Rezension zu Intimmodifikationen (PDF-E-Book)

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Rezension von Ann-Kathrin Günter

Das Buch »Intimmodifikationen«, herausgegeben von der Psychoanalytikerin Ada Borkenhagen und dem Medizinsoziologen Elmar Brähler erscheint in der Reihe »Beiträge zur Sexualforschung« 2010 im Psychosozial-Verlag. Es ist die Neufassung bzw. Weiterschreibung des Schwerpunktheftes »Intimmodifikationen«, das 2008 in der Zeitschrift psychosozial erschienen ist. Das knapp 200 Seiten umfassende Buch beinhaltet elf Kapitel, die von verschiedenen Autoren unterschiedlicher Disziplinen geschrieben wurden.
Von was handeln die einzelnen Beiträge? Am Ende ihres Vorworts geben die Herausgeber direkt einen äußerst gelungenen Advance Organizer, der einen Überblick über jedes einzelne Kapitel gibt. Obwohl von den Autoren nicht explizit so eingeteilt, kann man sagen, dass sich etwa die erste Hälfte des Buches mit eher in westlichen Industrienationen vorkommenden Intimmodifikationen beschäftigt – von der Intimrasur über Intimpiercings bis hin zur operativen Korrektur des Genitalbereichs – während sich der zweite Teil mit dem Themenkomplex Beschneidung bzw. Genitalverstümmelung auseinandersetzt. Die Autoren verweisen allerdings im Vorwort darauf hin, dass diese gemeinsame Darstellung in einem Buch keinesfalls die Unterschiede, die es zwischen beiden Praktiken gibt, nivellieren soll.
Der unterschiedlichen Autorenschaft entsprechend sind nicht alle Kapitel gleich aufgebaut, trotz allem lässt sich eine grobe Struktur der Gestaltung der einzelnen Beiträge erkennen.
So finden sich nebst einer kurzen Einleitung zumeist ein geschichtlicher Abriss, sowie ein Überblick über den bisherigen Forschungsstand des jeweiligen Themenbereichs. So erfährt man beispielsweise direkt im ersten Kapitel zum Thema »intimpiercing« einen Überblick über die verschiedenen Varianten des Piercings, es werden die unterschiedlichen Motive des Piercens in Industrienationen im Vergleich zu Naturvölkern erörtert sowie angeführt, dass erste (ernstzunehmende) Untersuchungen zu diesem Themenbereich erst Mitte der 90er Jahre durchgeführt wurden.
Im Weiteren folgen dann sowohl deskriptive Beschreibungen der jeweiligen Prävalenzen bzw. Forschungsergebnissen sowie die Betrachtung der psychosozialen Bedeutungen der jeweiligen Praxis. Die Erklärungen werden hier einerseits in der Kulturgeschichte der jeweiligen Varianten sowie darüber hinaus in psychologisch, soziologischen Aspekten gesucht. So erörtern Borkenhagen und Brähler in ihrem Aufsatz »Schamlos – theoretische und empirische Aspekte der Trends zur Teil- und Vollintimrasur« zwei unterschiedliche Deutungsansätze zur Erklärung des Phänomens: Neben der schon oft diskutierten »Infantilisierungshypothese«, die von der Prämisse ausgeht, dass eine Intimrasur die Genitalien vorpubertär erscheinen lässt, wird der so genannte »visuelle Ansatz« vorgestellt, der davon ausgeht, dass die enthaarte Scham ein Anzeichen für die »Ausweitung der weiblichen Erotik« (S. 76) ist.
Viele Beiträge verschaffen durch das Anführen von Forenbeiträgen aus Internetseiten einen direkten Einblick in die Ansichten der »Betroffenen«. So wird beispielsweise im Kapitel »Die Rekonstruktion des Hymens« von Verina Wild und Rachel Neuhaus Brühler deutlich, wie ernstzunehmend und vielschichtig die Beweggründe der Frauen aus unterschiedlichen Kulturen sind, sich für solch eine Operation zu entscheiden bzw. entscheiden zu müssen. Gleichzeitig wird im Beitrag die Rolle und Position der Ärzte zur Praxis der Hymenrekonstruktion kontrovers diskutiert.
Die unterschiedliche Autorenschaft merkt man auch an der jeweils unterschiedlichen Fokussierung der Beiträge, so legt beispielsweise das von der Ärztin Simone Preiß verfasste Kapitel »Plastische Korrekturen im weiblichen Genitalbereich« den Schwerpunkt vornehmlich auf medizinische Aspekte der jeweiligen Korrekturvarianten und verzichtet nahezu völlig auf psychosoziale Beleuchtungen des Themas. Im Gegensatz hierzu widmet sich der Autor Matthias Franz in seinem Beitrag »Männliche Genitalbeschneidung und Kindesopfer« gänzlich der psychoanalytischen Perspektive auf Beschneidungsrituale und deren weitreichende Folgen in unterschiedlichen religiösen Gemeinschaften.
Am meisten beeindruckt und zum Nachdenken angeregt hat mich der Beitrag von Daniela Dorneles de Andrade, Elena Jirovsky und Sara Paloni zum Thema »Kosmetische Eingriffe und weibliche Genitalverstümmelung«. Hier gelingt es den Autoren auf differenzierte Art und Weise zum einen diese beiden Bereiche in Beziehung zueinander zu setzen und zugleich dieses »in Beziehung setzen« kritisch zu hinterfragen.
Ein kleiner Wermutstropfen stellt meiner Meinung nach teilweise die Redundanz einzelner Abschnitte der verschiedenen Beiträge dar, was aber mit der unterschiedlichen Autorenschaft erklärt werden kann und gleichsam von Vorteil ist, wenn man nur einen Beitrag und nicht direkt das ganze Buch lesen möchte. Da der Bereich Intimmodifikationen und deren psychosoziale Bedeutung ein vergleichsweise neues Forschungsfeld ist, sollte man keine allzu umfassenden theoretischen Ausarbeitungen der einzelnen Themen erwarten. Was das Buch allemal bietet ist gleichermaßen einen wissenschaftlich fundierten und aktuellen Einblick in medizinische Aspekte der verschiedenen Intimmodifikationen sowie deren psychosoziale Bedeutung.
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