Rezension zu In Anerkennung der Differenz
ÖAGG-Zeitschrift (Österr. Arbeitskreis für Gruppentherapie und Gruppendynamik) Feedback 4/2010
Rezension von Günter Dietrich
2010 feiert die erste österreichische Frauenberatungsstelle „Frauen
beraten Frauen“ in Wien ihr 30-jähriges Jubiläum. Zu diesem Anlass
ist das vorliegende Buch zum aktuellen Stand der feministischen
Praxis in Beratung und Psychotherapie erschienen. Die Autorinnen,
die in interdisziplinärer Vielfalt aus zahlreichen methodischen
Perspektiven in einen Dialog treten, haben ein abwechslungsreiches
Buch geschaffen, das durch Fallvignetten und einen Text von Marlene
Streeruwitz zusätzlich bereichert wird. Aufgrund der Anzahl der
Beiträge kann hier nur exemplarisch auf einzelne Facetten
eingegangen werden.
Die Herausgeberin Traude Ebermann ist neben der Einleitung im Band
mit einer Arbeit zu ihrer Therapierichtung sowie zwei berührenden
Beiträgen zur Frauenberatung aus der Sicht einer feministischen
Expertin präsent. Im innovativen Artikel »Feminismus und KIP oder:
Was wir von den Amazonen lernen können« beschreibt sie anhand der
vom KIP-Begründer Hanscarl Leuner etablierten Bildmotive die
Gefahr, patriachale Muster in der Psychotherapie unbewusst
fortzuschreiben. Ebermann plädiert für ein neues Imaginationsmotiv
– die Amazone, welches den Motiven mit traditionellen
Geschlechterstereotypien wie »Autostopp« und »Rosenbusch«
entgegengestellt wird. In diesem Symbol ist das Bild einer
sinnlichen und aggressiven Weiblichkeit enthalten, ebenso wie das
einer machtvollen weiblichen Solidargemeinschaft. Die
Fortschreibung von Geschlechterstereotypien in der Psychotherapie
reflektiert auch die Philosophin Alice Pechriggl in ihrem Beitrag
»Veränderliche Geschlechtsidentitäten«. Sie illustriert in einer
Fallgeschichte aus einer analytischen Gruppe, wie in einer Deutung
der Gruppenleiterin die subtile Diskriminierung einer lesbischen
Frau erfolgt ist, aber auch wie im Gruppenprozess der
TeilnehmerInnen nach der tendenziösen Intervention eine Überwindung
der ausgelösten Scham möglich wurde.
»Genug gemangelt – Von der Auseinander-Setzung zur
Zusammen-Führung« ist der Titel des Beitrages von Regina Trotz zu
den »Bewegungen in Frauengruppen«. Mit dem augenzwinkernden
Wortspiel zum »Mängelwesen« leitet sie ihre Darstellung der
Geschichte der Frauenbewegung ein und folgt dem
sozialpsychologischen Phasenmodell von Tuckman. Jetzt ist die Zeit
der Wachstumsphase, des »performing« gekommen, feministische
Visionen praktisch umzusetzen. Also: Genug gemangelt! Der Schluß
des Buches ist die literarische Reflexion »In diesem politischen
Augenblick« von Marlene Streeruwitz. Ihr Thema ist die Würdigung
der Frauenberatung im gesellschaftpolitischen und
zeitgeschichtlichen Kontext. Auch sie endet mit einem Aufruf,
nämlich den zur konsequenteren Einforderung der Achtung weiblicher
Leistung.
Ein durchgängiges Merkmal dieses Bandes ist die feministische
Haltung der Autorinnen, die immer auch eine gesellschaftskritische
Position einschließt. In seiner Heterogenität ist eine sehr
lesenswerte und anregende Sammlung zu einem für Frauen und Männer
gleichermaßen aktuellen Thema entstanden: Gendersensible Beratung
und Psychotherapie, die Differenz nicht verleugnet, sondern
anerkennt.