Rezension zu Knastmauke (PDF-E-Book)
Die Welt, Literarische Welt vom 12. Februar 2011
Rezension von Wolfgang Schuller
Erst Unrecht dann Undank
Eine Studie zeichnet das Schicksal politischer Häftlinge in der DDR
nach
Dieses Buch ist weit mehr als ein verdienstvolles Sachbuch. Das ist
es freilich auch. Es vermittelt die Ergebnisse von Untersuchungen
am Kolleg für Geschlechterforschung der Universität Duisburg-Essen
über die vor allem gesundheitliche, aber auch soziale Situation von
Menschen, die auf dem Gebiet der Sowjetzone und dann der DDR in
politische Haft gekommen waren. Es geht also um Haftfolgeschäden
und den sachgerechten Umgang mit ihnen. Das ist zum einen natürlich
ein medizinisches Problem, zum anderen aber auch eines der
Gesellschaft, weil Renten und sonstige Leistungen davon abhängen.
Eine zusätzliche Schwierigkeit ist die, dass posttraumatische
Verletzungen erst seit einiger Zeit als auf die belastenden
Erlebnisse zurückführbar anerkannt werden. Bei Opfern von NS-Lagern
oder bei Vietnamkrieg-Teilnehmern hat sich die Berücksichtigung
schon lange zurückliegender Traumata bereits durchgesetzt; bei
Opfern von Sowjet- und DDR-Justiz ist das erst teilweise der Fall,
zudem im Allgemeinen in materiell unzulänglicher Weise und oftmals
in unangemessen restriktiver oder gar kenntnisloser Anwendung der
gesetzlichen Regelungen.
Mit Recht wird in der Studie davon ausgegangen, dass die
wiedergewonnene Einheit Deutschlands in erster Linie auf den
Widerstand der DDR-Bevölkerung zurückzuführen ist. Zu diesen
Widerständigen gehören auch die politischen Häftlinge, auch und
gerade dann, wenn die Taten, deretwegen sie verurteilt wurden, von
ihnen gar nicht begangen waren oder in zivilisierten Staaten nicht
strafwürdig sind; so etwa der Versuch, den Staat zu verlassen, eine
angeblich asoziale Lebensführung oder kritische Äußerungen über die
herrschende Politik. Gerade die Tatsache, dass das überhaupt und
zudem mit unverhältnismäßig harten Strafen verfolgt wurde, dass
also das Wesen dieser Staatsform in Repression bestand, macht die
Verurteilten auch dann zu Widerständigen, wenn sie selbst
Widerstand gar nicht beabsichtigt hatten.
So verdienstvoll und hoffentlich auch so wirkungsvoll der
wissenschaftliche Teil des Buches mit seinen Daten, Tabellen und
Schaubildern ist, sein Wert beruht auch darauf, dass den Lesern die
Sachverhalte, um die es geht, in sehr konkreter und, selten genug,
in sehr lesbarer Weise nahegebracht werden. Das geschieht zunächst
dadurch, dass zwei Expertinnen ausgiebig Auskunft über ihre
Erfahrungen in der Beratung und Behandlung ehemaliger Häftlinge
geben: die langjährige Leiterin der Gedenkstätte Moritzplatz in
Magdeburg, Annegret Stephan, und die Ärztin Ruth Ebbinghaus, die an
der Abteilung für Sozialpsychiatrie der FU Berlin tätig war. Der
zweite, umfangreichste Teil unterfüttert diese plastischen
Schilderungen durch die meist in Ichform, gelegentlich durch
Zwischenbemerkungen unterbrochenen Berichte von Häftlingen selbst,
in einigen Fällen auch von Angehörigen. Diese Berichte sind
zeitlich geordnet, machen also eine Entwicklung anschaulich. So
wurde etwa die körperliche Folter später teilweise durch die
psychische Folter abgelöst, von der allerdings glaubhaft gesagt
wird, dass sie von den Opfern oft schwerer verkraftet wurde als
physische Quälereien. Sie sind auch schwerer nachzuweisen. Auch
sonst wird höchst differenziert vorgegangen. Das gesamte soziale
und rechtliche Spektrum vor der Haft kommt zur Sprache, das –
angebliche – Delikt, die Untersuchungs- und dann die Strafhaft –
auch in den besonders brutalen Jugendwerkhöfen –, die Auswirkungen
auf die Gesundheit, das weitere Ergehen nach der Entlassung in die
DDR oder in die Bundesrepublik, Art und Ausmaß der Berücksichtigung
der Haftfolgen durch die Institutionen des deutschen Sozialstaates.
Eindrucksvoll ist, dass die Fragen ohne jede Erwartungshaltung
gestellt werden, und dass infolgedessen die Antworten ganz
verschieden und ohne jedes Schema ganz nach der individuellen
Situation gegeben werden. Die gesellschaftliche Stellung der
Häftlinge entspricht übrigens ziemlich genau der, die bei den
Teilnehmern der friedlichen Revolution des Herbstes 1989
festzustellen ist: In den allermeisten Fällen Durchschnittsbürger
und keine Intellektuellen - von den Befragten waren »mehr als die
Hälfte Arbeiter, Handwerker oder Putzfrauen.« Dabei ist zu
beachten, dass das Fehlen einer qualifizierten Ausbildung in der
Regel gerade daran lag, dass der sozialistische Staat eine solche
Ausbildung verhindert hatte.
Die Autorin des Buches kommt aus der Studentenbewegung
West-Berlins, erlebte den Einmarsch des Warschauer Paktes 1968 in
die Tschechoslowakei, beteiligte sich am dortigen Widerstand und
war von 1969 bis 1971 in Prag inhaftiert. Sie weiß also, mit wem
sie es jeweils zu tun hat, und deshalb kommt ihren Stellungnahmen
besonderes Gewicht zu; auch bei der zentralen Frage, die das
wiedervereinigte Deutschland erröten machen müsste, »warum
diejenigen, die die deutsche Einheit erkämpft haben, zu Menschen
wurden, denen es heute besonders schlecht geht.«
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