte zum
Umgang mit dem Traum vorgestellt. Anhand dreier
Gesprächsausschnitte führt der Autor hier in die Fragestellung
seiner Arbeit ein. Die vorliegende Arbeit interessiert sich dafür,
wie die beiden Gesprächspartner – Amalie und der Analytiker – in
der analytischen Stunde mit dem Traum umgehen. Einen ersten
Einblick in den Umgang mit der Traummitteilung gibt Stunde 6. In
dieser Stunde bringt der Analytiker das Gespräch immer wieder auf
den Traum, Amalie X schwenkt immer wieder zu anderem hin. Eine
Musterstunde oder eine »State-of-the-Art«-Traumanalyse liefert
Stunde 27. Hier arbeiten beide Gesprächspartner gemeinsam an der
Analyse des Traumes. Diese Stunde zeigt modellhaft eine dialogische
Co-Konstruktion bei der Traumanalyse. In Stunde 104 geht es um
Trauminhalt versus kommunikative Funktion der Traummitteilung.
In einem Fazit fasst Mathys noch einmal die Hauptpunkte zusammen
und betont, dass Amalie X im Verhältnis zu anderen Analysanden sehr
viele Träume erzählt.
»Welche latenten interakiven und kommunikativen Funktionen lassen
sich in der Analyse von Amalie X im Zusammenhang mit der
Traummitteilung und dem Dialog über den Traum erschließen?« (S. 89)
– dieser Frage geht Mathys im Folgenden nach.
Das vierte Kapitel beschäftigt sich dann mit den Funktionen der
Traummitteilung.
Eine große Bandbreite verschiedener Funktionen von
Traummitteilungen ist denkbar, hier haben sich drei kommunikative
und interaktive Funktionen als besonders wichtig und relevant
herauskristallisiert. Diese drei Funktionen werden im Folgenden
anhand verschiedener Gesprächsausschnitte hergeleitet und
erläutert. Der Autor hat die untersuchten Gesprächspassagen danach
ausgesucht, ob sie in direktem Zusammenhang mit der zu
untersuchenden Fragestellung stehen. Die Auswahl der Passagen ist
von großer Bedeutung, deshalb wurden solche Passagen mit Träumen
ausgewählt, wo deutlich ist, dass die Traummitteilung unter dem
Vorzeichen interaktiver und kommunikativer Funktionen steht.
Außerdem musste es sich um thematisch beziehungsweise
handlungslogisch abgeschlossene Einheiten handeln. Die
gesprächsanalytischen Befunde der ausgewählten Textpassagen werden
im Anschluss in einem kurzem Fazit zusammengefasst und
psychodynamisch interpretiert. Als Ergebnis arbeitet der Autor
verschiedene Interaktionsmuster beziehungsweise dynamische
Prinzipien heraus, die als interaktive und kommunikative Funktionen
der Traummitteilung im psychoanalytisch-psychotherapeutischen
Kontext präsentiert werden.
Kommen wir nun zu den von Mathys herausgearbeiteten Funktionen der
Traummitteilung. Als erste sei die Traummitteilung als
triangulierender Mitteilungsmodus genannt. Mertens Gedanke, dass
der Traummitteilung triangulierende Funktion zukommen kann, wird im
Folgenden empirisch untersucht und anhand des klinischen Materials
konzeptionell weiterentwickelt. Mathys zeigt auf, wie die
Traummitteilung kommunikative Möglichkeiten eröffnet. In einer
Diskussion wird der Traum noch einmal unter dem Gesichtspunkt »Der
Traum als dritter Pol – Eigen und doch fremd« beleuchtet.
Im zweiten Teil des vierten Kapitels geht es um Traummitteilung und
Widerstand.
Hier diskutiert der Autor Hanspeter Mathys, ob ein Traum auch im
Dienste des Widerstands mitgeteilt werden kann. Der Traum also als
Ausweichmanöver im psychoanalytischen Setting. Im Zusammenhang mit
der Traummitteilung und der Traumanalyse gibt es laut Mathys drei
Arten des Widerstands: Zum ersten den Widerstand, den Traum zu
erzählen, dann den Widerstand gegen die dialogische Erschließung
des Traums und schließlich die Traummiteilung im Dienste des
Widerstands.
Unter der Überschrift »Die Traummitteilung im Dienste der
Wunscherfüllung« wird dann schließlich, in einem »dritten und
letzten Versuch einer Funktionsbestimmung der Traummitteilung«
(S.141), die Frage nach Widerstand noch mal aufgegriffen und in
einen psychodynamischen Zusammenhang gestellt. »Einzelne Passagen
[werden in diesem Abschnitt] herausgegriffen und
gesprächsanalytisch untersucht, dann aber – mehr als bis dahin –
mithilfe psychoanalytischer Konzepte interpretiert« (S.141).
Im Abschnitt »Positionierungsprozesse im Umgang mit dem Traum«
interessieren besonders die Fragen »Wie wird der Analytiker von
Amalie fremdpositioniert?«, »Wie positioniert sich Amalie selbst?«
und »Wie wird Amalie vom Analytiker fremdpositioniert?«. Im
Folgenden werden dann noch die Makromuster des Traumdialogs im
Kontext der Wunscherfüllung und Enactment: Verborgene Wege der
Wunscherfüllung sowie eine Diskussion der Befunde zur
Amalie-Traum-Forschung dargestellt. Abgerundet wird die Arbeit mit
einem Resümee.
Die vorliegende Studie stellt den Versuch dar, anhand eines
Einzelfalls die in der Literatur fest etablierte Rede von der
kommunikativen Funktion der Traummitteilung zu konkretisieren. Bis
zu dieser Studie sei die funktionale Betrachtungsweise des
Traumdialogs in psychoanalytischen Behandlungsarten bisher eher
Postulat als empirisch hergeleiteter Befund, so Hanspeter
Mathys.
Weitere Funktionen seien der Wunsch nach Containment, der Wunsch
nach beteiligter Resonanz sowie die Traummitteilung als
Geschenk.
Inwiefern gelten die dargestellten Befunde nur für den Einzelfall,
die Analysandin Amalie X, und inwiefern lassen sie sich
verallgemeinern? Diese Frage der Generalisierbarkeit dieses
grundsätzlich nicht zu verallgemeinernden Einzelfalls, versucht der
Autor hier abschließend zu beantworten.
Auch die Grenzen der Aussagekraft werden noch einmal aufgezeigt
sowie Empfehlungen für eine fruchtbare Traumkommunikation gegeben.
»Es kann nicht das Ziel einer fruchtbaren Traumkommunikation sein,
in zu einseitiger Verfolgung des interaktiven Geschehens den
Inhalten eines Traums zugunsten seines Mitteilungscharakters zu
vernachlässigen. Ebenso wenig ist ein einseitiger, nur auf den
Trauminhalt gerichteter Fokus erstrebenswert« (S. 184).
»Träume zu erzählen ist und bleibt eine kommunikative Zumutung: für
den Analysanden, weil er nicht weiß, was in dieser gut verhüllten
Wundertüte alles zum Vorschein kommen kann; für den Analytiker,
weil er erst einmal vor einem Rätsel steht. Das Gelingen der
Traumkommunikation ist auf diesem Hintergrund ein prekäres
Unterfangen, das an beide Seiten hohe Anforderungen stellt«.
Die vorliegende Studie, die die Erweiterung der Rezeptionshaltung
postuliert, kann dazu beitragen, unfruchtbare Verstrickungen zu
lösen und die „Dialogfähigkeit sowie die Kooperationsbereitschaft
von Analysand und Analytiker für das faszinierende Unternehmen
»Traumanalyse zu fördern«. (S. 188), so Mathys.
Im Anhang findet sich eine Übersicht über die bei der Darstellung
der Aufzeichnungen aus den Analysestunden verwendeten
Transkriptionsmethode – das Gesprächsanalytische
Transskriptionssystem (GAT) – sowie sieben Seiten Literatur.
Die Originalpassagen aus dem Transkript der Analysestunden sind für
den ungeübten Leser zu Anfang schwer zu lesen, denn man muss sich
erst an die Transkriptionszeichen gewöhnen, denn durch diese Art
der Darstellung werden sehr viele Infos in ungewohnter Form
dargeboten.
Hanspeter Mathys hat mir diesem Buch ein sehr interessantes Thema
der Psychoanalyse aus neuer Perspektive dargestellt. Da das Buch in
leicht verständlicher Sprache abgefasst ist und psychoanalytische
Begriffe gut und ausführlich erläutert werden, ist es auch für
Nicht-Psychoanalytiker empfehlenswerte Lektüre.
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